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Dienstag, 14. November 2023

Mutmaßlich Menschen

Man traut seinen Augen und Ohren kaum, mit welcher erstaunlichen Offenheit in den letzten Tagen auf einmal in den deutschen Medien über Migration und die damit verbundenen Probleme gesprochen wird. Kaum ein „Promi“, der aufgrund der Ereignisse in Israel und Gaza nicht die eine oder andere Aussage getätigt hätte, die bislang seinen politischen Tod bedeutete.

Jahrelang wurde auch noch die kleinste Skepsis an einer ungesteuerten, meist armutsbedingten Massenmigration von Menschen aus der islamischen oder subsaharischen Welt ins alte Europa pauschal als rassistisch, rechtsextrem, populistisch, identitär oder ultranationalistisch bezeichnet.

Jene, die es wagten, über die Stränge zu schlagen, wurden mit allen Mitteln moderner Medientechnik zu Unpersonen abgestempelt und faktisch mundtot gemacht.

Terrorismus, Sozialstaatsmissbrauch, Clankriminalität, Polygamie, Ghettobildung, Fundamentalismus, Kinderehen, Massenvergewaltigungen – nichts schien genügend Auswirkungen auf die Psyche von Medien, Universitäten und Eliten zu haben, um eine Umkehr von der realitätsfremden Vorstellung zu bewirken, Millionen von wenig bis kaum ausgebildeten Menschen fremder Kulturen ließen sich ohne nennenswerte Integrations- und Assimilationsanreize in kürzester Zeit in bis dato weitgehend homogenen europäischen Nationalstaaten ansiedeln, ohne dass früher oder später erhebliche Probleme entstehen würden.

Die gerade bei linksgrünen „Politiker*Innen“ bekannte Faszination für politische Utopien, die irgendwo zwischen Villa Kunterbunt, Spät-68er Kommunen, Schulmädchenfantasien und Klaus Schwabs „Great Reset“ angesiedelt sind, war bislang stärker als jede Form von Realität.

Diese grundlegende Skepsis bedeutet freilich noch lange nicht, dass Migration und Integration selbst über Kulturgrenzen hinweg immer zum Scheitern verurteilt sein müssen. Die Kombination von großen Migrantenzahlen, kurzer Zeit, fehlender institutioneller Vorbereitung und vor allem gravierender identitärer Selbstzweifel seitens der Gastkultur stellt aber eine fast unüberwindliche Hürde für eine reibungslose Entwicklung dar.

Und selbst im friedlichsten denkbaren Falle würde sich immer noch die Frage stellen, inwieweit die nicht mehr rückgängig zu machende Transformation eines bislang recht homogenen Zivilisationsraums in eine Art Flickenteppich verschiedenster, einander zivilisatorisch weitgehend fremd gegenüberstehender, praktisch nur durch einige wenige vage Rechtsvorschriften koordinierter Parallelgesellschaften wirklich ein Schritt ist, der von der Mehrheit der Bevölkerung mit bewusster Zustimmung mitgetragen wird.

Nun aber, da die schrecklichen Ereignisse in Israel und im Gazastreifen nach Europa hinüberschwappen und man angesichts der Bilder in den Medien nicht mehr so richtig weiß, ob das Brandenburger Tor nun für Klimavandalismus, islamistische Demos oder die Projektion israelischer Fahnen steht, scheint überall in Deutschland ein überraschtes Luftschnappen zu vernehmen sein: Es hat sich ein kleines Zeitfenster der Introspektion geöffnet.

Wird es ebenso schnell geschlossen werden wie die bisherigen gelegentlichen Momente des Zweifels? Wahrscheinlich.


Was ist geschehen? Deutschlands Nachkriegsidentität war zum größten Teil auf dem „Nie wieder“ aufgebaut. Ein „Nie wieder“, das neben den genozidalen Verbrechen an Polen, Sowjetrussen, Behinderten, Geistlichen, Homosexuellen und vielen anderen Gruppen vor allem auf der Erinnerungspolitik gegenüber dem schrecklichen Holocaust an den Juden errichtet war.

Kein Wunder also, dass vandalisierte jüdische Grabsteine, zusammengeschlagene Kippa-Träger oder brennende Davidsterne nicht mehr mit Wegsehen quittiert werden können, sondern gewisse Fragen angesichts der Nachhaltigkeit der guten Nachkriegsvorsätze aufwerfen, wenn auch diesmal die größte Gefahr wohl weniger vom einheimischen Antisemitismus stammt als von jenem, der – trotz immer wieder in den Wind geschlagener Warnungen – aus der islamischen Welt importiert wurde.

Wie konnte es zu diesem historischen Salto mortale kommen, den Karl Lagerfeld einmal mit der berühmten Tirade „Wir können nicht Millionen Juden töten und Millionen ihrer schlimmsten Feinde ins Land holen“ umschrieben hat?

Die Frage ist einfach zu lösen: Angestrengte Toleranz gegenüber allem Fremden ist im modernen Deutschland der psychologische Freikaufschein von der Last der eigenen Vergangenheit geworden.


Dies dient als Symbol dafür, dass jetzt, angesichts der neuen Minderheiten, alles „ganz anders“ geworden ist – und bleibt am Ende doch eher eine Instrumentalisierung des Anderen im Sinne moralischer Selbstbestätigung als eine wirkliche innere Weltöffnung.

In gewissem Sinne wirkte das Scheitern der weitgehend muslimischen Massenmigration daher viele Jahre lang nicht etwa als Warnsignal, sondern paradoxerweise eher als Anlass zur Selbstgratulation: Wie im biblischen Gleichnis sollten dem verlorenen Sohn immerfort alle Türen aufstehen, damit der großzügige Vater sich beständig im Glanz seiner Toleranz sonnen konnte, nicht mehr „Deutsche“, sondern nur noch „Menschen“ zu kennen, während der Sohn, „der schon länger hier lebte“, halt zum Inventar gehörte und für die Feste zu zahlen hatte.

Wird der nun auch von den verblendetsten Politikern kaum noch schönzuredende antijüdische Hass, der nicht ganz unwesentliche Teile der mittlerweile mindestens sechs Millionen Muslime in Deutschland prägt, ein gesamtgesellschaftliches Umdenken bewirken? Nichts ist ungewisser als das.

Zu einer echten Integrationspolitik gehört auch eine Leitkultur, die mehr ist als bloßer Verfassungspatriotismus. Damit sieht es aber gerade in Deutschland überaus düster aus, gerade weil diese „Leitkultur“ mittlerweile im Wesentlichen darin besteht, die eigene historische Identität weitgehend als Vorspiel zu Hitler begreifen und ihr somit eine pauschale Absage erteilt zu haben: die Posthistorie als Flucht vor der Last der eigenen Geschichte.

Ein gläubiger, familienstolzer und strukturkonservativer Muslim ließe sich aber wohl mit weniger Reibungsverlust etwa in eine streng katholische Gesellschaft eingliedern als in den täglichen Wahnsinn des intersektionalen woken Dekonstruktivismus, der zunehmend die Deutungshoheit über das Grundgesetz* übernommen hat.

Es kommt erschwerend hinzu, dass gerade dieser Dekonstruktivismus eine solche echte und langfristige harmonische Integration fremder Migranten in das Gefüge der abendländischen Kultur auch gar nicht will, sondern im Gegenteil ganz auf den alten maoistischen Kurs eingeschwenkt ist.

Mit Enthusiasmus fördert er gerade solche Gruppen, die dem linken Menschenbild eigentlich am meisten entgegengesetzt sind, wenn hierdurch nur die Dialektik einer angeblich anti-imperialistischen und anti-kapitalistischen Revolution befeuert wird: So will man ganz bewusst mit Islam, Clans und Macho-Kultur die letzten „altmodischen“ Residuen von Christentum, klassischer Familie und Ritterlichkeit austreiben, um endlich den Weg für die schöne neue Welt freizumachen.

Und so ist leider für viele Jahre das bürgerliche „Nie wieder“ ebenso mit der anti-bürgerlichen revolutionären Migrationspolitik Hand in Hand gegangen wie eine ehrlich-gemeinte Erinnerungspolitik aus dem Geiste jüdisch-christlicher Moral mit dem irrationalen und suizidären pauschalen Hass auf den „alten weißen Mann“.

Diese Allianz scheint nun erste Risse aufzuzeigen, da kaum noch übersehen werden kann, dass die unheilige Allianz bürgerlich-humanistischer Asylpolitik und linksgrün-revolutionärer Transformationsprojekte gerade das massenhaft nach Deutschland importiert hat, was hier nie wieder Fuß fassen sollte: den exterminatorischen Antisemitismus.

Freilich trägt dieser nun überwiegend islamistische und kaum noch europäische Färbung, auch wenn der mentale Kurzschluss zwischen einer berechtigten Anprangerung der zunehmend polarisierten gesellschaftlichen Verhältnisse einerseits und antijüdischen Stereotypen andererseits ebenso links- wie rechts-außen durchaus Zuhörer findet.

Viel größer ist aber das Risiko einer impliziten Geiselnahme der Mehrheitsgesellschaft, die sich angesichts von islamistischem Krawall auf der einen Seite und jener nicht nur für die deutschen, sondern auch französischen Medien so typischen pro-palästinensischen Berichterstattung auf der anderen Seite dazu zwingen lassen könnte, gegenüber der Migrations- und Israelfrage in etwa dieselbe Haltung wie gegenüber der Ukraine einzunehmen: eine posthistorische Kopf-in-den-Sand-Politik, die mit warmen Worten und gelegentlichen humanitären Gewissenspflastern jenes Zeitfenster zu überbrücken sucht, in dem echte und eigenverantwortliche Weichenstellungen möglich gewesen wären.

Und das mit dem einzigen Ziel, so bald wie möglich ungestört „business as usual“ betreiben zu können, bis schließlich die Garantien für die Aufrechterhaltung der so ersehnten „Normalität“ nicht mehr in den eigenen Händen** liegen, sondern der freie Bürger faktisch zum erpressbaren Untertan geworden ist, ohne den Übergang überhaupt richtig bemerkt zu haben…

Prof. Dr. David Engels hat einen Lehrstuhl für Römische Geschichte an der Universität Brüssel und forscht am Instytut Zachodni in Posen.

*Und über die evangelische Theologie!

**Engels hat wirklich alle wesentlichen Aspekte erwähnt bei dieser zusammenfassenden Lagebeschreibung. Der letzte Punkt ist der wichtigste! Deswegen hätte ich mir gewünscht, dass diese großartige Darlegung weniger blass ausklingt und Engels besser veranschaulicht hätte, wie der gefährliche "Übergang" sich gestaltet: zum Beispiel ist damit zu rechnen, dass die Clan-Bosse die deutschen Richter einschüchtern und unsere grünwoken Medien dies mit Genugtuung beobachten, aber nicht darüber berichten.
 

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