ZEIT |
Merkel: Das setzt aber voraus, auch zu sagen, was genau die Alternativen
damals waren. Die 2008 diskutierte Einleitung eines Nato-Beitritts der
Ukraine und Georgiens hielt ich für falsch. Weder brachten die Länder
die nötigen Voraussetzungen dafür mit, noch war zu Ende gedacht, welche
Folgen ein solcher Beschluss gehabt hätte, sowohl mit Blick auf
Russlands Handeln gegen Georgien und die Ukraine als auch auf die Nato
und ihre Beistandsregeln. Und das Minsker Abkommen 2014 war der Versuch, der Ukraine Zeit zu geben.
Sie hat diese Zeit hat auch genutzt, um stärker zu werden, wie man heute sieht. Die Ukraine von 2014/15 ist nicht die Ukraine von heute. Wie
man am Kampf um Debalzewe Anfang 2015 gesehen hat, hätte Putin sie
damals leicht überrennen können. Und ich bezweifle sehr, dass die
Nato-Staaten damals so viel hätten tun können wie heute, um der Ukraine
zu helfen.
ZEIT: Beim ersten öffentlichen Auftritt nach dem Ende Ihrer Kanzlerschaft haben Sie erklärt, Sie hätten schon 2007 erkannt, wie Putin über Europa denkt, und dass die einzige Sprache, die er versteht, Härte sei. Wenn
diese Erkenntnis so früh da war, warum haben Sie eine Energiepolitik
betrieben, die uns von Russland so abhängig gemacht hat?
Merkel: Es war uns allen klar, dass das ein eingefrorener Konflikt war, dass das Problem nicht gelöst war, aber
genau das hat der Ukraine wertvolle Zeit gegeben. Natürlich kann man
jetzt die Frage stellen: Warum hat man in einer solchen Situation noch
dem Bau von Nord Stream 2 zugestimmt?
ZEIT: Ja, warum? Zumal es schon damals sehr heftige Kritik am Bau der Pipeline gab, zum Beispiel von Polen und den USA.
Merkel:
Ja, man konnte da zu einer unterschiedlichen Meinung kommen. Worum ging
es? Zum einen legte die Ukraine sehr viel Wert darauf, auch weiter
Transitland für russisches Gas zu bleiben. Sie wollte Gas durch ihr
Gebiet und nicht durch die Ostsee leiten. Heute wird ja manchmal so
getan, als ob jedes russische Gas-Molekül des Teufels war. So war das
nicht, das Gas war umkämpft. Zum anderen war es auch nicht so, dass die
Bundesregierung die Genehmigung von Nord Stream 2 beantragt hatte, das
haben die Firmen getan. Für die Bundesregierung und für mich ging es
also im Ergebnis darum, zu entscheiden, ob wir als politischen Akt ein
neues Gesetz machen, um die Genehmigung von Nord Stream 2 ausdrücklich
zu versagen.
Merkel:
Nein, zumal es dafür überhaupt keine Akzeptanz gegeben hätte. Wenn Sie
mich um Selbstkritik bitten, gebe ich Ihnen ein anderes Beispiel.
ZEIT: Die ganze Welt wartet auf ein Wort der Selbstkritik!Merkel: Das mag sein, in vielen Punkten entspricht die Haltung der
Kritiker aber nicht meiner Meinung. Sich dem einfach zu beugen, nur weil
es erwartet wird, hielte ich für wohlfeil. Ich habe mir so viele
Gedanken damals gemacht! Es wäre doch geradezu ein Armutszeugnis, wenn
ich jetzt, nur um meine Ruhe zu haben und ohne wirklich so zu denken,
einfach sagen würde: Ach, stimmt, jetzt fällt’s mir auch auf, das war
falsch. Aber ich sage Ihnen einen Punkt, der mich beschäftigt. Er hat
damit zu tun, dass der Kalte Krieg nie wirklich zu Ende war, weil
Russland im Grunde nicht befriedet war. Als Putin 2014 die Krim
überfiel, wurde er zwar aus G8 ausgeschlossen. Auch hat die Nato Truppen
im Baltikum stationiert, um zu zeigen, wir sind als Nato zur
Verteidigung bereit. Außerdem haben wir im Bündnis beschlossen, zwei
Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung
auszugeben. CDU und CSU waren die Einzigen, die das überhaupt noch in
ihrem Regierungsprogramm hatten. Aber auch wir hätten schneller auf die
Aggressivität Russlands reagieren müssen. Deutschland hat das
Zwei-Prozent-Ziel trotz Erhöhung nicht erreicht. Und auch ich habe nicht
jeden Tag eine flammende Rede dafür gehalten.
ZEIT: Warum nicht? Weil Sie insgeheim dachten, man braucht das nicht?
Merkel:
Nein, sondern weil ich nach dem Prinzip Helmut Kohls gehandelt habe:
Entscheidend ist, was hinten rauskommt. Eine flammende Rede zu halten,
um anschließend als Bettvorleger zu landen, hätte dem Etat nicht
geholfen. Aber wenn ich in der Geschichte nach erfolgreichen Rezepten
schaue, komme ich auf den Nato-Doppelbeschluss ...
ZEIT: ... über diesen Beschluss hat Helmut Schmidt letztlich seine Kanzlerschaft verloren ...
Merkel:
Richtig, was meine Hochachtung für ihn nur noch gesteigert hatte. Das
Intelligente am Nato-Doppelbeschluss war eben die doppelte
Herangehensweise mit Nachrüstung und Diplomatie. Übertragen auf das
Zwei-Prozent-Ziel heißt das, dass wir für die Abschreckung durch höhere
Verteidigungsausgaben nicht genug getan haben.
Die Liste des verheerenden Erbes, das Angela Merkel ihrem Land hinterlassen hat, ist um einen Punkt länger geworden. Mit ihren Lügen während der Minsker Verhandlungen hat sie das Vertrauen Russlands in den wichtigen Partner Deutschland nachhaltig zerstört. Dass dieser Fehltritt konsequent totgeschwiegen wird – geschenkt. Er wird sich rächen. Früher oder später. Auf jeden Fall, wenn es zu spät ist.
Interessanter ist das Schweigen Frankreichs. Dessen Präsident François Hollande nahm an den Verhandlungen teil. Ging auch er mit unlauteren Motiven in die Gespräche? Hatte auch er eine doppelte Agenda? Man würde es gerne wissen. Aber es ist gut möglich, dass Paris es – anders als Berlin – wirklich ernst meinte. Darauf deuten die Friedensfühler hin, die Frankreich in der gegenwärtigen Krise immer wieder nach Moskau ausstreckt, zuletzt vor ein paar Tagen.
Damit hätte Merkel nicht nur Deutschlands wichtigsten und größten Nachbarn im Osten verprellt, sondern auch den engen Freund im Westen desavouiert.
Es wird immer ekelhafter. Während Merkel in Minsk verhandelte, vertraute ich ihr noch, ihre Beliebtheit war auf dem Höhepunkt (und in Hochstimmung war parallel dazu der deutsche Fußball), auch ich war auf Merkel hereingefallen. Erst zwei Monate später, angesichts ihrer schamlosen Stellungnahmen und Lügen betreffs PEGIDA verlor ich mein Vertrauen völlig und wurde hellhörig. Immerhin fiel es mir dann dann sehr, sehr schnell wie Schuppen von den Augen.
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