Stationen

Sonntag, 10. April 2022

Wie in Sant'Anna di Stazzema und My Lai

 

Massaker von My Lai

Die ungebildeten, opportunistischen, rückgratlosen deutschen Journalisten messen mit zweierlei Maß, je nach dem, ob ein Massaker von den "demokratieexportierenden" USA angerichtet wird oder von Russland, das seine eigenen Interessen unverblümt verfolgt (und dabei nicht einmal mehr etwas vom weltweiten Sieg des Kommunismus schwafelt). Wenn die USA dabei tatsächlich erfolgreich die Demokratie verbreiten würden und die Menschen ihnen begeistert Triumphbögen bauen würden, könnte man ihre Brutalität ja noch verstehen. Aber so ist es ja nicht. Der Hass auf die Amerikaner wird bei jedem dieser unglücklichen, erfolglosen und dennoch monoton wiederholten Eingriffe größer.

Die unverhältnismäßige Haltung des deutschen Journalismus gegenüber den USA einerseits und Russland andererseits, ist jedoch nur der banalste Aspekt des Missverhältnisses bei der Darstellung der heutigen Lage der Dinge. Die Gewalttätigkeit der Russen, die derzeit die Menschen überrascht, empört und wütend macht, ist nur zu einem Teil eine Schuld der Russen. Der wichtigste Aspekt in dieser Situation betrifft - wie in My Lai und wie zuvor in den Dörfern des Appennin - das Verhalten der Regierung des okkupierten Landes. Wenn sie - wie Mao Zedong dies in seiner Schrift über den Guerrillakrieg fordert - die Bevölkerung dazu aufruft, die Kombattanten so zu unterstützen, dass diese sich "im Volk wie ein Fisch im Wasser bewegen" kann, dann hebt sie die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten offiziell auf. Und dann darf sie sich nicht wundern, wenn ihre Bürger, so schön der heroische Stolz von Großmüttern mit Gewehr und Kindern als Botengängern auch sein mag, genauso behandelt werden wie feindliche Soldaten. "Aber sie werden ja nicht genauso behandelt, denn Soldaten werden schließlich nicht vergewaltigt! Und hier werden Familien massakriert!!", lautet vorhersehbar der Einwand. Doch das ändert nichts, denn diese Konsequenzen entstammen genau dem Geist, den man rief: Der Invasor sieht nun nämlich nicht nur in jedem Bürger einen Feind und entledigt sich bald jeder soldatischen Tugend, er fühlt sich auch überall und allzeit bedroht, lebt Tag und Nacht, egal wo er sich befindet, in Angst und verliert zwangsläufig die Kontrolle über sein eigenes Handeln. Er dreht völlig durch und wird zum reißenden Tier. Das passiert mit jeder Truppe, die in eine solche Situation gerät; in der Ausweglosigkeit wird sie alles Mitmenschliche sehr bald hinter sich lassen. Gefährlich ist's, den Leu zu wecken, verderblich ist des Tigers Zahn, doch der schrecklichste der Schrecken, das ist der Mensch in seinem Wahn. Die Soldaten der Wehrmacht, die im Apennin die Partisanen bekämpften, begannen ganze Dorfbevölkerungen einschließlich der Alten, Kinder und ihrer Mütter in Kirchen zu sperren und mit Maschinengewehren niederzumähen, um die Aktionen der Partisanen entweder zum Abbruch zu bringen oder ihnen die Unterstützung der Bevölkerung durch diese Abschreckung zu nehmen. Aber selbst bei dieser skrupellosen Brutalität, haben diejenigen die größere Schuld, die der Bevölkerung einredeten, es bestehe keinerlei Risiko für sie und es sei ihre patriotische Pflicht, die Partisanen zu unterstützen. Wobei es sich bei der verklärten Resistenza um "Widerstandskämpfer" handelte, die 20 Jahre lang gegenüber Mussolini nie Widerstand geleistet hatten und 1943, als deutlich wurde, dass Deutschland den Krieg verlieren würde, plötzlich die Resistenza mobilisierten, um rechtzeitig auf der Gewinnerseite stehen zu können (der Realitätssinn der Italiener war damals schon intakt) und auf den Wagen des vorhersehbaren Siegers als Quasisieger aufspringen zu können. 


Auch in My Lai wurde die Bevölkerung zum Opfer von Truppen, die durch den Guerrillakrieg (einen totaleren Krieg gibt es nicht) entmenschlicht wurden. Und heute passiert früher oder später gewiss in der Ukraine wieder dasselbe (vielleicht ist es schon so weit), ganz einfach weil es passieren muss (dass die Azov-Nazis gleichzeitig vielleicht auch False Flag Operationen durchführen, steht auf einem anderen Blatt und ist weniger gewiss, aber durchaus nicht auszuschließen).

Abgesehen von diesen Gemeinsamkeiten, die bei einer vergleichenden Betrachtung dieser drei Kriege unübersehbar ist, gibt es jedoch auch große Unterschiede. Mir ist nicht bekannt, dass die Wehrmacht im Appennin Massenvergewaltigungen durchgeführt hätte (die befreienden Alliierten dagegen drückten ein Auge zu, als ihre Kolonialtruppen in der Ciociaria wüteten). Und ein noch gravierender Unterschied betrifft nicht die übergeschnappten Bodentruppen, die gegenüber einem Volk, das sich an Maos irre Instruktionen hält, Verstand und Würde verlieren, sondern die Entscheidungen, die im Weißen Haus getroffen worden waren: Clusterbomben wurden auf vietnamesische Dörfer geworfen. Diese Bomben enthielten Kugeln mit einem Durchmesser von 8 cm und diese Kugeln wiederum kleinere Kugeln und die kleinen Kugeln Schrotkugeln.

Das Prinzip hatte schon Leonardo da Vinci dargestellt

Das einzige Ziel dieser Bomben sind Menschen. Bei Leonardo waren diese Bomben gegen feindliche Truppen gerichtet, gegen Soldaten und Pferde, aber die Schrotkugeln der amerikanischen Clusterbomben drangen durch die Wände der vietnamesischen Hütten wie ein Frühstücksmesser durch die Butter. Die vietnamesischen Familien wurden direkt bei sich zuhause durch diese entsetzlichen Geschosse, die ich nicht einmal als Waffen bezeichnen kann, umgebracht oder schwerst verletzt, wenn sie in die Gedärme drangen und Verletzungen bewirkten, die praktisch inoperabel waren und zu einem qualvollen Tod führten. Es sind diese Dinge, die das böse Wort vom Völkermord rechtfertigten (während es den Ukrainekrieg betreffend völlig fehl am Platz ist) und die Gudrun Ensslin bei der Vorbereitung des Russell Tribunals übersetzte, was dann auf Grund des allgemeinen Desinteresses für die Urteile des Tribunals bei den europäischen Regierungen zu Ensslins Radikalisierung führte.

Ich habe diese Sachverhalte seit langer Zeit nicht mehr in Gesprächen erwähnt. Aber jetzt werden sie dank einer (wie damals in den 70ern) inkompetenten, willfährigen Journalistenkaste wieder aktuell.

Mossul, eine Dreimillionenstadt, die durch Bomben der USA 2003 und 2017 weitgehend zerstört wurde

Dass die USA, die auf der Suche nach Massenvernichtungswaffen, die gar nicht existierten, 100000 wehrlose Irakener innerhalb kürzester Zeit durch ihre Bombardierungen über den Acheron schickten, jetzt zetern, weil Putin bei der Sicherung seines Meerzugangs ebenfalls ein paar tausend Ukrainer tötet, ist eine unverschämte Takt- und Geschmacklosigkeit. Die EU wollte unbedingt abrüsten und gleichzeitig Warschauer Pakt Staaten aufnehmen. Das geht aber nur, wenn man sich an Russland bindet. Also entweder die Vereinigten Staaten von Europa paktieren mit Russland (bzw. eine deutsch-russische Achse schafft die Vereinigten Staaten von Eurasien) oder die EU wird zu den Vereinigten Staaten von Europa und rüstet auf, statt sich auf den großen Sohn hinter dem Atlantik zu verlassen. Da die EU nicht Fisch und nicht Vogel ist und Multitasking beherrscht wie Anne Spiegel, wurde letzteres versäumt, und jetzt ist es zu spät dafür.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.