Stationen

Freitag, 13. Oktober 2017

Anekdoten

Zur Gattung Anekdote. Im Grunde handelt es sich bei diesem Genre um die Sage im Zeitalter der schreibfähigen Augenzeugen. Der überlieferte Kern stimmt immer – man würde eine Überlieferung, die nicht mit dem Charakter der Person korrespondiert, schwerlich glauben –, aber eine gute Anekdote lebt mindestens ebenso sehr von der fiktiven, stets das Typische vergrößernden literarischen Ausschmückung. Da sie etwas Typisches zum Ausdruck bringen, stimmen Anekdoten immer; jede gehört in die Kategorie Das-hätte-so-geschehen-sein-können.

Während Anekdoten dem Historiker oder Biographen Winke geben, denen er vertrauen darf, führen ihn Mutmaßungen der Zeitzeugen über das, was hinter den verschlossenen Türen der prominenten historischen Gestalt geschah, verlässlich oft auf die falsche Fährte. Joachim Fest hat zum Wert solcher vertraulichen Spekulationen ein amüsantes Beispiel erzählt, das selber schon wieder eine Anekdote ist.

In einer Unterhaltung mit Hitlers Vertrautem und späterem Auslandspressesprecher Ernst ("Putzi") Hanfstaengl habe er, so Fest, das Gespräch auf das Sexualleben des Führers gelenkt, ein Thema, zu dem keine Quellen existieren und bei dem niemals jemand über die Mutmaßung hinausgekommen ist. "Wissen Sie, Hitler war ein Egomane, er war der geborene Onanist, der konnte nicht einmal das bisschen Zuwendung aufbringen, das für den Geschlechtsakt nötig ist", habe Hanfstaengl erklärt. Eva Braun sei zeitlebens unberührt geblieben. Darauf Fest: "Woher wissen Sie das?" Hanfstaengl versetzte: "Wenn Sie 12, 13 Jahre lang fast täglich mit jemandem zusammen sind, müssen sie nicht die Lampe gehalten haben, um das zu wissen, das weiß ich eben."

Dieselbe Frage, erzählte Fest weiter, habe er Albert Speer gestellt. Der Rüstungsminister gehörte wie Hanfstaengl zu den engsten Vertrauten Hitlers (mehr als das; "Sie sind Hitlers unglückliche Liebe", soll dessen Bürochef Karl Maria Hettlage zu Speer gesagt haben). Speer habe geantwortet: "Das ist doch ganz einfach, der war ein Mann und musste irgendwie seinen Hormonhaushalt regulieren, der hat natürlich ständig mit ihr geschlafen." Wiederum erkundigte sich Fest: "Woher wissen Sie das?", und neuerlich bekam er zur Antwort: "Wenn man 12, 13 Jahre lang fast täglich mit jemandem zusammen ist, dann weiß man das einfach."  Klonovsky am 13. 8. 2017

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