Stationen

Montag, 30. November 2015

Rückzug



Gunnar Heinsohn weist im Focus darauf hin, wie absurd ein Land wirkt, das nicht in der Lage ist, seine eigenen Grenzen zu sichern, aber in Mali mitzuschießen gedenkt, und zwar aus Gründen, die so unausrechenbar weit von deutschen Interessen entfernt sind, dass man sie offiziellerseits nur unter der Dorfzauberer- und Schamanenmaxime „Eindämmung der Terror- und Fluchtursachen“ rubriziert (man wird uns mit Beschwörungsformeln aus dieser Sphäre in den kommenden Monaten bis zur Hirnerweichung traktieren).

In die Kategorie des Absurden gehören auch die ersten Ankündigungen zum Einsatz der Bundeswehr gegen den IS oder Daesh, sowohl überhaupt als auch en detail. Warum bitteschön und zunächst einmal sollen junge deutsche Männer in Syrien kämpfen, während junge syrische Männer deutsche Straßencafés und Supermärkte frequentieren? (Die inoffizielle Antwort ist in diesem Konflikt immer dieselbe: Wer weiß, gegen wen sich die Waffen am Ende richten würden, die wir in fremde Hände geben?) Was die konkreten Einsatzgebiete betrifft, kann selbst der militärische Laie nur den Kopf schütteln darüber, dass die Marine angeblich Kampfschiffe zum Schutz des französischen Flugzeugträgers "Charles de Gaulle" stellen wird – gegen wen werden sie diese schwimmende Festung wohl schützen? Gegen Kalifats-Kampftaucher mit Torpedogürteln? Gegen Putin? Es scheint sich um eine eher symbolische bzw. fingierte Beteiligung an einer ohnehin halbherzigen Aktion zu handeln, bei der völlig unklar ist, wer sie führt und wohin, welches Ziel sie hat, wer zu den Feinden gehört, wann sie beendet sein wird etc.

Zugleich genügt die deutscherseits bekundete neue Waffenbrüderschaft selbstredend, unser Land als Anschlagsziel ins Gerede rauschebartumflorter Münder zu bringen. Hier darf man übrigens und am Rande als Erinnerung einstreuen, was zum Beispiel die deutsche oder die englische Zivilbevölkerung 1940 bis 1945 beinahe stoisch aushielten, um zu ermessen, welche mentalen Verwandlungen sich vollzogen und den Westen verspeckkäfert haben. Kein einziger der bisherigen islamistischen Anschläge in Westeuropa hätte es 1941ff. in die "Wochenschau" geschafft, und zwar nicht wegen Lügenpresse und so, sondern wegen Geringfügigkeit. Mit der deutschen Truppe vor 70 oder 100 Jahren wäre der Fall Daesh in einer Woche erledigt (wobei gegen diese Truppe in Nordafrika ohnehin niemand antreten würde), aber Europas Aderlass in zwei Großkriegen hat bekanntlich zu einer demografischen Erschöpfung, allgemeinen Verweichlichung und Pazifizierung geführt, die den Einsatz von Bodentruppen und überhaupt Opfer heute unvermittelbar macht – bei durchschnittlich nicht einmal zwei Kindern pro Frau stirbt mit jedem toten europäischen Soldaten, worauf Gunnar Heinsohn beharrlich insistiert, eine Familie aus – und die gesamte Hoffnung des Westens auf die Technik lenkt.

Der Drohnenkrieg etwa ist zwar nicht besonders heroisch, aber recht wirkungsvoll, und anscheinend hat er dazu geführt, dass fast jeder noch nicht ferngesteuert exekutierte Al-Kaida-Führer rund um die Uhr in lähmender Angst lebt.

Vielleicht richtet man sich in Washington, Jerusalem und Brüssel unter anderem deshalb auf einen "neuen Dreißigjährigen Krieg" (Martin van Creveld) ein, weil die nächste Kampfrobotergeneration vor der Einsatzreife steht und Zeit gewinnen alles gewinnen heißt? 

Das klingt nach science fiction, aber an den Drohnenkrieg hätte vor 20 Jahren ja auch kaum jemand geglaubt. Die Technik ist das letzte Refugium des Westens, der Weißen überhaupt, nachdem sie als reine Biomasse längst im Verdrängtwerden begriffen sind. Die Türkei schließt mit dieser Tatsache momentan Bekanntschaft, und Erdogans neue Silberzüngigkeit kündet davon – mit dem S-400 stationieren die Russen ein Waffensystem in Syrien, das die gesamte türkische Luftfahrt auslöschen kann.




Als semiprofessioneller Träumer hätte ich freilich einen anderen Vorschlag, den Konflikt mit dem Orient für den nächsten Äon beizulegen (keinen wirklich neuen, Philip Roth etwa hat ihn bereits 1993 in seinem Roman "Operation Shylock“ durchgehechelt, nach ihm gelegentlich Henryk M. Broder und wer weiß, wer sonst noch alles). Angesichts der inzwischen auch vielen Weltverbrüderern dämmernden Einsicht, dass zwischen Morgenland und Abendland womöglich doch mehr Mauern als Brücken bestehen, wäre eine geografische Scheidung der Sphären die beste Lösung.

Wie wäre es, wenn der Westen Israel aufgäbe, sämtliche Einwohner nach Europa umsiedelte, vorzugsweise nach Deutschland, und das Land den Muslimen überließe? Das wäre schmerzlich, allein wegen des Wetters, doch ein paar unverzichtbare historische Großodien – Klagemauer, Teile Jerusalems, Ölberg-Friedhof und andere Grabesstätten, Jesu Grabes- und Geburtskirche, Masada u.a.m. – könnte man trosthalber nach Europa bringen; ein Geschlecht, das imstande war, den kompletten Ramses-Tempel von Abu Simbel an einen anderen Ort zu versetzen, vermag auch die Klagemauer mitsamt der tiefsten Tempelfundamentreste zu verschiffen, und zwar am besten nach Berlin, wo sie das geschmacklose Holocaustgedenkverherrlichungs-Betonstelenfeld ersetzen könnte. Für Masada wiederum wäre Platz auf dem Lilienstein an der Elbe, gegenüber der Festung Königstein, die mir schon immer wie eine paradoxerweise deutlich jüngere Zwillingsschwester der Herodes-Zitadelle erschienen ist.

Im Gegenzug dürfen alle Muslime Europa verlassen und sich am Jordan ansiedeln, denen es hier nicht gefällt; überdies könnten Gewalttäter und Terroristen fürderhin elanvoll nach Palästina abgeschoben werden. Wäre es nicht die schrillstmögliche Pointe der verkorksten deutsch-jüdischen Geschichte, wenn zuletzt die israelische Armee die Bundeswehr ersetzte, weil jenes Land, in dessen Namen der Holocaust veranstaltete wurde und zu dessen militärischer Niederwerfung in zwei Weltkriegen sich zweimal wirklich die Welt zusammenschließen musste, inzwischen nahezu verteidigungsunfähig ist?

Überhaupt gefiele mir die Vorstellung, dass Israelis deutsche Interessen vertreten, auch die dortzulande lange gesammelte Erfahrung in der Behandlung von Gottesterroristen käme dieser Republik sehr zupass, der jüdische Geist überhaupt; so enthusiasmiert mich an dem Gedankenspiel die Vorstellung, dass jüdische Kabarettisten die humoramputierten Gesslerhutgrüßer ablösen würden, die sich hier breitgemacht haben, und noch mehr kitzelt mich die Vorstellung, dass die "Judenpresse" wiederkehrt und den Abgang der Lücken-, Moralseim- und Gesinnungspresse derzeitigen Zuschnitts fröhlich forciert.

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