Stationen

Dienstag, 31. Oktober 2017

Hier steh ich und kann nichts anderes

Regelmäßige Zeitungsleser und Nachrichtenhörer sind in diesen Wochen und Monaten ja schon einiges an Hofberichterstattung gewöhnt, die offensichtlich aus der Angst geboren ist, bloße Zweifel an den Vorgaben der deutschen Alleinherrscherin („Ich habe keinen Plan B“, „Wir können das schaffen“) könnten das immer wackeliger werdende Kartenhaus der Merkelschen Willkommenspolitik zum Einsturz bringen.
Aber ein Kommentar zum Auftritt der Kanzlerin bei „Anne Will“, den die Publizistin Christine Eichel in der Berliner BZ unter der Überschrift „In der Krise zeigt sich ihre christliche Prägung“ verfassen durfte , sprengt den bisher gekannten Rahmen. „Hier stehe ich und kann nicht anders“ leitet die Autorin ihren Text mit Martin Luthers legendärem Satz von 1521 auf dem Reichstag zu Worms ein. „Ähnlich unbeirrbar“ wie der Reformator verhalte sich nun fünfhundert Jahre später die Pfarrerstochter, „die eine Vision hat und bereit ist, dafür ihre eigene Popularität zu opfern“ (an dieser Stelle stockte mir der Atem, weil ich fälschlicherweise „Population“ las).
Vermutlich, so die Publizistin weiter, zeige sich hier „die unzerstörbare Substanz von Angela Merkel, eine Entschlossenheit, die nur auf einem starken Wertefundament entsteht“. Selten sei ein deutscher Politiker derart überzeugt gewesen, „dass nicht der Flirt mit dem Wähler, sondern das eigene Wertesystem wichtiger“ sei. Deshalb werde der Auftritt der Kanzlerin bei Anne Will vermutlich in die TV-Geschichte eingehen – „als Dokument einer Haltung, die das Ethos über den mit Geschmeidigkeit erkauften Erfolg setzt.“
Nach so viel nordkoreanisch anmutendem Pathos und „Ethos“ heißt es für den Leser erst einmal durchatmen und die bösen Störgedanken verscheuchen, die ihm unwillkürlich durch den Kopf gehen: Versteht eigentlich die Stammleserschaft dieses Springer-Boulevardblatts solch anspruchsvolle Lobrede? Und fallen einem nicht mindestens zwei andere deutsche Politiker ein, denen die Meinung der eigenen Bevölkerung völlig schnuppe war und die sich bis zum bitteren Ende in ihren angeblich unzerstörbaren „Wertefundamenten“ einbunkerten? Wäre es also nicht von entscheidender Bedeutung, zu erfahren, was für Werte es sind, an denen unsere Kanzlerin so „unbeirrbar“ festhält und welcher Vision – außer dem eigenen Machterhalt – sie anhängt?
Zumal Angela Merkels bisherige Kanzlerschaft nach übereinstimmender Meinung von Kritikern und Bewunderern gerade durch eine schwindelerregende „Geschmeidigkeit“ und Wendigkeit – den jeweils aktuellen Meinungsumfragen folgend – charakterisiert war.  Oliver Zimski

Wie für Gudrin Ensslin besteht das Volk für Angela Merkel nicht aus den Deutschen (deren Wunsch & Wille für Gudrun nicht zählten), sondern aus den Verdammten dieser Erde. Haargenau derselbe exorbitante Hyperdemokratismus und in beiden Fällen von einer Lesbe propagandiert: Ulrike Meinhof bei Gudrun und Anne Will bei Angela.

Und als Sahnehäubchen Luthers Ethik, der die Papisten wegen ihrer Werke verteufelte, um in der nächsten Sekunde zu behaupten, die Werke seien unerheblich zur Erlangung der Gnade Gottes.



An quasi Staatsfeiertagen wie dem gestrigen ist es unmöglich, von Repräsentanten etwas anderes zu hören als einen besonders säuerlichen Sulz aus politischer Korrektheit, Denkfaulheit und Bildungsferne. Angela Merkel sagte in Wittenberg:
„Wer die Vielfalt bejaht, muss Toleranz üben - das ist die historische Erfahrung unseres Kontinents. Mühevoll wurde gelernt, dass die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben in Europa die Toleranz ist.“
Selbst wenn Glaubensüberzeugungen den eigenen Ansichten widersprächen, gelte es anzuerkennen, dass sie „für andere von zentraler Bedeutung sind“.
Nein, die historische Erfahrung unseres Kontinents – die allerdings von immer mehr Bewohnern nicht geteilt wird – lautet vielmehr: Wer eine zivile Gesellschaft haben will, muss die Religion einhegen und Grenzen der Toleranz definieren, gerade gegenüber religiösen Eiferern, die ihre Agenda der gesamten Gesellschaft aufzwingen wollen.
Entscheidend ist eben nicht, ob Glaubenssätze "für andere von zentraler Bedeutung sind" (das sind sie beispielsweise für Salafisten mit Sicherheit), sondern, ob sie sich mit einer Gesellschaft freier Individuen vertragen. Genau das bedeutet nämlich „Vielfalt“ tatsächlich: Individualität. Die kann nur gedeihen, wenn es Leute nicht zu bunt treiben, die meinen, ein Kollektiv müsse bei Drohung mit empfindlichen Übeln dies und jenes glauben, ob religiös oder weltlich.  Alexander Wendt



Dieser Tage lohnt es sich doppelt, in die Vergangenheit Europas zu schauen: Erstens um sich in Erinnerung zu rufen, wie es um die Christenheit vor Luther bestellt war und zweitens, um den Konflikt, der sich gegenwärtig in Spanien um die katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen zusammenbraut, historisch besser einordnen zu können. Wer sich dabei noch unterhalten will, dem sei das Buch „Nacht über der Alhambra“ von Sebastian Fleming empfohlen. Es ist der in sich abgeschlossene dritte Band der großen Renaissance-Trilogie des Autors.
Die Handlung beginnt in Konstantinopel, das 1453 von Sultan Mehmed belagert wird. Die damaligen tragischen Ereignisse hat Stefan Zweig in „Die Welt von gestern“ prägnant zusammengefasst: In der Stadt wimmelt es von Verrätern, die dem Sultan Informationen liefern. Europa lässt seine letzte christliche Festung im Osten, deren Symbol die prächtige Hagia Sophia ist, schmählich im Stich. Die unzerstörbaren Mauern der Stadt werden von den größten Kanonen beschossen, die ein ungarischer Christ für Mehmed gebaut hat.
Mehmeds Kriegsführung, die erst Massen von halbnackten, spärlich bewaffneten Kämpfern in den fast sicheren Tod schickt, um die Belagerten zu ermüden, könnte eine Blaupause für die Strategie von Generalissimus Stalin sein. Aber auch die gut ausgebildeten Elitetruppen drohen, an den Mauern der stolzen Kaiserstadt zu scheitern. Da entdecken muslimische Soldaten eine geöffnete Tür im Festungswall. Ob die Kerkaporta versehentlich offen gelassen wurde, oder Verrat im Spiel war, wird wohl nie geklärt werden können.
Flemings Handlung setzt ein, als die Truppen Mehmeds in die Stadt eindringen, die zur absoluten Plünderung freigegeben wurde. Sein Hauptheld Joanot Julia, später Yaya ibn Catalano, muss zusehen, wie sein Vater und seine beiden älteren Brüder vor seinen Augen geköpft werden. Er selbst wird in die Sklaverei geführt, aber auf Anweisung Mehmeds zum Islam bekehrt und gut ausgebildet. Als Übersetzer leistet er unschätzbare Dienste, weil er die Spitzelberichte, die aus ganz Europa kommen, ins Arabische überträgt.

Den Petersdom zum Pferdestall machen

Mehmed, nicht zufrieden mit der Eroberung Konstantinopels, plant die Rückeroberung ehemals muslimischer Gebiete in Spanien und den Marsch auf Rom. Sein Ziel ist, den Petersdom zum Pferdestall zu machen. Wie europäische Herrscher und geistliche Würdenträger mit dieser Gefahr umgehen, das schildert Fleming, der für seine sorgfältigen Recherchen bekannt ist, sehr farbig und lehrreich.
Da ist der kastilische König Enrique IV, ein Pazifist, der sich gern maurisch kleidet und jeden Konflikt vermeiden will. Seine Abneigung, Entscheidungen zu treffen und die Sucht, Feinde mit Geld, Privilegien und Gütern zu bestechen, führt in dieser aus den Fugen geratenen Zeit immer wieder zu Kriegen.
Da ist seine Halbschwester Isabel, die als Infantin mehr politisches Gespür und Entschlusskraft hat, als ihr Halbbruder. Sie entscheidet sich schon in jungen Jahren, Königin werden zu wollen, nicht nur von Kastilien, sondern eines geeinigten Spaniens. Sie entschließt sich, Don Fernando de Aragón zu heiraten, um die Feindschaft zwischen Kastilien und den Katalanen zu beenden, damit sie nicht länger von den muslimischen Emiren gegeneinander ausgespielt werden können. Der Plan glückt. Isabel und Fernando vereiteln als Johanna die Katholische und Ferdinand der Katholische die Eroberungspläne Mehmeds und tragen erheblich dazu bei, dass Europa christlich bleibt.
Schon vor fünfhundert Jahren war Europa dabei, seine Identität zu verspielen. Es ist heute  wieder in eine Krise manövriert worden, die nicht nur seine Identität, sondern alle seine emanzipatorischen Errungenschaften bedroht. Der französische Autor Michel Houellebecq hat kürzlich in einem Spiegel-Interview geäußert, dass der Katholizismus ein wirksames Gegenmittel gegen die Islamisierung sei. Wenn das stimmen sollte, braucht es statt eines Kardinal Marx eine moderne Johanna die Katholische.
Sebastian Fleming: Nacht über der Alhambra, Lübbe 2017.

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