Der „Fall“ von Akif Pirinçci
läßt sich auf zweierlei Weise erzählen. Erstens als ein persönliches,
von bösen Märchenmotiven durchwebtes Psychodrama. Darin gibt es einen
Hans im Glück, den Katzenkrimi-Bestsellerautor, der mit einer zweiten
Karriere als politischer Publizist durchstartet und für Furore sorgt,
weil er Positionen angreift oder festklopft, wie das kein anderer in der
Deutlichkeit auszudrücken wagt.
Er wird von den Medien gehaßt, beschimpft und bekämpft, aber das
mehrt nur seinen Ruhm. Einschüchtern läßt er sich nicht, denn der
Goldklumpen, den er in der Hand hält – die Millionenauflage seiner
Krimis –, ist ein unwiderlegbares Argument.
Doch weil es immer noch schöner kommen soll, verliert er, unberaten
und angefeuert von der Fangemeinde im Internet, den Sinn für die
Kräfteverhältnisse und für die Grenzen, die sogar ihm, dem
Unangreifbaren, gesetzt sind. Sie sind zwar willkürlich und ihre
Übertretung ist gerechtfertigt, doch so zu tun, als existierten sie
nicht, ist ab einem bestimmten Punkt nicht mehr tollkühn, sondern
selbstmörderisch.
Zum „Aussätzigen“ erklärt
Und so kam, was kommen mußte: Die
Pegida-Rede, die ihn auf einen neuen Gipfel provokanter Wirkung und des
Ruhms führen sollte, stürzte ihn in die Niederungen der Verdammnis. Als politischer Publizist sowieso, aber auch als Schriftsteller und Person ist er zum „Aussätzigen“ (Jan Fleischhauer im Spiegel)
geworden. Und der Goldklumpen hat sich mit der Entscheidung des zum
Bertelsmann-Konzern gehörenden Verlags Random House, die Katzen-Krimis
aus dem Sortiment zu nehmen, ebenfalls verflüchtigt.
Die Erklärung aus dem Psychodrama ist nicht ganz falsch, aber zu
simpel. Sie reduziert den Fall auf den eines Borderliners und weist ihm
die Schuld zu. Weil sie die politische Dimension außer acht läßt, muß
sie zweitens um eine exemplarische Lesart ergänzt werden, die die
Mechanismen, gegen die Pirinçci angerannt ist und die ihn zu Fall
gebracht haben, berücksichtigt.
Faktisches Berufsverbot für Pirinçci
Akif Pirinçci hat gegenwärtig nur noch eingeschränkte Publikations-
und Erwerbsmöglichkeiten. Er unterliegt keinem formellen, aber einem
faktischen Berufsverbot. Sein neues Sachbuch „Die große Verschwulung“
kann nicht beworben werden. Ausgerechnet das Organ des Buchhandels, das Börsenblatt,
vermeldete im Tonfall des Triumphs die Auslistung und den
Auslieferungsstopp seiner Bücher durch die großen Verteilerzentren –
„als Konsequenz auf seine ‘KZ-Rede’“.
Der Quasi-Monopolist Amazon boykottiert ihn, Facebook hatte ihn schon
zuvor wiederholt gesperrt, der Internetauftritt wurde vorübergehend
durch den eigenen Webmaster blockiert und in einem Akt persönlichen
Vertrauensbruchs gegen ihn gerichtet.
Fritz J. Raddatz stellte 1991 anläßlich von Sanktionen, die der
Schriftstellerverband der DDR gegen mißliebige Autoren exekutiert hatte,
den Unterschied zwischen der SED-Diktatur und der Bundesrepublik
heraus: „Man kennt, bislang, keinen Beleg dafür, daß westliche
Schriftsteller die eigenen Kollegen drangsalierten, sich – über die zum
Metier gehörende Häme hinaus – beteiligten an Unrecht, die Hand reichten
zur ‘Maßnahme’.“
Heute muß man das Wörtchen „bislang“ dick unterstreichen.
Maßnahmen wie aus DDR-Zeiten
Das Verhalten des Börsenvereins ist den unkollegialen „Maßnahmen“ aus DDR-Zeiten durchaus vergleichbar. Und der hämische Spiegel-Online-Kommentar
der Schriftstellerin Sibylle Berg: „Das Gute an dieser (Pirinçcis)
Taktik – die Sache erledigt sich dann irgendwann von selber“, erinnert
sehr an die Worte eines DDR-Verbandspräsidenten, der einem nach
zermürbender Stasi-Observation ausgereisten Schriftstellerkollegen
nachrief: „Kommt Zeit, vergeht Unrat.“
Immerhin gab es nach der Biermann-Ausbürgerung im November 1976 und
auch später in der DDR eine Reihe Autoren, die Protest einlegten gegen
die Drangsalierung ihrer Kollegen, obwohl sie deren Meinung gar nicht
teilten. Heute herrscht Schweigen im Walde.
Zu den paar Ausnahmen zählt neben dieser Zeitung der Medienjournalist Stefan Niggemeier, der in der FAZ
die verfälschende Wiedergabe der „KZ-Rede“ widerlegte, nicht ohne
allerdings vorauszuschicken: „Sein (Pirinçcis) Ausschluß aus dem
öffentlichen Diskurs ist kein Verlust. Er ist ein notwendiges Signal,
daß es in einer Auseinandersetzung Grenzen gibt.“ Niggemeier möchte
aufpassen, daß in Zeiten sich verengender Grenzen dieses Verdikt nicht
eines Tages auf ihn zurückfällt. Oder ist es nur als Rückversicherung
gedacht?
Wer sich nicht distanziert, gerät selbst in Gefahr
Wie notwendig sie ist, zeigt sich am Schriftsteller Thor Kunkel, der Pirinçci Ende Oktober in einem für die JUNGE FREIHEIT verfaßten offenen Brief an Random House beigesprungen war.
Gut zwei Wochen später wurde ihm eine vereinbarte Lesung in einem
Schweizer Kurhotel abgesagt unter Hinweis auf seine Facebook-Seite.
„Ihre Meinungsfreiheit zu benützen ist wirklich Ihr Recht, die
Konsequenzen daraus zu tragen aber auch“, teilte ihm die Organisatorin
von der Agentur Kulturhotels mit. In einem Telefonat schob sie nach,
Kunkels Meinung sei „rechts“.
Im bolschewistischen Rußland gerieten jene, die sich nicht genügend
von überführten „Volksfeinden“ distanzierten, selber in Gefahr. Wer sich
hingegen an der Jagd beteiligte, dessen öffentliches Ansehen stieg.
Auch im Fall des Akif Pirinçci werden die Signale verstanden. Ein
Buchhändler, getragen vom Hochgefühl öffentlicher Empörung, lud zum
öffentlichen Schreddern seiner Bücher ein.
Ein Buchautor erhaschte kurzen Medienruhm mit der Erklärung, er könne
unmöglich weiter mit einem Verlag zusammenarbeiten, der noch immer
Pirinçcis Bücher verbreite. In einem Restaurant in Bonn wurde Pirinçci eine
Cola über den Kopf gegossen, in anderen wird er nicht mehr bedient. Die
Gemeinschaft der Guten konstituiert sich im Kampf gegen das
personifizierte Böse, den Vogelfreien.
Eine perfide Art der Kriegsführung
In Pakistan bildet ein Blasphemie-Gesetz die gesetzliche Grundlage
zur Denunziation und Verfolgung der Falschgläubigen. Wird der Delinquent
freigesprochen, nimmt sich der Mob seiner an. Bei uns geht es dezenter
zu.
Alexis de Tocqueville prognostizierte vor 180 Jahren die Zukunft der
„demokratischen Republiken“. Ihre Tyrannis ginge ganz anders zu Werke
als die der gewöhnlichen Despoten. Sie gehe „unmittelbar auf den Geist
los.
Der Machthaber sagt nicht mehr: ‘Du denkst wie ich, oder du stirbst.’
Er sagt: ‘Du hast die Freiheit, nicht zu denken wie ich. Leben und
Vermögen bleiben dir. Aber von dem Tage an bist du ein Fremder unter
uns. Du wirst dein äußerliches Bürgerrecht behalten, aber es wird dir
nichts nützen. Selbst wer an deine Unschuld glaubt, wird dich verlassen,
sonst meidet man auch ihn. Ich lasse dir dein Leben, aber es ist
schlimmer als der Tod.“
Es ist eine perfide Art der Kriegsführung. Die gegnerische Meinung
wird nicht einfach bekämpft, sondern in ein nicht Denkbares verwandelt,
indem man die psychische und soziale Person ihres Trägers zum
Schlachtfeld macht und zerstört, ihm die Märtyrerkrone aber vorenthält.
Tocquevilles Darstellung ist noch milde, da sie aus der Sicht des
angestammten Besitzbürgers verfaßt ist. Wer heute angegriffen wird,
verfügt meistens über kein Vermögen, und wer über eines verfügt, hat
dafür in der Regel die irreparable Brechung des Rückgrats erduldet.
Wer verfügt über die Kommunikationskanäle?
Gegen den Vorwurf, den Nichtbetrieb der KZs bedauert zu haben, hat
Pirinçci sich erfolgreich juristisch zur Wehr gesetzt. Doch
Unterlassungserklärungen und knappe Gegendarstellungen werden seinem
öffentlichen Ansehen kaum aufhelfen, nachdem alle Medien die Falsch- als
Spitzenmeldung präsentiert haben. Sein Fall zeigt exemplarisch, daß der
Siegeszug der Neuen Medien, statt das Tor zu einer neuen Freiheit
aufstoßen durch die Möglichkeiten unbegrenzter Information und
Kommunikation, die Möglichkeiten der Manipulation noch verstärkt hat.
Am Ende ist entscheidend, wer über die Kommunikations- und
Verteilungskanäle verfügt, wer Zugang gewährt und die Exkommunikation
aussprechen kann. In diesem Bereich schreiten die monopolistische
Konzentration, der Einfluß multinationaler Konzerne, die wiederum im
intensiven Austausch mit den politischen Entscheidungszentren stehen,
munter voran. Im Zweifelsfall wird die Bandbreite der Meinungsfreiheit
in Deutschland im Dinnergespräch zwischen Angela Merkel und
Facebook-Gründer Mark Zuckerberg festgelegt.
Zerstörung der Familie als Paradigma
Die totale Vernetzung hat eine dialektische Kehrseite: Sie kann einen
„Krawallautor“ (Pirinçci über Pirinçci) emporheben, aber eben auch zum
Verschwinden bringen. Angesichts der Konzentrationsprozesse auf dem
Buchmarkt überzeugt das Argument der Vertragsfreiheit längst nicht mehr.
In den vergangenen Jahren wurde sie durch Kampagnen zusätzlich unter
politisch-ideologischen Vorbehalt gestellt.
Das Buch „Die große Verschwulung“ ist, nebenbei gesagt, lesenswert.
Es geht kaum um Homosexuelle darin, und erst recht nicht wird gegen sie
gehetzt. Sein Grundthema ist die Zerstörung der Familie als Paradigma
für die Zerstörung der Gesellschaft. Es zielt ins Zentrum.
JF 49/15 Doris Neujahr in JF 49/15
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