Stationen

Montag, 26. Oktober 2020

One World Totalitarismus

Für den im Stahlbad der sogenannten Vergangenheitsbewältigung gehärteten Musterdeutschen ist praktisch jeder historische Begriff mit dem Nationalsozialismus konnotiert. So auch das Wort "Exil". Das ist merkwürdig, schon angesichts der zahlreichen Exil-Iraner, Exil-Russen, Exil-Vietnamesen, Exil-Kubaner, Exil-DDRler etc. pp., die sich in der Bundesrepublik niederließen. Auch die in diesem Kontext nicht ganz uninteressante Monika Maron nahm 1988 in der Bundesrepublik Zuflucht.

Exilanten gibt es seit jeher, von Themistokles, der Exil bei den Persern fand, über Ovid und Dante bis zu Heine, der nach Frankreich emigrierte, oder Marx, den es nach London verschlug. Die beiden bedeutendsten Denker des Toleranzmärchenlandes Al Andalus, Averroes und Moses Maimonides, gingen ins Exil, um ihr Leben vor den Islamfanatikern zu retten. Scharen von Franzosen flohen vor dem Terreur der Jakobiner ins Ausland (man schätzt 150.000), darunter Männer wie Chateaubriand, La Fayette, Joseph de Maistre und König Ludwig XVIII. Auch unser vorerst letzter Kaiser musste sein Leben im Exil beschließen.

Der Begriff Exil ist also ein politisch eher neutraler – es gingen ja auch zahlreiche Nazis und Diktatoren ins Exil –, und er überspannt die Jahrhunderte. Wer ihn reflexhaft auf diejenigen bezieht, die vor dem NS-Terror aus Deutschland geflohen sind, verfolgt Interessen. Das Exil ist nicht nur ein Flucht-, sondern auch ein Sehnsuchtsort, an welchem man vor denen Ruhe zu finden hofft, in deren Mitte zu leben unerträglich wurde, und es gehört zu den unangenehmsten Vorstellungen, die der Begriff one world in mir weckt, dass diese Eine Welt keine Exile mehr kennen würde.

Der Minimalsinn von „Exil“ wäre also die Beschreibung eines Ortes, an den man sich begibt, um von irgendeiner existenzversauenden Sache verschont zu bleiben. Insofern besteht nicht der geringste seriöse Einwand gegen die dennoch irgendwie schlimme Idee der Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen, eine Editionsreihe unter dem Titel "Exil" herauszubringen.

Die ersten drei, im Frühjahr erschienenen Bändchen stammen von Monika Maron, Uwe Tellkamp und Jörg Bernig, alle drei bekanntlich inzwischen hochumstrittene und z. T. martialische Gesellschaftsspalter, überdies Vertrauensvorschussveruntreuer – wozu schenkt man Leuten Literaturpreise, wenn sie später ihrem Staat, der ihnen alles ermöglicht hat, in den Rücken fallen? –, und womöglich sind es, wer weiß, irgendwann Kandidaten für ein tatsächliches Exil.


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(Der hier geschmähte Roman gehört formal nicht in die genannte Reihe, aber in gewissem Sinne doch.)

Der Schoß ist bekanntermaßen fruchtbar noch, schon gibt das nächste Terzett sein Debüt in der Exil-"Edition Buchhaus Loschwitz". Auf eines der drei will ich heute hinweisen, auf ein zweites demnächst. Es handelt sich um das Buch "Rettet den gesunden Menschenverstand!" von Eva Rex, einer aus Katowice (heute Dunkelpolen) stammenden und in Dresden lebenden Schriftstellerin. Die Slawistin und Historikerin beginnt ihre Betrachtung mit Fragen:

"Wie kommt es, dass die meisten Mitglieder der westlichen Gesellschaften so merkwürdig apathisch und desinteressiert an ihrem eigenen Geschick agieren und ihrer eigenen Verdrängung (als Volk, als Nation, als Kultur) entgegensehen, ja diese sogar beklatschen? Warum sind moderne Menschen trotz ausdifferenzierter Individualisierung und Aufgeklärtheit so empfänglich für ideologische Großkonzepte wie Gleichstellung, Multikulturalismus und Kampf gegen den Klimawandel? Warum begegnen uns gerade in Künstlern und Intellektuellen die fanatischsten Befürworter dieser neuen Ideologien? ... Wie kommt es, dass so viele sich nicht mehr auf ihre eigene Wahrnehmung verlassen und nicht den Mut haben, sich ihres Verstandes zu bedienen?"

Plausible Antworten findet sie skandalöserweise bei Hannah Arendt (für deren Befreiung aus der absurden linken Umarmung Frau Rex schon seit Längerem plädiert). Und zwar im Buch "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" – man muss den Wikipedia-Eintrag dazu lesen, um würdigen zu können, wie unsere wuseligen Linksscheitler die einst ja ebenfalls hochumkämpfte, zeitlebens allen intellektuellen Moden abholde Denkerin – von der ich übrigens den Begriff "Kleiner Eckladen" (bei ihr mit dem Zusatz: "des Denkens") stiebitzt habe –, von Anstößigkeiten befreiten und auf Linie stutzten.

Anders als bei der herkömmlichen Tyrannis mit ihren konventionellen Motiven beruht die totale Herrschaft Arendt zufolge immer auf einer Ideologie. Diese Ideologie erhebe Anspruch auf universelle Geltung, mobilisiere dafür die Massen und verheiße die Verwirklichung einer Fiktion, an deren Ende eine neue Welt und der neue Mensch stehen.

Wer heute auch nur für eine Seminarstunde in eine sogenannte geisteswissenschaftliche Fakultät einer beliebigen westlichen Universität blickt, wird feststellen, dass alles, was älter als, sagen wir, zwanzig Jahre oder auch Wochen ist, dort im Grunde nichts mehr gilt. Kann also eine vor 70 Jahren – wenn immerhin auch nicht von einem Cis-Mann – veröffentlichte Analyse unsere heutige Situation auch nur um ein Millilux erhellen?

Eva Rex behauptet, ja. Schauen wir also mit ihr auf die Kriterien (vulgo Elemente und Ursprünge), die Hannah Arendt zufolge eine totalitäre Herrschaft kennzeichnen.

Erstens: Die Gesellschaft ist atomisiert und zugleich homogenisiert, die traditionellen Bindungen durch Klassen, Stände, Familien, Geschlechter, Nationen, Identitäten sind weitgehend aufgelöst. Ein im sozialen Vakuum lebender Massenmensch bevölkert die Städte.

Zweitens: Aus dieser Orientierungs- und Bindungslosigkeit resultiert ein kollektiver Mangel an Urteilskraft. Er äußert sich in einer Mischung aus Leichtgläubigkeit und Zynismus und mündet in eine Revolte gegen den Wirklichkeitssinn – gegen den bei Arendt noch ganz zentralen "gesunden Menschenverstand" (auf den sich heute bekanntlich nur Ewiggestrige berufen). Die Philosophin – die übrigens in ihrer Totalitarismusanaylse noch ganz frisch und frei die trefflichen Termini "Mob" und "Gesindel" verwendet (nicht für die Massen, sondern für den Mob und das Gesindel) – schreibt: "Die Mentalität moderner Massen (...) beruht darauf, daß sie an die Realität der sichtbaren Welt nicht glauben, sich auf eigene, kontrollierbare Erfahrungen nie verlassen, ihren fünf Sinnen mißtrauen und darum eine Einbildungskraft entwickeln, die durch jegliches in Bewegung gesetzt werden kann, was scheinbar universelle Bedeutung hat und in sich konsequent ist. ... Auf sie wirkt nur die Konsequenz und Stimmigkeit frei erfundener Systeme, die sie mit einzuschließen versprechen."

Drittens – gleich in den Worten von Arendt (auch alle folgenden Zitate stammen von ihr) –: "Der Egozentrismus (der modernen Massen) konnte kein gemeinsames Interesse entstehen lassen, und war daher oft mit einer typischen Schwächung  des Instinkts der Selbsterhaltung verbunden. Selbstlosigkeit, nicht als Güte, sondern als Gefühl, daß es auf einen selbst nicht ankommt, daß das eigene Selbst jederzeit und überall durch ein anderes ersetzt werden kann, wurde ein allgemeines Massenphänomen."

Viertens: Die geistigen Eliten haben sich freiwillig gleichgeschaltet und betreiben primär Systempropaganda. Gerade sie hegen eine "Neigung für die abstraktesten Vorstellungen, diese leidenschaftliche Vorliebe, ihr Leben nach sinnlosen Begriffen zu gestalten, wenn sie dadurch nur dem Alltag und dem gesunden Menschenverstand, den sie mehr verachteten als irgend etwas sonst, entgehen konnten".

Fünftens: Frei erfundene, aber in sich logische Systeme beherrschen das Denken der Menschen und erzeugen eine Hyperrealität. "Während die totale Herrschaft einerseits alle Sinnzusammenhänge zerstört, mit denen wir normalerweise rechnen und in denen wir normalerweise handeln, errichtet sie andererseits eine Art Suprasinn ... Über der Sinnlosigkeit der totalitären Gesellschaft thront der Suprasinn der Ideologien, die behaupten, den Schlüssel zur Geschichte oder die Lösung aller Rätsel gefunden zu haben."

Sechstens: Die Massen werden mit sogenannten wissenschaftlichen Beweisen von der Stichhaltigkeit der staatlichen Pläne und Maßnahmen überzeugt. "Diese ideologisch verankerten Lügen (sind) unantastbar. Sie werden mit sorgfältig ausgearbeiteten Systemen pseudowissenschaftlicher Beweise geschützt." – "Im Gegensatz zu älteren Formen politischer Propaganda, die dazu neigt, sich auf die Vergangenheit zu berufen, um Gegenwärtiges zu rechtfertigen, benutzt totalitäre Propaganda die Wissenschaft, um die Zukunft zu prophezeien."

Siebentens: Gemäß dem strikten Determinismus der Ideologie steht am Ende des gesellschaftlich eingeschlagenen Weges eine Transformation der menschlichen Natur, das Erreichen einer neuen Gattungsqualität. "Diese Exekution der objektiven Gesetze von Natur oder Geschichte soll schließlich die Menschheit produzieren.“

"Woran", fragt Eva Rex, "erinnert uns das?"

Was in diesen sieben Punkten beschrieben wird, erleben wir derzeit tatsächlich wieder, wenn auch auf vollkommen andere, unvergleichlich weniger gewaltsame, unvergleichlich smartere und von den Sirenengesängen des Humanitarismus begleitete ungleich raffiniertere Weise, aber in einer vor allem dank Big Data bewerkstelligten Totalität – es gab nie ein zentralistischeres Gebilde in der Menschheitsgeschichte als die Allianz von Google, Facebook et al. –, die den Vergleich mit ihren freiheitsfeindlichen Vorgängern nicht scheuen muss. Freilich betreffen die Folgen ausschließlich den Westen. Die afrikanischen, asiatischen, orientalischen Völker oder Stämme können bleiben, was sie sind, ihr Kindersegen schadet dem Weltklima nicht, ihre Frauen müssen nicht gleichgestellt werden, solange sie frei zwischen Tschador und Niqab wählen dürfen, ihre Religionen, Sitten und Geschlechter sind keine Konstrukte, sondern bunt, sie haben nie andere Völker bzw. Ethnien versklavt und unterdrückt, keine verachtenswerten Eroberungskriege geführt, haben keine Erbschuld abzutragen, und bis heute sind sie an der Diskriminierung Andersartiger nicht interessiert.

Frau Rex holt die Exilantin Hannah Arendt heim dorthin, wo sie allzeit ihren Hauptwohnsitz hatte – nein, nicht ins "Erstaunen vor dem Einfachen" (dort auch), sondern ins Umstrittensein. Denn nichts Schlimmeres könnte einem öffentlich denkenden und urteilenden Menschen widerfahren, als dass er inmitten dieser weltumspannenden Herde aus Gaunern, Opportunisten, Gierhälsen, Bescheidwissern, Fatzkes, Gläubigen, Huren, Banditen, Idealisten, Beutelschneidern und Einfaltspinseln nicht wenigstens umstritten wäre.

Natürlich ist in siebzig Jahren einiges passiert, was nach einem, wie es neudeutsch heißt, Update oder auch Great reset der Arendtschen Analyse verlangt. Das erledigt Frau Rex klug und prägnant. Etwa wenn Arendt feststellt: "Tyrannen und Despoten haben immer gewußt, daß Gleichheit ihrer Untertanen, Ausschaltung von Rangunterschieden und Verhinderung jeder gesicherten, gesellschaftlichen und politischen Hierarchie die unabdingbare Voraussetzung ihrer Herrschaft bildet."

Eva Rex fährt fort: "Uns hingegen wird vermittelt, dass es sich um Emanzipation aus unterdrückerischen Strukturen handelt." – "Aber warum sollte der Egalitarismus vor anderen Ungleichheiten Halt machen? Zum Beispiel vor der genetischen?"

Hannah Arendt notiert: "Totale Herrschaft, die darauf ausgeht, alle Menschen in ihrer unendlichen Pluralität und Verschiedenheit so zu organisieren, als ob sie alle zusammen nur einen einzigen Menschen darstellen, ist nur möglich, wenn es gelingt, jeden Menschen auf eine sich immer gleichbleibende Identität von Reaktionen zu reduzieren, so daß jedes dieser Reaktionsbündel mit jedem anderen vertauschbar ist. Es handelt sich dabei darum, das herzustellen, was es nicht gibt, nämlich so etwas wie eine Spezies Mensch."

Eva Rex – Hannah und Eva, fällt mir gerade auf, was für ein schönes Namenspaar – entwirft dazu ein treffendes Gleichnis: Das Ziel der globalistischen Eliten sei es, "die Menschen zu Plastikgranulat zu zerreiben, damit aus ihnen, bei Bedarf, eine neue PET-Flasche geformt werden kann. ... Und dafür braucht es die Homogenisierung – das Zerreiben der Menschen zu ethisierten, ökologisierten, pazifizierten, feminisierten und durchgegenderten Bestandteilen des humanitären Universalismus."


PS: Selbstredend geht die Autorin auch noch auf die totale Mobilmachung gegen Corona ein. Ich bescheide mich auf eine Sottise: "Corona ist eine Servilitäts-App, die nach Belieben aktiviert werden kann." Die weitere Lektüre stelle ich nicht nur anheim, sondern empfehle sie nachdrücklich.

                            
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Noch zum Vorigen.

Der israelische Bestseller-Autor und jugendtaugliche Welterklärer Yuval Noah Harari macht sich auch so seine Gedanken über Corona; im Interview mit t-onlie sagt er:


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Aber:


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Bemerkt der Mann den Widerspruch nicht? Oder ist es die mutwillige Beschränkung auf "ein paar Milliardäre", mit der er sich davonstehlen will? Der Witz an den aktuell laufenden "Verschwörungen" besteht ja darin, dass sie nicht oder nur zum Teil im Geheimen, in den sprichwörtlichen Hinterzimmern stattfinden, sondern, wie die Reden von Emmanuel Goldstein in "1984", vor aller Augen gezeigt werden. "Great reset", "Große Tranformation", Globaler Pakt für Austausch-("replacement")-Migration, die Allianz von Big Data, Pharmaindustrie und Regierungen bei der Freiheitseinschränkung der Bürger unter dem Vorwand der Pandemiebekämpfung, die Neuaufteilung der Märkte unter einer Handvoll Großkonzerne durch Ausschaltung des Mittelstands, die Entmachtung der nationalen Parlamente, die Pläne des Weltwirtschaftsforums* zur Vergemeinschaftung von Wohnungen, Autos etc., die totale elektronische Überwachung in China – jeder kann zuschauen dabei. Nur muss er sich hüten, sich einen Reim bzw. eine Dingenstheorie darauf zu machen. Dann wird er gesperrt. Würde übrigens auch Harari so gehen. Vielleicht ist er einfach nur clever.


* Diese Pläne sind hier in einer Acht-Punkte-Prognose gelistet. Punkt 1: "Alle Produkte verwandeln sich in Serviceleistungen. 'I don't own anything. I don't own a car. I don't own a house. I don't own any appliances or any clothes'." Neckisch auch Punkt 6: Die "hochgebildeten syrischen Flüchtlinge" werden anno 2030 unsere CEOs sein (warum eigentlich nicht in Syrien? Und teilen sie sich ihre Wohnungen und Klamotten auch mit den ungläubigen CEOs?). Klartext spricht dann Punkt 7: Die westlichen Werte sind überholt. Dass Punkt 8 die baldige erste Marslandung ankündigt, könnte man für Satire halten, aber eine nach dem Geschmack des Weltwirtschaftsforums eingerichtete Erde würde der Besiedelung des Roten Planeten einen unverhofften Sinn zuwachsen lassen – ich sprach oben ja davon –: den des Exils. Das neue Amerika quasi.


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Apropos Milliardäre – deren einer ist ja Billyboy – und etwas nicht bemerken: Den Aufstieg der FAZ vom Selbstverständigungsorgan der bundesdeutschen zumindest geistigen Eliten zum prachtvollen Politnuttenblatt illustriert Alexander Wendt am Beispiel eines unkommentiert und kontextfrei in die "Zeitung trotz Deutschland" eingerückten Selbstbejubelungsartikels von eben jenem Billyboy (der dem Blatt vorher ein bisschen Geld – aber nicht viel – gespendet hat; immer einen Schritt nach dem anderen):


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(Hier.)

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