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Sonntag, 20. Juni 2021

Sloterdijk war zu lange in Oshos Aschram

 In seinem Buch „Du mußt dein Leben ändern” widmet sich Peter Sloterdijk ein paar Seiten lang dem Phänomen der Identität. Er tut dies auf recht unfreundliche Weise. Identität ist für den Denker „das Recht auf Faulheit”, sie steht also dem Leitmotiv des Buches, der Aufforderung zur permanenten Selbststeigerung, entgegen.

„Meine Identität besteht in dem Komplex meiner unrevidierbaren persönlichen und kulturellen Trägheiten”, statuiert Sloterdijk. Sie sei der „Leitwert im Basiskulturlager (…) Entscheidend ist, daß der Gedanke an neuen Höhen verpönt sein muß” – bei dieser Gelegenheit fällt mir auf, dass der Autor im Basiskulturlager der alten Rechtschreibung biwakiert, was keine Kritik ist –; „würden solche erklommen, könnte eine Wertminderung bei den eingelagerten Beständen eintreten. Wenn und weil im Basislager das bisher Erreichte als solches unter Kulturschutz gestellt wird, bedeutet jedes Expeditionsprojekt in der Vertikalen einen Frevel, eine Verhöhnung aller gerahmten Werte. Im Identitäten-Regime werden sämtliche Ideen devertikalisiert und der Registratur übergeben. (…) Identität liefert folglich den Super-Habitus für alle, die so sein wollen, wie sie aufgrund ihrer lokalen Prägungen wurden, und meinen, das sei gut so. Auf diese Weise stellen die Identischen sicher, außer Hörweite zu sein, sollte unvorhergesehen wieder der Imperativ ‚Du mußt dein Leben ändern!’ zu hören sein” (S. 296 ff.).

Sloterdijk setzt hier den Willen, seine Identität zu behaupten – die für das gesellschaftliche Wesen Homo sapiens immer eine kollektiv geprägte ist, sogar für Robinso Crusoe – mit der erzkonservativen Verweigerung gegenüber jeder Veränderung, jeder Art Wandel in eins (Verwesung ist, so Gómez Dávila, übrigens auch ein Wandel). Das mag vielleicht für gewisse orientalische oder subsaharische Identitäten gelten, aber die abendländische, die Spengler die „faustische” genannt hat, bedeutet genau das Gegenteil, in ihr ist die Vertikalspannung hoch und das permanente Hinauf Programm. „Du musst dein Leben ändern!” ist abendländische Identität.

Das Buch erschien 2009. Inzwischen ist das Identitätsproblem hochexplosiv geworden – im Basislager, um in Sloterdijks Bild zu bleiben, wird es ungemütlich. In den westlichen Gesellschaften prallen die Identitäten aufeinander, ob nun an den Universitäten oder auf nächtlichen Straßen, und für viele weiße Westler wird in den Zeiten von „Identity politics” und fortschreitender Islamisierung das Verleugnen der eigenen zum passabelsten Modus des Durchkommens. Die widerständigen Identitären indes, man halte von ihnen, was man will, sind zumindest eines nicht: träge. Auch die Trojaner oder 1683 die Wiener waren nicht träge und haben ihre Identität verteidigt. Identität war zu allen Zeiten eine Überlebensfrage – das Basislager ist kein schlechtes Bild dafür; hat man es nach der Gipfelbesteigung wieder erreicht, hat man überlebt –, und sie ist es heute wieder, mag es in der Welt der „Anywheres” zwischenzeitlich auch so aussehen, als hätte man diese Frage hinter sich gelassen. Sie wird sich neu stellen, oft auf aggressive, gewalttätige Weise. Auch den nach eigener Auffassung identitätslosen „Anywhere” retten im Ernstfall nichts und niemand vor jener Identität, die ihm die Gegenseite kurzerhand zuschreibt.


Leicht beieinander wohnen die Illusionen,

Doch hart im Raume stoßen sich die Dinge.

 

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