Stationen

Donnerstag, 12. November 2015

Spannend

Ein befreundeter Publizist berichtete mir heute von einem Erlebnis seiner Tochter am Hauptbahnhof in Mainz: Sie betrat dort – wie an jedem Werktag – mit ihren beiden kleinen Kindern den Bahnsteig, um mit der S-Bahn zwei Stationen weit vom Kindergarten nach Hause zu fahren. Mit ihr an den Gleisen standen drei Schwarze, „rabenschwarz“, die herüberblickten, einander ein paar Worte zuwarfen und sich dann hemmungslos in Szene setzten:

Der eine packte den zweiten, drückte ihn an einen der Schautafeln mit den Wagenstandsanzeigern, schob ihm die Beine auseinander und begrapschte ihn. Der rief „no sex, no sex“, wurde aber von dem dritten mit eindeutigen Bewegungen und Geräuschen pantomimisch vergewaltigt. Das dauerte nicht besonders lange, man ließ bald voneinander ab und drehte sich mit breitem Grinsen zu der jungen Mutter um, warf Kußhändchen und gestikulierte einladend und herrisch.
Es rollte die Bahn ein, die Tochter meines Bekannten stieg ein, die drei Neger nicht.
Aufatmen! Im Kopf tausend Fragen, zunächst die naheliegenden, aus der Situation entstandenen: Steigt man wieder aus, wenn solche Männer ebenfalls einsteigen? Wer war noch auf dem Bahnsteig? Anzeigen, jetzt gleich, die Polizei rufen? Wie die Kinder schützen?
Dann: Wie weiter? Morgen wieder an derselben Stelle denselben Zug nehmen? Rhythmus ändern? Mit dem Auto fahren? Jemanden mitnehmen, um nicht allein zu sein?
Schleife des Aufatmens, der Hemmung: Hab dich nicht so, alles halb so wild. Man kann ja schreien oder blöd zurückgrinsen, und die Typen sind morgen eh nicht mehr da.
Aber gleich wieder ernst: Pfefferspray kaufen, vielleicht ein Döschen ausprobieren, wer kann mir das zeigen? Das ältere Kind könnte sich bereits angemessen verhalten, also schreien, auf sich aufmerksam machen: Soll man ihm das beibringen? Was denkt das Kind, wenn man’s ihm erklärt? Ist das tatsächlich notwendig? Dann doch lieber das Auto nehmen.
Das als Paraphrase dessen, was der befreundete Publizist erzählte. Was war das, was ist da geschehen? Die Vergewaltigungsszene, vorgestellt und nachgespielt am hellichten Tage und in öffentlichstem Raum, ist ein Teil jener Hemmungslosigkeit, die ich überall beobachte: Es ist die zunächst vorspürende, tastende, dann ungebremst ablaufende Okkupation und Veränderung der Gepflogenheiten, die uns in unserem Land ein Höchstmaß an Sicherheit garantierten.
Das eigene Kind mit neun, zehn Jahren mit der Bahn von Naumburg nach Frankfurt reisen lassen, mit ein Mal geübtem Umstieg in Fulda oder Erfurt: das geht nur, wenn man weiß, daß Pünktlichkeit, Ordnung, Anstand und Sicherheit auf einer Distanz von hunderten von Kilometern und an unterschiedlichsten Orten einem mühsam eroberten Standard genügen.
Der Verlust solcher Standards, der Verlust der inneren Sicherheit, der beinahe grenzenlosen Bewegungsfreiheit innerhalb einer durch Grenzen gesicherten Lebensordnung  - das sind Substanzverluste, die man nicht in ein paar Monaten wieder ausgleicht oder zurückgewinnt.
Wenn jemand sagt, er fände es total spannend, was gerade mit Deutschland passiere, wünsche ich ihm an jede Hand ein Kleinkind und ein paar geile Szenen auf Gleis vier. „Spannend“ bedeutet heute: wir schauen bloß noch zu.

Kubitschek am 2. November 2015

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