Stationen

Samstag, 21. Oktober 2017

Lupus


Biermann im „Spiegel“: „Die Menschen, die jetzt geschrien haben, Merkel muss weg, hau ab – das sind die stummen Untertanen von damals. Sie waren zu feige, weil die lähmende Angst sie hatte.“ Bild: pa
„Zum Kotzen“ findet es Wolf Biermann (80), dass so viele in den Neuen Bundesländern für die AfD gestimmt haben. Der prominente Liedermacher, Dichter und DDR-Regimekriker beleidigt in einem „Spiegel“-Interview Millionen Wähler als hassgetrieben, feige und zurückgeblieben. Derlei Anschuldigungen brauchen eine Erwiderung. Angelika Barbe (65) hat es in einem offenen Brief getan. Die DDR-Bürgerrechtlerin und ehemalige Bundestagsabgeordnete weiß wie wenige andere um die Befindlichkeiten, Sorgen und Einstellungen der Menschen in Dresden, Leipzig oder Frankfurt an der Oder. Die PAZ veröffentlicht den Brief in einer gekürzten Version.
Lieber Wolf, seit dem gemeinsamen Hungerstreik mit Bärbel Bohley und anderen Bürgerrechtlern in der Ostberliner Stasizentrale 1990 kennen wir uns persönlich. Vorher verehrte ich Dich bereits Deiner Lieder wegen, die ich abtippte und heimlich verteilte. Ich war damals die einzige aus der SPD, die sich dem Streik um die Öffnung der Stasiakten anschloss und dafür von Thierse diffamiert wurde. Du weißt, dass ich kein Feigling bin. Die Mehrheit der Ostdeutschen ist es auch nicht.
Schade, dass du keine Gelegenheit hattest, mit den vielen Bürgern zu sprechen, die ich in Dresden in den letzten Jahren kennenlernen durfte. Von über 500 Briefen, die wir in der Sächsischen Landeszentrale von Bürgern bekamen, klagten mehr als 90 Prozent darüber, dass sie weder von Bürgermeistern, Abgeordneten, Landräten noch anderen Vertretern des Establishments eine Antwort auf Petitionen, Briefe und Anfragen erhielten. Sie fühlten sich nicht akzeptiert, kamen sich verhöhnt vor und wurden dann noch als Rassisten beschimpft.
Merkel landet mit dem Hubschrauber in Heidenau, entschwebt nach einer Stunde und löst damit kein einziges Problem. Zahlreiche „Lückenmedien“ (Norbert Bolz) beschwichtigen uns, Hunderttausende, nicht registrierte illegale Migranten seien trotz zahlreicher islamischer Terror-, Messer- und Lkw-Angriffe ungefährlich. Die Regierung beschweigt den Kontrollverlust. Schließlich ist sie nicht betroffen. Aber „Merkelsperren“ werden aufgestellt, wenn die Herrschenden sich selbst gefährdet sehen – wie am 3. Oktober 2016 in Dresden. Dort lauerten sogar schwer bewaffnete Scharfschützen auf den Dächern. Die Opfer islamischer Terrorangriffe werden verschwiegen, getreu dem SED-Motto: Wo keine Opfer, da keine Täter!
Auch mein Großvater war Kommunist, kämpfte im Untergrund gegen die Nationalsozialisten. Er war einfacher Werkzeugmacher und trat später der neugegründeten SED bei. Das änderte sich nach dem 17. Juni 1953. Damals warf er seinen Genossen das Parteibuch vor die Füße. Er habe nicht gegen die Nazis Zivilcourage gezeigt und seine Familie in Gefahr gebracht, um jetzt seine Kameraden in Gefängnissen wiederzufinden. Rot lackierte Faschisten wollte er nicht unterstützen. Fortan galt er als Verräter. Ich habe Widerstand gegen die zweite deutsche – die kommunistische – Diktatur geleistet, bin dafür als „feindlich-negativ“ diffamiert, mit Bespitzelung und Berufsboykott bestraft worden. Ich musste kommunistische Sippenhaft und mit drei Kindern Armut in der DDR erleben. Ich möchte keine dritte Diktatur – erst recht keine islamische – ertragen müssen.
Von politischer Kultur hierzulande kann überhaupt keine Rede sein. Ich vermisse die offene Auseinandersetzung über strittige Themen, ich vermisse die Achtung des Andersdenkenden. Eine selbsternannte Kaste elitärer „Meinungsmacher“ verwendet Begriffe wie Toleranz, deren Bedeutung sie dann ins Gegenteil verkehrt. Wer den IS mit friedlichen Pegida-Demos vergleicht, muss Andersdenkende hassen.
Wie soll ein Bürger eigentlich seine Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen? Auf die Straße zu gehen, sei nicht in Ordnung, wird von Lückenmedien und Kartellparteien (Begriff von Richard S. Katz und Peter Mair) behauptet. Jetzt gehen viele wählen, die früher die Wahl-urne mieden. Nun werden sie für dumm erklärt, weil sie nicht die „Richtigen“ ankreuzten. Aber die ostdeutschen „Tölpel“ (Sergej Lochthofen) machten weder Altmeier noch etlichen Kirchenfürsten die Freude und verzichteten darauf, sondern „griffen lieber zur AfD“. Denn Nichtwähler stärken automatisch die stärkste Partei. Derart demokratiefeindliche Aufrufe wie Altmeiers „Lieber nicht zu wählen als die AFD“ zu verbreiten, zeugt von totalitärer Gesinnung.
Lieber Wolf, als Christin und Havel-Verehrerin „will ich in der Wahrheit leben“. Ich blende die Wirklichkeit nicht aus, nur weil das den Kartellparteien in den Kram passt. Ich bin CDU-Mitglied und halte mich an das CDU-Programm von 2002, das jetzt von der AfD vertreten wird. Wenn eine gehen muss, dann sicherlich nicht ich – sondern Merkel.
Nach 1990 habe ich Hunderte von Lebensläufen verfolgter SED-Opfer mit Trauer und Wut angehört, versucht, ihnen im Bürgerbüro und im Verein zu helfen, Zeitzeugengespräche zu organisieren, Rehabilitierungen zu erwirken, bin dafür von den SED-Rechtsnachfolgern übel verleumdet worden. Denn wo keine Opfer sind, kann es auch keine Täter geben – mit dieser Devise hoffen sie, die Verbrechen zu vertuschen und unbedarfte Zeitgenossen zu täuschen. Bis heute weigern sich die SED-Rechtsnachfolger, die Opfer aus ihrem unrechtmäßig erworbenen Vermögen zu entschädigen. Gemeinsam mit Siegmar Faust und anderen Mitkämpfern stritten wir für eine Opferrente – zur Würdigung des widerständigen Verhaltens der mehr als 250000 unschuldig inhaftierten SED-Häftlinge. Herausgekommen ist eine kümmerliche Summe von 300 Euro, die vor Renteneintritt nur bei Bedürftigkeit gezahlt wird.
Ich verstehe die Trauer, die Wut, die Hoffnungslosigkeit, die Ohnmacht vieler meiner ostdeutschen Mitbürger angesichts ihrer politischen, rechtlichen und sozialen Entmündigung und ich verstehe ihre Wahlentscheidung, die auch meine war. Wenn in einem Staat das Recht auf zweierlei Weise ausgeübt wird, zerfällt die Gesellschaft. Denn Recht muss für alle gleich sein, sonst ist es Unrecht.
Wer den Rechtsstaat schätzen gelernt hat, wie der im Unrechtsstaat eingesperrte DDR-Bürger, will ihn verteidigen und nicht wieder hergeben – schon gar nicht zugunsten einer Unterwerfungsideologie wie dem Islam. Bei jeder Pegida-Demo wird in Dresden ein Transparent hochgehalten: „Weil wir die Knechtschaft kennen, ist uns die Freiheit heilig!“
In der DDR hieß es: Wer nicht für uns ist, ist gegen den Weltfrieden. Heute heißt es: Wer AfD wählt, ist ein Nazi. Eine schlimmere Diffamierung gibt es nicht. Wer das aushält, hat Mut zum Widerspruch. Nein, wir sind keine Feiglinge. Wer es wagt, sich Pegida anzuschließen, muss damit rechnen, von gewaltbereiten Linksextremisten körperlich angegriffen, wer sich zur AfD bekennt, muss damit rechnen, persönlich und beruflich drangsaliert zu werden. Ist Dir bekannt, dass Altbundespräsident Gauck folgende Überzeugung zum Besten gab? „Die Eliten sind gar nicht das Problem, die Bevölkerungen sind im Moment das Problem.“ Gibt es einen besseren Beweis für die Arroganz der Macht und den Mut der Bürger, dieser Arroganz zu trotzen?
Mit herzlichen Grüßen und der Hoffnung, dass Du meine Argumente ernst nimmst.
Angelika Barbe,
Dein abgehängter, islamophober, der „enthemmten Mitte“ entstammender, AfD-wählender, „veränderungsmüder“ Tölpel und Finsterling aus Dunkeldeutschland (auch als Gabriels „Pack“ bekannt)".

Zur Person: Angelika Barbe

Die DDR-Oberen ließen sie die ganze Härte ihres Unrechtstaates spüren: Als Oppositionelle erlebte sie Bespitzelung, Sippenhaft und Armut. Einschüchtern ließ sich die 1951 in Brandenburg geborene Angelika Barbe nicht. Kurz vor Ende des Regimes war sie Mitbegründerin der Sozialdemokratischen Partei der DDR. Nach der „Wende“ saß sie vier Jahre für die SPD im Bundestag. Seit 1996 ist sie CDU-Mitglied. Bevor sie im Mai in den Ruhestand ging, arbeitete sie als Referentin zum Thema „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ in der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Ehrenamtlich engagiert sich die Berlinerin in der „Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft“.
Angelika Barbe ist verheiratet und hat drei Kinder.

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