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Mittwoch, 4. Januar 2023

Die „taz“ veröffentlicht den Nachruf auf Benedikt vor seinem Tod


Das Jahr 2022 hat in seinen letzten Minuten neuerlich seinen Tribut gefordert. Der emeritierte Papst Benedikt XVI. ist am Silvestermorgen gestorben. Als Theologe und Präfekt der Glaubenskongregation hatte er jahrzehntelang als wichtigster deutscher katholischer Geistlicher gegolten und nicht nur durch seine unterstützende Rolle im Pontifikat Johannes Pauls II. entscheidenden Einfluss besessen, sondern auch durch zahlreiche Bücher die Öffentlichkeit mitgeprägt.

Benedikt war nicht nur ein Pfeiler für Hunderte Millionen Katholiken. Er war auch ein Pfeiler für Christen anderer Konfession, die in ihm jene Standfestigkeit erblickten, die sie bei eigenen Kirchenführern vermissten; oder die in seinen Büchern, Predigten und Enzykliken Wertvolles für ihren eigenen Glauben erkannten. Selbst Agnostiker oder gar Atheisten konnten seinem Denken, seinem Intellekt und seiner Philosophie etwas abgewinnen, wenn er etwa die philosophische oder politische Sphäre streifte. Benedikt war der Papst, der in den Bundestag ging und Augustinus zitierte: „Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande?“

Es sind diese Momente, die das Bild Benedikts XVI. bestimmt haben. Bereits in seiner Amtszeit wurde Ratzinger als eine Art Marc Aurel, als ein Philosoph auf dem Thron gehandelt; oder als später Widerhall der einst als kunstsinnig bekannten Nachfolger Petri. Der „Mozart der Theologie“ galt als großer Freund klassischer Musik und nicht nur deswegen als einer der letzten Streiter des abendländischen Erbes. Gerade weil er nicht das vertrat, was Mode war, sondern das, was immer galt, entwickelte er sich zum Kontrapunkt vieler schon damals als vermeintlich „konservativ“ auftretender Protagonisten, die aber in Wirklichkeit das konservative Erbe für ein Linsengericht verkauften. Das Jahr, in dem Joseph Ratzinger zum Papst gewählt wurde, war das Jahr, in dem Angela Merkel Bundeskanzlerin wurde.

Entgegen dem medialen Zerrbild war Ratzinger ein Versöhner. Mit dem Motu Proprio Summorum Pontificum versuchte Benedikt den seit dem 2. Vatikanischen Konzil herrschenden Zwist über den Status des traditionellen römischen Ritus beizulegen. Über Jahrzehnte hinweg hatte die „alte Messe“ einen schweren Stand. Als „außerordentliche Form“ rehabilitierte sie der Papst wieder, und zwar zur „Vermeidung von Zwietracht und der Wahrung der Einheit der Kirche“. Dass sein Nachfolger diese Bestimmung wieder außer Kraft setzte, bedeutete eine Zerstörung benediktinischen Erbes bereits vor dem Ableben. Es ist ein vielschichtiges Bild zum Verständnis des benediktinischen Pontifikats.

Benedikt war der letzte seiner Art. Seine Biografie spiegelt die Erfahrungen des kurzen 20. Jahrhunderts wider. Er begann nicht als Konservativer, sondern als Erneuerer. Das Zweite Vatikanische Konzil war auch sein Konzil; und bis zuletzt versuchte er die Deutungshoheit über die Lehren dieses letzten großen Ereignisses der Una Sancta zu bewahren, indem er Kontinuität predigte, während andere den Bruch herbeisehnten. Benedikt gehörte der Generation an, die Krieg und Leid bewusst und hautnah erfahren hatte; und die beim Wiederaufbau des materiell wie moralisch verheerten Kontinents mithalf. Damit gehörte er zur selben „Greatest Generation“ wie Königin Elisabeth.

Anders als viele seiner Zeitgenossen in prominenter Stellung wollte er nicht populär sein, sondern der Lehre folgen; doch genau das war der Grund, warum Benedikt als Hüter einer der ältesten Institutionen der Welt jene „Kontra-Kultur“ repräsentierte, die er sich schon in den Nachkriegsjahren für die ganze Kirche gewünscht hatte; eine Kirche, die heilig, geradlinig und auf ihre Fundamente bauend voranging und nicht zeitgeistaffin dem Tagesgeschäft nachjagte und sich damit verausgabte. Diese Popularität, insbesondere unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die zudem die „alte Messe“ und den Katholizismus in seinem Pontifikat (wieder)entdeckten, haben die ewig rebellierenden 68er und Reformer dem Theologen aus Marktl am Inn nie verziehen; weil sie sich als Vertreter der modernen, hippen und jungen Kirche verstanden, aber nunmehr als Greise selbst an verstaubten Nachkriegsideologien festhängen.

Ratzinger, der stets mehr Bayer denn Deutscher war, konnte zeitlebens am eigenen Leib spüren, dass der Prophet im eigenen Land nichts wert war. Nirgendwo war Ratzinger so vielen Angriffen ausgesetzt wie in Deutschland, wo stattdessen die Liberalen und Reformer im Rampenlicht standen. Selbst in den letzten Tagen vor seinem Tod ergab sich die bemerkenswerte Schieflage, dass sowohl in offiziellen wie in sozialen Medien in Deutschland ein bissiger Tonfall gegenüber dem „deutschen Papst“ gehegt wurde, indes man in Italien den Eindruck hatte, dass die Italiener „Papa Ratzinger“ längst als einen der ihren adoptiert hätten.

Benedikt war nicht bloßer Brückenbauer. Er war selbst eine lebendige Brücke, die vielen den Weg wies. Selbst in der Zeit des turbulenten Franziskus-Pontifikats galt er zahlreichen Katholiken als Leuchtturm; und wenn nur aus Nostalgie nach einer vergangenen Zeit. Der Papa emeritus stand für Beständigkeit und Orientierung, während in einigen Teilen der Weltkirche ernsthaft über die Veränderung der Lehre debattiert und abgestimmt wurde. Doch darf dabei nicht übersehen werden, dass Benedikt zugleich etwas Neues eingeführt hat.

Der Rücktritt Benedikts ist in seiner Form einzigartig. Abdankungen hat es zwar bereits vorher gegeben; doch nie das Amt eines Papa emeritus und die damit eingeführten Privilegien. Es ist dieser Rücktritt, der vielleicht Benedikts Pontifikat in Zukunft bestimmen wird. Der Paukenschlag vom 11. Februar 2013 droht zur größten Hypothek zu werden, die das einmalige Leben des Erzbischofs, Glaubenspräfekten und Papstes zu überschatten droht – während seine Handlungen, theologischen Traktate oder seine Vorbildfunktion in stürmischen Zeiten nivelliert zu werden droht. Sollte Franziskus einen ähnlichen Schritt tun, könnte aus einer Ausnahme eine Institution werden.

Dass Benedikt länger „emeritiert“ war, als er als Papst regierte, ließ viele Gläubige mit Unverständnis zurück. Bis heute wabern Spekulationen über die Hintergründe durch die Medien. Für seine Kritiker war der Schritt von Anfang an ein Beleg des Scheiterns. Es sind kirchenpolitische Machtfragen, mit denen Ratzinger zeitlebens eher weniger anfangen konnte, wenn man Biografen und Zeugen Glauben schenkt. Dass für ihn diese weltlichen Belange angesichts des höheren Gerichts eine untergeordnete Rolle spielten, dürfte dabei ebenso klar sein.

Die historische Rolle Benedikts wird wohl erst klar werden, wenn auch das laufende Pontifikat sein Ende gefunden hat und sich herausstellt, ob Benedikt der letzte Konservative seit dem zweiten Vatikanum war, oder sich eher das Pontifikat seines Nachfolgers als Klammer entpuppt. Gegenwärtig bleibt dagegen nur die Einsicht, dass einer der größten Bekämpfer des Relativismus, der Beliebigkeit und der Austauschbarkeit heute seine Augen geschlossen hat. Mit ihm ist unsere letzte Brücke zum alten Europa abgebrochen.  Marco Gallina

 



 

 

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