Stationen

Freitag, 25. Juni 2021

Nicht die letzte Hinrichtung auf deutschem Boden, aber die letzte mit Gerichtsurteil

Der Henker war eigentlich bereits im Ruhestand. Doch am 26. Juni 1981 mußte Hermann Lorenz in Leipzig noch einmal ran. Der Scharfrichter im Rang eines Hauptmanns des Strafvollzugs führt die Mündung seiner 7,62iger Pistole vorsichtig in Richtung Hinterkopf des zum Tode Verurteilten; möglichst nah, doch ohne dessen Haut dabei zu berühren. Nur so konnte die Methode gelingen, der „unerwartete Nahschuß“, die in der DDR das Fallbeil als Vollstreckungsmethode abgelöst hatte.

Das Opfer, das auf diese Weise vor 40 Jahren starb, hieß Werner Teske und war Hauptamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR, Dienstgrad Hauptmann. Seit 1969 hatte der promovierte Wirtschaftswissenschaftler für die Hauptverwaltung Aufklärung, die Auslandsspionage, gearbeitet.
Zehn Tage zuvor hatte der 1. Militärstrafsenat des Obersten Gerichts entschieden: „Der Angeklagte wird wegen vorbereiteter und vollendeter Spionage im besonders schweren Fall in Tateinheit mit vorbereiteter Fahnenflucht im schweren Fall zum Tode verurteilt.“ Teske habe trotz „anfänglichen Erfolgen in seiner verantwortungsvollen Tätigkeit“ schließlich „in seiner politischen Haltung keine innere Bindung zum Staat der Arbeiter und Bauern“ aufgebaut.
„Den Argumenten des imperialistischen Feindes zugänglich, gab er zunehmend seine Klassenposition auf und bezweifelte die Politik von Partei und Regierung. In seiner Überheblichkeit entwickelte er sich, unter grobem Mißbrauch des in ihn gesetzten Vertrauens, zu einem Renegaten, der es verstand, seine wahre Einstellung zu verschleiern. Schließlich stellte er sich auf die Seite des Feindes der Deutschen Demokratischen Republik und übte Verrat am sozialistischen Staat.“

Teske hatte zunächst eine vielversprechende Karriere begonnen. Wirtschaftsstudium an der Humboldt-Universität, danach dort wissenschaftlicher Assistent und Promotion. „Mein eigentliches Berufsziel war es, später einmal als Wissenschaftler und Hochschullehrer zu arbeiten, auch einmal Professor zu werden“, berichtet er seinen Vernehmern später. Dennoch habe er dann das Angebot, ins MfS zu gehen, angenommen. 1969 beginnt er dort, wird als Leutnant eingestellt. Er betreut als operativ arbeitender Offizier „Patrioten“, die in der Bundesrepublik für die DDR spionieren. Teske reist daher oft in den Westen.
Im Laufe der Jahre frustrierte ihn die Arbeit bei der Stasi. Der Doktor der Ökonomie vermißte das wissenschaftliche Arbeiten. Es häuften sich dienstliche Unregelmäßigkeiten, disziplinarische Sanktionen werden gegen ihn verhängt. Weil ihm klar ist, daß er als Hauptamtlicher nicht einfach „aussteigen“ kann aus dem Geheimdienst, und eine unehrenhafte Entlassung zur Folge gehabt hätte, daß ihm danach auch eine wissenschaftliche Laufbahn verwehrt bliebe, trug er sich mit Fluchtgedanken.

Verbotenerweise nahm er MfS-Unterlagen mit nach Hause, um nach einer Fahnenflucht den westlichen Geheimdiensten etwas „anbieten“ zu können. Aber obwohl er häufig auf Dienstreise „in der BRD“ war, setzte er sich nicht ab, sondern kehrte stets in die DDR zurück. Doch als sein Fehlverhalten entdeckt und er unter dem Vorwand einer dienstlichen Besprechung ins Ministerium beordert wurde, gestand Teske nach tage- und nächtelangen Verhören schließlich seine Fluchtpläne.
Am Ende des geheim abgehaltenen Prozesses bat Teske, „mir noch einmal die Chance einzuräumen, mir noch einmal die Möglichkeit zu geben, ein Leben mir einzurichten, in dem ich voll den gesellschaftlichen und gesetzlichen Normen der DDR entspreche“. Doch das Gnadengesuch des Verurteilten lehnte man ab. „Unter Berücksichtigung des hohen Grades der Gesellschaftsgefährlichkeit der verbrecherischen Handlungen ist die gegen Dr. Teske ausgesprochene Höchststrafe gerechtfertigt.“ Von einer Begnadigung sei daher abzusehen.

Bereits im Januar 1980 hatte Stasi-Chef Erich Mielke anläßlich der Flucht des MfS-Offiziers Werner Stiller in den Westen in einem Schreiben an seine Untergebenen klargemacht: „Verrat ist das schwerste Verbrechen, welches ein Angehöriger des MfS begehen kann. Die Partei und die Arbeiterklasse haben unserem Ministerium wichtige Aufgaben zum Schutz der Arbeiter- und Bauern-Macht anvertraut, haben bedeutsame Machtmittel in unsere Hände gelegt. Wer dieses große Vertrauen durch schmählichen Verrat hintergeht, den muß die härteste Strafe treffen.“
Am 26. Juni 1981 wurde der 39jährige Ex-Hauptmann mit einem grauen fensterlosen Transporter der Marke Barkas von Berlin nach Leipzig gebracht. Ziel: Die ehemalige Hausmeisterwohnung des Gefängnisses in der Arndtstraße. Hier lag im Verborgenen die Hinrichtungsstätte des Arbeiter- und Bauernstaates. Die Verurteilen wurden in den leeren und fensterlosen Raum gebracht. Die Wärter traten etwas zurück und der Henker, der sich schon im Raum befand, leise an den Hinzurichtenden heran, um dann abzudrücken. So auch im Fall von Werner Teske.
Henker und Vorruheständler Lorenz bekam, nachdem er abgedrückt und so sein Werk vollbracht hatte, die übliche Prämie von 150 Mark. Die Leiche Teskes wurde in einen einfachen Fichtenholzsarg gelegt, verbrannt und auf dem Leipziger Südfriedhof anonym bestattet.

Die Hinrichtung des Stasi-Offiziers war die letzte Vollstreckung eines von einem deutschen Gericht verhängten Todesurteils. In Westdeutschland war es damit schon Jahrzehnte vorher vorbei. Im Februar 1949 wurde in Tübingen der 28jährige Raubmörder Richard Schuh per Fallbeil hingerichtet, kurz bevor mit Verkündung des Grundgesetzes die Todesstrafe in der Bundesrepublik abgeschafft wurde.
Vollstreckt wurden auf bundesdeutschem Boden bis Anfang der fünfziger Jahre indes noch die Todesurteile alliierter Gerichte gegen als Kriegsverbrecher verurteilte Deutsche. In West-Berlin wurde im Mai 1949 der Raubmörder Berthold Wehmeyer hingerichtet, hier wurde die Todesstrafe erst 1951 per Gesetz abgeschafft.
In der DDR wurden mindestens 170 Menschen zum Tode verurteilt und hingerichtet. Zunächst durch das Fallbeil, später durch den unerwarteten Nahschuß von hinten. Der letzte hingerichtete Zivilist war 1972 der Kindermöder Erwin Hagedorn. Ein Jahr vor Teske traf das Schicksal einen anderen Militärangehörigen, den Fregattenkapitän der DDR-Volksmarine Winfried Baumann. Er hatte, bevor er wegen Alkoholismus 1970 entlassen worden war, im Verteidigungsministerium in Ost-Berlin gearbeitet – und nebenbei für den Bundesnachrichtendienst spioniert. Er starb im Juli 1980 durch Genickschuß.

Werner Teskes Frau erreichte im Jahr 1993 die nachträgliche Rehabilitierung ihres Mannes. Das rechtswidrige Urteil – Teske war schließlich weder geflohen, noch hatte er westlichen Nachrichtendiensten Staatsgeheimnisse oder anderes verraten – wurde annulliert.

Die Todesstrafe hatte der Staatsrat in Ost-Berlin erst im Juli 1987, kurz vor dem Bonn-Besuch von Staats- und Parteichef Erich Honecker, in der DDR abgeschafft. An ihrer Grenze freilich wurde noch weiter geschossen – und gestorben. Christian Vollradt

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.