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Mittwoch, 9. Juni 2021

Israel und die Demographie (Teil 4)

Am 23. 9. 2015, im Monat der Merkel'schen Grenzöffnung, äußerte der deutsch-israelische Historiker Michael Wolffsohn:

"Migration ist ein Geschenk des Himmels", und böte eine "Lösung oder zumindest Milderung des demographischen Problems" Deutschlands:


Es kommen in Deutschland und Westeuropa weder genügend Kinder zur Welt, noch kommen genügend Einwanderer. Wir haben also ein demographisches Defizit. Darum werden wir unseren Lebensstandard auf Dauer nicht halten können. Jetzt kommen diese viele Menschen. Das mag manchen gefallen und manchen nicht. Aber sie lösen das schwerwiegende demographische Problem der Bundesrepublik. Zumindest mildern sie es.


Das ist natürlich exakt die Ideologie der "Ersetzungsmigration" (replacement migration), die davon ausgeht, daß die Bevölkerung eines Landes durch jede beliebige Fremdbevölkerung ersetzt (oder "ausgetauscht") werden kann, eine Annahme, die der konstitutiven Bevölkerungspolitik Israels diametral entgegengesetzt ist.

Angesprochen auf das Problem, daß hier nun vorrangig Muslime kommen, äußerte Wolffsohn die Hoffnung, daß sich diese mit der Zeit sozusagen akklimatisieren, also liberalisieren, säkularisieren und "eine Entwicklung hin zu einem Reformislam anbahnen" werden.

2018, drei Jahre später, zeigte sich derselbe Wolffsohn in der Neuen Zürcher Zeitung nicht mehr ganz so "optimistisch" und beklagte den wachsenden Antisemitismus in Deutschland und Europa, verursacht durch "muslimische Zuwanderung", freilich ohne ein Wort darüber zu verlieren, daß er diese 2015 selbst enthusiastisch begrüßt hatte.

Wolffsohn (geboren 1947 in Tel Aviv) war übrigens bis 1984 sowohl deutscher als auch israelischer Staatsangehöriger, und sein Interesse daran, daß Israel ein "jüdischer Staat" bleibt, ist bis heute ungebrochen.




Am selben Tag wie das Wolffsohn-Interview erschien in der FAZ eine Ermutigung von Moshe Zimmermann, einem israelischen Historiker, und Shimon Stein, dem ehemaligen israelischen Botschafter in der Bundesrepublik, mit dem Titel "Was kann Europa von Israel lernen?"

Stein und Zimmermann versuchten darin, den Deutschen Ratschläge zu erteilen, wie man eine "Masseneinwanderung verkraften kann", nicht ohne zu erwähnen, daß Europa im Gegensatz zum dicht besiedelten Israel noch eine Menge Platz übrig habe:

Als die Fachleute seit Ende des 19. Jahrhunderts über die zionistische „Lösung der Judenfrage“, also die jüdische Auswanderung nach Palästina debattierten, galt oft der Platzmangel für die Millionen Juden, die dorthin auswandern sollten, als das Hauptargument gegen die Plausibilität dieser Lösung. Unmöglich, lautete das Urteil. Doch in einem Land, in dem vor 100 Jahren etwa nur eine halbe Million Menschen wohnten, davon weniger als ein Drittel Juden, wuchs die Bevölkerung auf 12,5 Millionen Einwohner. Etwa acht Millionen Israelis, 1,7 Millionen davon arabische oder palästinensische Israelis sowie 4,5 Millionen Palästinenser in den besetzten Gebieten.

Die Bevölkerungsdichte eines Landes ist also eine äußerst flexible Gegebenheit. In diesem Sinne ist der gegenwärtige, relativ bescheidene Bevölkerungszuwachs in Europa, der durch die Flucht aus Süden und Osten verursacht wird, an und für sich noch kein Grund zur Panik.

Ich erspare mir hier die Wiedergabe der Argumentation im Detail, sondern merke lediglich an, daß Zimmermann und Stein in diesem Text gezielt die Tatsache herunterspielen, daß die "Masseneinwanderung" nach Israel nach 1948 trotz aller relativen "Buntheit" der Herkunftsländer gezielt nach ethnokulturellen Kriterien und demographischen Erwägungen erfolgte. Man liest darin Sätze wie diese:
Innerhalb von nur drei Jahren nach der Staatsgründung 1948 wuchs die Bevölkerung Israels von etwa 800.000 auf 1,7 Millionen Menschen. Die Mehrheit der Neueinwanderer kam aus Asien und Afrika.
Stein und Zimmermann verschweigen, daß diesem Bevölkerungszuwachs die Vertreibung von etwa 750,000 Arabern voranging, und sie vernebeln sprachlich, daß die Neueinwanderer keine "Asiaten" oder "Afrikaner" waren, sondern schlicht und einfach Juden aus Nordafrika und Vorderasien.
Wenn aber Deutschland und Europa Millionen von Arabern aufnehmen, betreiben sie das exakte Gegenteil der historischen Einwanderungspolitik Israels - sie stärken damit nicht die eigene ethnokulturelle Gruppe und Nation, sondern schwächen sie durch Fragmentierung.


Genau diese Bevölkerungspolitik Israels, entlang eines Volks-"Konstruktes" (wie sie es nennen), sollen die Deutschen und Europäer nach Stein und Zimmermann nicht nachmachen, sondern sich vielmehr zu Verfassungs- und Universalnationen à la USA umgestalten. Wo Israel die Masseneinwanderung benutzt hat, um einen Nationalstaat zu erschaffen, soll Europa durch Masseneinwanderung die Auflösung der Nationalstaaten im herkömmlichen ethnokulturellen Sinne bewirken:


Was Europa und Deutschland [aus der israelischen Einwanderungspolitik] lernen können, ist selbstverständlich nicht, eine neue Art von Volksgemeinschaft ethnischer Prägung einzuführen, sondern einen Rahmen zu konstruieren, der die Aufnahme und Integration dieser bunten Mischung von Einwanderern erlauben und verkraften wird. Hierfür ist eher Amerika ein Vorbild. (....)

Europa hat sich in der Vergangenheit mehrfach radikal verändert – die Reformation, die französische Revolution, der zweite Weltkrieg waren tiefe Einschnitte, haben jeweils eine neue Phase eingeleitet, die mit demographischen Wandlungen auch einhergingen. Wenn man es der Verfassung, nicht der ethnischen Zugehörigkeit, als Aufgabe zuweist, diese Wandlung zu meistern, ist auch der neue Versuch nicht zum Scheitern verurteilt.

Zu diesem Zweck sollen die Europäer einen „harten", aber nicht-ethnischen Kern" ihrer Kultur "definieren und markieren":

Ein Kern, der unabdingbar für die Einwanderer, inklusive aufgenommener Asylbewerber, Geltung haben muss: Toleranz, liberale Demokratie – all das, was unter Menschen- und Bürgerrechten verstanden und unter dem Begriff Verfassung subsumiert wird.
Etwas doppelzüngig erscheint diese Konzession an das liberale Publikum:

Diesbezüglich ist das israelische Modell eher eine Mahnung – wenn die Ethnie statt der Verfassungswerte zum bestimmenden Kriterium für Integration wird, auch wenn es scheinbar erfolgreich wirkt, ist es keine für Europa brauchbare Lösung. Leider auch nicht für die israelischen Araber oder für die in Israel Asylsuchenden.

Das ist ein schönes Lippenbekenntnis, aber wären Stein und Zimmermann wegen dieser Unpäßlichkeiten für Araber und Asylsuchende ernsthaft bereit, den ethnischen Kern der israelischen Nation aufzulösen und abzuschaffen? Vermutlich nicht. Deutschland und Europa wird diese ethnokulturelle "Veränderung" jedoch nahegelegt, und mit etwas Anstrengung werde man auch das Hereinströmen von Muslimen verdauen können:

Trotz der islamistischen Tendenzen in Europa und in den Ursprungsländern der Flüchtlinge wie Syrien oder Irak muss die heutige Masseneinwanderung nicht in einen Religionskrieg auf europäischem Boden ausarten. Der „clash“ ist nicht prädestiniert, wenn gegenseitige Toleranz wieder zur Grundlage der Politik gemacht wird. Wenn man sich mit der Idee eines sich verändernden, eines veränderbaren Europas (und Deutschland) versöhnt. Wenn man im Prozess der Sozialisation den „harten Kern“ der Verfassungswerte von den unwesentlichen Elementen der Traditionen unterscheidet, kann das Experiment gelingen. Erfahrungsgemäß verläuft die erste Phase nicht reibungslos, darauf muss man gefasst sein. Es lauern auch die Ewiggestrigen und die Rechtsradikalen auf ihre Chance.
Ein "Experiment"? Bei dem man sich auf diverse Verwerfungen und Rückschläge gefaßt machen muß? Wo haben wir das schon mal gehört? Richtig, aus dem Munde von Yascha Mounk!

Bekanntgeworden 2018 durch einen Auftritt im ARD, äußerte Mounk, Autor eines Buches mit dem aufschlußreichen Titel Echt, du bist Jude? Fremd im eigenen Land, bereits am 26. 9. 2015, drei Tage nach den Wortmeldungen von Zimmermann, Stein und Wolffsohn in einem Spiegel-Interview:


SPIEGEL: Herr Mounk, Hunderttausende Muslime flüchten nach Deutschland. Was bedeutet das für deutsche Juden?

Mounk: Ich hoffe auf ein Deutschland, in dem ich meine jüdische Herkunft erwähnen kann, ohne nur als Jude wahrgenommen zu werden – so wie es mir als Kind meist ergangen ist. Wenn Deutschland multiethnischer wird, könnte sich das ändern. Ein Deutschland, in dem sich Juden wohlfühlen, ist ein Deutschland, in dem sich auch Muslime wohlfühlen.

Ein Deutschland, in dem sich auch Deutsche "wohlfühlen", ist wohl keiner Erwägung wert. Dabei positioniert sich Mounk, der nicht einmal in Deutschland lebt und seine eigene Befindlichkeit über alles zu stellen scheint, gegenüber der muslimischen Einwanderung ebenso zwiespältig, ja schizophren wie Wolffsohn:


SPIEGEL: Sehen Sie auch Probleme?

Mounk: Unter deutschen Muslimen gibt es verstärkt Antisemitismus. Unter jenen, die nun nach Deutschland flüchten, auch. Das zu verschweigen ist gefährlich. Im Experiment mit dem Pluralismus spielen wir Juden ungefähr die Rolle, die Kanarienvögel in Kohlegruben hatten. Braut sich eine Explosion zusammen, geht es uns zuerst an den Kragen.
Die Explosiongefahr, die Mounk in Kauf nimmt, ließe sich jedoch entschärfen, wenn Deutschland den Einwanderern ausreichende "Perspektiven bietet". Dem folgen die berüchtigten, 2018 nur leicht variierten Sätze:

Mounk: Vor allem geht es um mehr als ein kurzes, fremdenfreundliches Sommermärchen. In Westeuropa läuft ein Experiment, das in der Geschichte der Migration einzigartig ist: Länder, die sich als monoethnische, monokulturelle und monoreligiöse Nationen definiert haben, müssen ihre Identität wandeln. Wir wissen nicht, ob es funktioniert, wir wissen nur, dass es funktionieren muss.
Wir haben hier also, im September 2015, dem Monat, als Angela Merkel die deutschen Grenzen öffnen ließ, vier unterschiedliche jüdische Intellektuelle, drei davon mit israelischer Affiliation, die allesamt ins selbe Horn blasen: Deutschland und Europa sollen das "Experiment" wagen, muslimisch-arabische Einwanderermassen aufzunehmen, um eine segensreiche demographische Wandlung einzuleiten, zu welchem Zweck sie ihren ethnokulturellen Kern aufgeben und ihr Staatsverständnis entsprechend umdefinieren müssen. Sie sollen außerdem dafür sorgen, daß die Muslime durch "Integration" und Säkularisierung gleichsam gezähmt und ihnen insbesondere die antisemitischen Zähne gezogen werden.

Stimmen dieser Art gab es schon lange vor 2015. "Europa muß multikulturell sein", forderte 2005 Israel Singer, der damalige Vorsitzende des Jüdischen Weltkongresses, in der Welt. Auch im Zentrum seiner Argumentation stand die Aufforderung zur Aufnahme und Integration von Muslimen:
Macht aus Einwanderern gute Staatsbürger! Integriert die Muslime, so wie die Juden integriert wurden. Dazu gehört die Erziehung gegen den Antisemitismus - europaweit. Amerika hatte die Ideologie des Schmelztiegels. Europa muß aber multikulturell und multireligiös sein. In einer Welt der Völkerwanderungen und einem Europa der vielen Völker ist der Rassismus nicht nur politisch inkorrekt. Er ist ökonomisch, finanziell und sozial erledigt. Gerade die monotheistischen Religionen, die untereinander gar nicht so verschieden sind, müssen in den Dialog treten.
Ziemlich lustig im Hinblick auf die heutigen "islamkritischen" Israelfreunde liest sich diese Passage:

Rassisten wollen der Mehrheitsgesellschaft einreden, ihre Feindschaft gegen Muslime habe mit deren Judenfeindschaft zu tun. Die Gesellschaft sollte nicht so unreif sein, ihnen zu glauben. Vor allem die Juden sollten nicht so töricht sein, Rassisten zu unterstützen, bloß weil sie jetzt Muslime angreifen. Der "neue Antisemitismus" der muslimischen Einwanderer ist eine Randerscheinung. Sicher hat der Konflikt im Nahen Osten Auswirkungen auf Europa. Das hat aber weniger mit dem Problem an sich zu tun als mit der unverantwortlichen Haltung eines Teils der europäischen Presse, der völlig überzogene Kritik an Israel übt.

Zugespitzt sagte Singer also folgendes: Daß Muslime manchmal etwas judenfeindlich sind, darf kein Vorwand sein, sich gegen ihre Einwanderung nach Europa und eine multikulturelle Gesellschaft zu sperren, außerdem ist an dieser unbedeutenden muslimischen Judenfeindlichkeit ohnehin nur die israelfeindliche europäische Presse schuld. Juden sollen auf keinen Fall mit Islamfeinden gemeinsame Sache machen.

Wenn man sucht, wird man noch mehr kurioses Material dieser Art finden. Auch für die Tatsache, daß sich israelische Organisationen aktiv daran beteiligen, Araber nach Deutschland und Europa zu schleusen und dort anzusiedeln, finden sich etliche Belege.

Mehr dazu im letzten Teil dieses Beitrags.

Teil 1

Teil 2

Teil 3

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