Stationen

Montag, 28. August 2023

Der letzte feine Herr

Dohnanyi ist ehrlich und hat ausgezeichnete Geschichtskenntnisse. Ich möchte darauf hinweisen, dass man schon 1975 im dtv-Atlas zur Weltgeschichte nachlesen konnte, dass die UdSSR den Nordvietnamesen Luftabwehrbasen zur Verfügung stellte, damit sie sich gegen die Flächenbombardierung seitens der Amerikaner verteidigen konnten. In der Berichterstattung der deutschen Medien und im öffentlichen Diskurs wurde damals aber immer so getan, als handele es sich um einen symmetrischen Krieg, in dem die Sowjets Südvietnam bombardierten und die lieben Amerikaner den Norden nur deshalb, als verteidigende Reaktion, bombardierten, um die Freiheit Südvietnams zu verteidigen.


 Bereits 1969 waren in Nordvietnam mehr Bomben niedergegangen als in ganz Europa während des Zweiten Weltkriegs. Die Fläche Nordvietnams betrug 158.750 km² (zum Vergleich: die der BRD vor der Wiedervereinigung etwa 250.000 km²). Der Vietnam-Krieg ging bekanntlich noch Jahre lang weiter, bis er 1975 endete.



Angesichts dieses Missverhältnisses, das seit Jahrzehnten die Berichterstattung kennzeichnet, sind die Ansichten der jungen Dame sehr naiv und ihre Feindschaft gegenüber Russland ist eine ambivalente Sache. Ich teile sie, insofern ich alle kommunistischen Systeme hasse und weiß, was Polen erleiden musste, und vor allem, was wir Solidarnosz und Woytila verdanken. Aber ich teile die überschießende Einäugigkeit nicht.

Die Wochenzeitung Christ&Welt schrieb einmal einen bewegenden Artikel über Jan Palach (ich bewunderte ihn auf Grund dessen so sehr, dass er über Jahre hinweg mein einziges Vorbild war), aber ohne mit einem Sterbenswörtchen Thích Quảng Đức zu erwähnen, der sich aus Verzweiflung über den proamerikanischen, katholischen Diktator in Südvietnam verbrannt hatte und der (wie Ryszard Siwiec, er hatte sich 5 Monate vor Palach verbrannt) Jan Palachs Vorbild gewesen war. Selbst damals war die Welt nicht mehr ganz so eindeutig, wie Frau Puglierin sie gerne hätte, insofern Chrst&Welt nicht mit der Aufmerksamkeit hinsah, die angemessen gewesen wäre, aber eine gewisse vielsagende Eindeutigkeit, die wir heute schmerzlich vermissen, bestand noch.

Sehr bald löste sich diese vielsagende Eindeutigkeit leider in Nichts auf! Die edle Geste der Selbstverbrennung - man hält es nicht für möglich! - wurde von nachahmenden Neurotikern inflationiert. Es gibt wirklich nichts, was nicht zur Mode der Esel verkommen kann (und offenbar muss): In Syke verbrannte sich ein Schuldirektor aus Protest gegen die Willkür verwaltungsrechtlicher Zumutungen (ich glaube, es war 1975). Seit damals häuften sich nicht nur Selbstverbrennungen, die einerseits Irritation über die Albernheit solchen Spektakels bewirken und andererseits von interessierter Seite instrumentalisiert werden, um sie in moralische Erpressung umzumünzen, diese Selbstverbrennungen wurden in Syke sogar zu einer Art Tradition, denn der Schuldirekter blieb nicht der einzige, der sich in Syke selber abfackelte. Wie gesagt, man hält es nicht für möglich. Und die würdevolle Geste von Jan Palach und Thích Quảng Đức ist längst vergessen, seit sich unzählige Muslime in die Luft sprengten, um in den Armen der Huris glücklich zu werden.


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