WELT- Kolumnist Lutz Wöckener schreibt an die Schüler einen Brief über den Verlust des Leistungsprinzips bei den Bundesjugendspielen.
"Liebe Drittklässler!
Im neuen Schuljahr wird es an deutschen Grundschulen keine klassischen Bundesjugendspiele mehr geben. Aus Rücksicht vor unsportlichen Kindern wurden die Wettkämpfe gestrichen.
Ihr kennt das vielleicht schon mit den Entschuldigungen in der Schule. Eure Eltern müssen sie an die Lehrer schreiben, wenn Ihr krank seid oder vormittags zum Arzt müsst. Also immer dann, wenn es bei Euch mal nicht so ist, wie es eigentlich sein sollte. Genau deshalb schreibe ich heute eine. Nur nicht für, sondern an Euch. Zum Start ins neue Schuljahr muss ich mich nämlich entschuldigen. Für all die Politiker, Eltern und Erwachsenen, die Euch offenbar nicht verstehen.
Ihr werdet im Frühjahr die Ersten sein, denen in der Schule das Recht auf sportlichen Wettkampf genommen wird. Eure älteren Geschwister, Mamas, Papas, Onkel, Tanten, Omas und Opas durften in Eurem Alter einmal im Frühjahr allen zeigen, wie schnell sie laufen, wie weit sie werfen und springen können. Ihr leider nicht. Denn dafür ist offenbar kein Platz mehr.
Bundesjugendspiele nennt sich das, was Euch genommen wurde; in einigen Teilen Deutschlands hieß es früher auch Kinder- und Jugendspartakiade. Seit mehr als 70 Jahren wurde das so gemacht: ein sportlicher Wettkampf, Frühling für Frühling. Für alle Schülerinnen und Schüler im Alter von acht bis 19 Jahren. Nun aber finden einige Erwachsene, dass das doof ist und ihr noch zu jung dafür seid. Eine Lehrerin aus Hessen zum Beispiel. Sie heißt Heike Ackermann und ist stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, also so eine Art Chef-Lehrerin. „Die Bundesjugendspiele werden an den Grundschulen endlich kind- und zeitgemäß“, sagt sie: „Das Beschämen nicht so sportlicher Schülerinnen und Schüler gehört dann hoffentlich endlich der Vergangenheit an.“
Das versteht Ihr nicht, oder? Beschämen? Aber Frau Ackermann glaubt eben, dass es schlimm ist, wenn jemand schnell laufen kann, weil es nämlich auch andere gibt, die nicht so schnell laufen können. Und denen tut das dann vielleicht weh. Sie scheint nicht zu wissen, dass Ihr Kinder eigentlich immer, überall und aus allem einen kleinen Wettkampf macht. Wer kann länger unter Wasser bleiben? Wer verdrückt beim Grillen mehr Bratwürstchen? Wer kann sich schneller anziehen? Gewonnen! Erster! Zweiter! Dritter! So läuft das bei Euch. Das ist nicht schlimm, sondern ganz natürlich.
Ihr lernt dadurch Gewinnen und Verlieren, aber auch Respekt, den Umgang mit Sieg und Niederlage und bildet Eigenschaften heraus, deren Bezeichnung Ihr heute noch gar nicht versteht: Zielstrebigkeit und intrinsische Motivation, Akzeptanz und Ehrgeiz. Und vor allem, dass man besser wird, wenn man sich anstrengt, trainiert und übt – total egal, auf welchem Level. Sport und Wettkampf sind eine wunderbare Schule. Für das Leben.
Nun soll es aber zumindest bei Acht-, Neun- und oft auch Zehnjährigen keine Gewinner mehr geben. Niemand darf mehr hervorgehoben und ausgezeichnet werden. Weil es keine Verlierer geben soll. Warum nicht?, fragt Ihr jetzt. Was ist denn so schlimm, wenn man nicht Erster oder Zweiter wird? Ich weiß es nicht. Weil ich diese Erwachsenen, die sich das ausgedacht haben, selbst nicht mehr verstehe. Die, die Völkerball verbieten wollen, weil er „von vielen als unterdrückend und entmenschlichend“ wahrgenommen wird, wie eine kanadische Bildungswissenschaftlerin herausgefunden haben will. Die Frau heißt Joy, viel Spaß scheint sie in ihrem Leben aber nicht zu haben: „Die Botschaft von Völkerball lautet: Es ist okay, andere zu verletzen.“ Darauf muss man erst mal kommen.
Es sind dieselben Leute, die auch den Zensurenspiegel unter Euren Tests und Klassenarbeiten abschaffen, damit sich Euer Freund, der die einzige Fünf in Sachkunde hat, nicht diskriminiert fühlt (merkt Euch dieses Wort, funktioniert bei Streitereien immer – Zwinkersmiley). Obwohl natürlich trotzdem jeder in der Klasse weiß, wer die beiden Einsen und wer die Fünf hat. Weil Ihr Euch austauscht, miteinander redet. So wie es sein soll.
Vielleicht liegt dieser ganze Unfug auch nur an den Erwachsenen. Weil sie Angst davor haben, dass Ihr keine Ehrenurkunde mit nach Hause bringt. Weil es ihnen unangenehm vor anderen Eltern ist, dass diese beim Blick auf den Zensurenspiegel fragen, wer denn die Fünf geschrieben hat. Womöglich seid gar nicht Ihr das Problem, sondern die Alten. Die können mit dem Verlieren nicht umgehen, nicht Ihr!
Euch wird deshalb nun vorgegaukelt, dass Ihr alle gleich seid – gleich gut natürlich. Deshalb erhalten bei vielen Turnieren heute ja auch die Letztplatzierten Medaillen, manchmal sogar einen Pokal. Ich habe selbst drei Kinder und diese Situationen mehrmals erlebt. Da habt Ihr alle Spiele verloren, die Niederlage akzeptiert und wollt nur noch nach Hause, müsst aber noch zur Pokalübergabe vor den versammelten Mannschaften vortreten. „Hey, ihr wart auch toll“, heißt es dann. Nee, waren wir nicht! Kinder wissen das, können das selbst einschätzen. Trost und Aufbauarbeit wären angebracht, nicht Jubel und falsche Euphorie.
Ich verrate Euch mal was: Ich habe aufgrund fehlender Sprungstärke nie eine Ehrenurkunde bei Bundesjugendspielen erreicht, aber schon ziemlich früh mitbekommen, wie wichtig es denjenigen war, die in Deutsch und Mathe nicht zu den besten Schülern gehörten und sich aus dem Sport ihr Selbstbewusstsein zogen. Für die tut es mir am meisten leid.
Und noch etwas: Bei den Sportfesten und Bundesjugendspielen, bei denen ich in den vergangenen Jahren als Helfer oder Zuschauer war, wurden alle Teilnehmer angefeuert. Am lautesten meist die, denen es am schwersten fiel. Das war toll! Das Wichtigste an Sieg und Niederlage ist in Eurem Alter auch gar nicht das Ergebnis selbst, sondern was die Gewinner und Verlierer daraus lernen. Denn wer weiß, wie sich Verlieren anfühlt, wird nach einem Erfolg schon aus eigener Erfahrung auf Respektlosigkeiten und Spott gegenüber den Unterlegenen verzichten. Und darum geht es doch vor allem: Gewinnen und Verlieren zu lernen. Was voraussetzt, dass Ihr auch mal genau das sein dürft: ein Verlierer, ein Letzter.
Aber so müsst Ihr im Frühjahr nun statt bei den Bundesjugendspielen zum „bewegungsorientierten Wettbewerb“ antreten. Eure Schule kann dann Sackhüpfen und Slalomlauf anbieten oder auch, so steht es geschrieben, weiterhin den Weitsprung durchführen, nur eben bitte schön nicht mehr mit Nachmessen. Ihr springt dann alle in eine großzügig bemessene Zone. Und auch wenn jeder sieht, dass Ben viel weiter springt als Jonas, erhalten am Ende beide das gleiche Ergebnis. Zone erreicht, Gratulation!
Keiner ist schlecht – diese Botschaft finde ich eigentlich super. Aber es ist eben auch keiner mehr gut. Und das ist – Ihr könnt das jetzt noch nicht wissen – vor allem so gar nicht gut für uns als Gesellschaft. Warum weit springen, wenn gar nicht gemessen wird? Es reicht ja ein kleiner Hopser.
Und was auf dem Sportplatz funktioniert, könnte doch auch im Klassenzimmer klappen, oder nicht? Wenn Ihr also in Mathe mal wieder knapp danebenliegt, dann erinnert Eure Lehrer doch an den Sport und sagt ihnen, dass Ihr Euch diskriminiert (da ist es wieder) fühlt, wenn der Sitznachbar immer die richtigen Antworten hat und Ihr nicht. Womöglich erfahren irgendwann Frau Ackermann und die Kultusministerien von Eurem Fall und führen eine Toleranzzone ein. 12+27=41? Das kann man doch durchgehen lassen. Wer wird denn da pingelig sein?
Abschließend noch ein erst gemeinter Rat mit drei Buchstaben: DIY – Do It Yourself, macht es selbst. So wie vor ein paar Wochen die 4c an einer Potsdamer Grundschule. Die Klasse meiner jüngsten Tochter hatte vor den Sommerferien auf dem Schulsportplatz zwei Fußballspiele gegen die 4b organisiert: Jungs gegen Jungs und Mädchen gegen Mädchen, inklusive Musik, Cheerleading, selbst gebastelter Plakate und Eltern, die als Schiedsrichter eingesetzt wurden, weil die beiden Klassenlehrerinnen sich mit den Regeln nicht so gut auskennen. Ich pfiff das Spiel der Jungs. Die 4c hatte viele gute Torchancen, traf mehrmals Latte und Pfosten, während die Gegner mit fast jedem Schuss trafen. Trotz des wachsenden Rückstands munterten sich die Spieler immer wieder gegenseitig auf, die Mädchen feuerten unaufhörlich an. Am Ende stand ein 1:7, und ich habe noch nie in meinem Leben so viele Kinder weinen sehen.
Ein Trauma? Von wegen. Die meisten Tränen flossen, als sich die gesamte Klasse – Jungs und Mädchen, Arm in Arm – spontan in einem Kreis zusammenstellte. Kein Sieg hätte der Gemeinschaft mehr Kitt geben können als diese Niederlage. Anschließend gewannen die Mädchen ihr Spiel 1:0, und es wurde gemeinsam gefeiert. So geht Sport, so geht Leben. Gut, dass Frau Ackermann und ihre Leute nicht dabei waren. Die hätten wahrscheinlich vorher die Tore abgebaut.“
"Alles
richtig. Allerdings - es gab eine Zeit, da hätte man diesen
geisteskranken Buntfaschismus, der sich überall im Land breitmacht und
jede ergebnisoffene Diskussion mit seinem hohlem, zweckdienlichen
Moralgesülze erstickt, problemlos stoppen können. Zu der Zeit hat die
WELT genauso wie alle anderen auf die eingeprügelt, die das versuchten.
Da schrieb WELT-Chefredakteur Ulf Poschardt selbst ostentative
Leitartikel, dass wir alle noch viel bunter und schwuler werden müssen. Deswegen
- willkommen in der schönen neuen Welt der totalen sozialen
Gerechtigkeit, die ihr selbst mit erschaffen halft, liebe
WELT-Redakteure", meint dazu Wolfram Ackner.
Es
kommt aber alles so, wie es kommen muss. Man kann nicht auf die
Heimsuchung aus Braunau hereinfallen, ohne später auf die Heimsuchung
aus der Uckermark reinzufallen. Und die aus Braunau war die Folge von
1918, 1918 war die Folge von 1914, und 1914 die von 1871, 1871 die Folge
von Napoleon, Napoleon die Folge der französischen Dekadenz, die
wiederum eine der französischen Grandeur und letztere eine Folge des
30-jährigen Krieges, der wiederum eine Folge Luthers, Luther eine Folge
Leos X, dieser eine Folge Lorenzos des Prächtigen, bzw. des nicht
geglückten Attentats der Pazzi... usw. usf. Die Welt-Redakteure sind
nicht der Wirbelsturm, sie sind nur der Flügelschlag eines
Schmetterlings, den findige Chaostheoretiker ohne jeden Beweis durch
sogenannte Modellrechnungen als monokausalen Pushfaktor für den
Wirbelsturm verantwortlich machen. Sport wurde durch Denksport ersetzt, klüger machte es uns nicht.
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