Vor 30 Jahren machte ein neuer Werbeslogan für einen alten
Schokoriegel die Runde: „Raider heißt jetzt Twix, sonst ändert sich
nix!“ Ähnlich verhält es sich mit den Euro-Bonds, die jetzt
„Corona-Bonds“ heißen. Während Euro-Bonds ökonomisch, finanz- und
geldpolitisch begründet wurden – und entsprechend widerlegt werden
konnten –, sind „Corona-Bonds“ unwiderlegbar. Sie appellieren an das Mitgefühl, das gute Herz, das Gewissen. „Corona-Bonds“, lautet die Suggestion, dienen der Linderung eines
medizinischen oder medizinisch verursachten Problems. Wer sie
verweigert, macht sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig, er
handelt unsolidarisch, ja unmenschlich.
Das humanitäre und moralische
Argument dient der politischen und finanziellen Erpressung – ein
Verfahren, für das die Deutschen besonders empfänglich sind.
Als Erpresser treten die üblichen Verdächtigen auf: Italien, Spanien,
Griechenland und natürlich Frankreich, das sich geschickt im
Hintergrund hält. Der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez wählte
in einem Beitrag, der in der FAZ erschien, martialische
Formulierungen. Die Situation rufe nach einer „Kriegswirtschaft“ und
„rigoroser Solidarität“. Nötig seien „Maßnahmen zur Stützung der
Schulden, die wir in vielen Staaten aufnehmen“, und zwar über die akute
Notlage hinaus. Europa benötige einen „neuen Marshall-Plan“, „einen groß
angelegten Generalplan für eine rasche und solide Erholung des
Kontinents“.
Damit es keine „Gräben zwischen Norden und Süden gibt“, müsse „ein
neuer Mechanismus zur Vergemeinschaftung von Schulden eingerichtet“
werden, also eine Transfersunion von Nord nach Süd. „Wir Spanier haben
uns stets vor das europäische Projekt gestellt und es verteidigt. Jetzt
ist der Augenblick der Gegenseitigkeit.“
Das ist eine so einseitige wie sentimentale Darstellung. Spanien hat
aus dem „europäischen Projekt“ einen enormen – auch geldwerten – Nutzen
gezogen. Viele Jahre war es der größte Netto-Empfänger aus dem
EU-Haushalt. Als vor 20 Jahren die EU-Osterweiterung verhandelt wurde,
verhielt der damalige spanische Ministerpräsident Aznar sich aus Sorge
um einen neuen Verteilerschlüssel höchst unsolidarisch und unkooperativ.
Doch Sanchez, Conte, Macron und ihre Gesinnungsfreunde können
beruhigt sein. Längst treibt die Entwicklung in die von ihnen gewünschte
Richtung. Das europäische Kurzarbeitergeld stellt einen Einstieg in die
Bonds dar. Denn um die Hilfen zu finanzieren, soll sich die Kommission
100 Milliarden Euro an den Märkten leihen. Dank der höchsten
Bonitätsnote, für die vor allem Deutschland sorgt, kann sie sich das
Geld zu günstigen Konditionen beschaffen und den niedrigen Zinssatz an
weniger kreditwürdige Mitgliedstaaten weiterleiten, die sonst höhere
Zinsen zahlen müßten.
Angesichts solcher Erfolge kann Italien es sich sogar leisten, mit der Attitüde verletzten Stolzes die 39 Milliarden abzulehnen,
die ihm aus dem Europäischen Rettungsschirm ESM zugedacht waren. Dabei
sollte die Summe nur an eine einzige Auflage geknüpft sein: Die Gelder
müssen im Gesundheitssystem eingesetzt werden. Weitergehende
wirtschaftspolitische Reformen wurden nicht mehr verlangt. Offenbar ist
die italienische Regierung zu dem Schluß gekommen, daß das strategische
Ziel einer totalen Schulden-, Haftungs- und Transferunion zum Greifen
nahe und es daher nützlicher ist, auf die Summe vorerst zu verzichten
und stattdessen den moralischen Druck weiter zu verstärken, um den lang
ersehnten Paradigmenwechsel festzuschreiben.
Vor diesem Hintergrund klingt die Erklärung des Vizepräsidenten der
EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, in einer derart schweren Krise müsse
man „aus alten Denkmustern ausbrechen“ und „an neuen Finanzierungsinstrumenten“ arbeiten, alarmierend.
Einer realistischen Diskussion um die Euro- oder Corona-Bonds müßte
ein Zitat aus Schillers „Wallenstein“ vorangestellt werden: „Das eben
ist der Fluch der bösen Tat, / Daß sie, fortzeugend, immer Böses muß
gebären.“ Die böse Tat ist der Maastricht-Vertrag, mit dem die Außen-
und Finanzminister 1992 die europäische Währungsunion vereinbarten. Es
hätte sie – wenigstens in dieser Form – niemals geben dürfen. Nahezu
alle Befürchtungen, die damals von den Kritikern geäußert wurden, haben
sich bewahrheitet.
Die heutigen Rufe nach Solidarität und europäischer Gemeinsamkeit
würden ehrlicher und überzeugender wirken, wenn die südeuropäischen
Weichwährungsländer aus Einsicht in ihre Unzulänglichkeit auf den
schnellen Beitritt zum Euro verzichtet hätten, damit eine von
Hartwährungsländern getragenen Gemeinschaftswährung sich konsolidieren
kann. In der Zwischenzeit hätten sie Gelegenheit gehabt, ihre Finanzen,
ihre Steuerpolitik und Ökonomie gemäß den vereinbarten Standards zu
ordnen und an den Euro-Verbund anschlußfähig zu werden. Doch weil es
ihnen statt um Europa um Teilhabe an der Stärke und Bonität der
Deutschen Mark ging, hantierten sie mit gefälschten Haushaltszahlen und
errichteten potemkinsche Dörfer.
Allerdings konnte europäischen Kernländern nicht zugemutet werden,
dauerhaft am Katzentisch der EU zu sitzen. Es hätte also klarer
politischer Führung bedurft, um einerseits den Südländern eine
Beitrittsperspektive zu eröffnen, andererseits aber zu verhindern, daß
das Gift des geldpolitischen Schlendrians die Gemeinschaftswährung
kontaminiert und sich im Euro das Schopenhauersche Entropie-Gesetz
erfüllt: „Wenn man einen Teelöffel Wein in ein Faß Jauche gibt, ist das
Resultat Jauche. Wenn man einen Teelöffel Jauche in ein Faß Wein gibt,
ist das Resultat ebenfalls Jauche.“
Die Alternative wäre gewesen, einen Zeitrahmen aufzustellen, klare
Reformvorgaben zu machen und deren Erfüllung akkurat zu überprüfen. Ein
Kohäsionsfond hätte zusätzliche Leistungsanreize geben können. Die
politische Initiative hätte von Deutschland ausgehen müssen, das mit der
D-Mark über das Objekt des Begehrens verfügte und das stärkste
Interesse an belastbaren Standards hatte, weil es mit der eigenen
Währung seinen Kronschatz in das Projekt investierte.
Jegliche Vernunft wurde aber auf dem Altar einer vermeintlich
europäischen Idee und der einseitigen deutsch-französischen Freundschaft
geopfert. Frankreich war daran interessiert, Deutschland geldpolitisch
zu entwaffnen und im Euro-Verbund einen möglichst starken „Club med“ zu
etablieren. Man versteht die französische Europa-Politik nur, wenn man
sich die Vision Charles de Gaulles von einem französisch bestimmten
Europa vor Augen hält, für das ein politisch kastriertes Deutschland die
ökonomischen und finanziellen Ressourcen bereitstellt.
Frankreich seinerseits dachte nicht im Entferntesten daran, seine
Atomwaffen oder den ständigen Sitz im Uno-Sicherheitsrat zu
vergemeinschaften. Weil die Bundesrepublik Paris aber keine eigene
politische Idee entgegenzusetzen hatte, wurde am Ende ein extra großer
Wasserkrug voll Jauche in das Euro-Faß geschüttet.
Man muß mit einer gewissen Bewunderung konstatieren, daß die
Franzosen ihr Konzept knallhart durchsetzen. Auf den Franzosen
Jean-Claude Trichet folgte als EZB-Präsident der Italiener Mario Draghi,
dem jetzt die Französin Christine Lagarde nachfolgte. Die
durchsetzungsfähige Lagarde hat reale Macht inne, während
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die schon als
Verteidigungsministerin („Flintenuschi“) ein Totalausfall war, eine
Frühstückdirektorin abgibt.
Der Euro sollte Prosperität und Wohlstand für alle schaffen, die
Völker zusammenführen, ein europäisches Staatsvolk kreieren. Auf allen
Gebieten sollte Europa einen gewaltigen Energieschub erhalten. Parallel
zur Euro-Einführung wurde im März 2000 auf einem Sondergipfel in der
portugiesischen Hauptstadt die sogenannte „Lissabon-Strategie“
verabschiedet. Innerhalb von zehn Jahren, bis 2010, sollte die EU vor
den USA und Japan zum wettbewerbsfähigsten, dynamischsten,
intelligentesten Wirtschaftsraum der Welt werden und zum echten Global
Player aufsteigen.
Was kam, war ein kreditfinanzierter Konsum- und Bauboom in Südeuropa,
der in einer Staatschuldenkrise mündete, die sich mit der Banken- und
Finanzkrise verband. Zur Weltmacht aufgestiegen ist unterdessen China,
das zielstrebig am Bau der Neuen Seidenstraße arbeitet, während die EU
mit Krisengipfeln, dem Aufspannen von Rettungsschirmen und dem Schnüren
von Rettungspaketen beschäftigt ist.
Anstatt der Hart- geben die Weichwährungsländer den Ton an, die sich
in einer komfortablen Position befinden. Die Verbindlichkeiten und
Forderungen der Deutschen Bundesbank, die sogenannten Target-2-Salden,
die bei den nationalen Notenbanken beim grenzüberschreitenden
Zahlungsverkehr der Kreditinstitute entstehen, nähern sich der
Billionenmarke. Bräche der Währungsraum auseinander, müßten sie
offiziell abgeschrieben werden.
Die deutschen Politiker geben, wie gehabt, ein jammervolles Bild ab.
Der damalige, für Maastricht mitverantwortliche Finanzminister Theo
Waigel (CSU) hat bis heute nicht begriffen,
was er angerichtet hat. Grünen-Chef Robert Habeck findet die Euro-Bonds
ganz großartig. In der Begründung gibt er sich als Opfer des
bundesdeutschen Geschichtsunterrichts zu erkennen: Auch die Deutschen
seien nach dem Zweiten Weltkrieg „in besonderem Maß“ von der USA und den
Nachbarstaaten finanziell und institutionell unterstützt worden, „trotz der Vergangenheit“.
Ging es für Helmut Kohl (CDU) bei der Euro-Einführung „um Krieg oder
Frieden“, geht es für Sigmar Gabriel (SPD) und Joschka Fischer (Grüne)
in der Corona-Krise „um Leben und Tod – auch für Europa!“ Natürlich
darf das Märchen nicht fehlen, daß Deutschland „von allen Ländern den
größten wirtschaftlichen und finanziellen Gewinn aus dem Euro zieht und
sogar an der Griechenland-Krise verdient hat“.
Zwar spricht die Bundesregierung sich offiziell gegen die Bonds aus,
aber die Gegenwehr wirkt schwächlich, inkonsequent und kaum politisch
begründet. Da die Target-Kredite aller Voraussicht nach ohnehin verloren
sind, wäre der Schnitt zwischen einem Nord- und Südeuro zwar ein Ende
mit Schrecken, aber immerhin das Ende eines grundlegenden Fehlers, das
einen Neuanfang ermöglichte.
Das liegt für unsere Funktionseliten jenseits des Vorstellbaren. Es
wird zu faulen Kompromissen kommen, und wenn sonst nichts hilft, wird
man sich dem Argument beugen, daß ein Volk, das zwei Weltkriege
angefangen und sechs Millionen Juden umgebracht hat, keine humanitär
gebotenen „Corona-Bonds“ verweigern dürfe. Vielmehr müsse es gerade
jetzt beweisen, daß es aus seiner dunklen Vergangenheit gelernt habe.
Was bedeutet, daß dem Krug Jauche ein ganzer Eimer hinterher geschüttet
wird.
Eine Prognose: Weder die EU noch der Euro-Raum werden mit einem
Corona-Knall auseinanderfallen. Sie werden ihren Konkurs auf Kosten der
Nordländer und insbesondere Deutschlands verschleppen, und sei es um
den Preis des Währungsschnitts. Überhaupt kann man sich schwerlich des
Eindrucks erwehren, daß Deutschlands Politiker und noch mehr die
Meinungsmacher das Corona-Virus als Chance sehen, die bitteren
Konsequenzen, die sich aus dem fehlkonzipierten Euro-Verbund ergeben,
auf eine unkalkulierbare höhere Gewalt zu schieben.
Aktiven Widerstand brauchen sie nicht fürchten. Fortschreiten wird
jedoch die allgemeine Ermüdung, die Demoralisierung, die Auszehrung, die
Zerstörung des Leistungsethos. Deutschland steigt ab, ohne daß seine
Nachbarn deshalb aufsteigen. Im Gegenteil, wenn der deutsche
Stabilitätsanker den Ermüdungsbruch erleidet, verliert die politisch
führungslose EU den letzten Halt. Auch durch Selbstzerstörung kann man
an ein Ende kommen. Hinz
Hier https://persciun.blogspot.com/2011/07/svvm-cvique.html kann man lesen, was ich vor 9 Jahren zu einem Thema schrieb, das gerade auf tragische Weise aktuell wird.
AntwortenLöschenSo sehr ich Thorsten Hinz im Prinzip auch zustimme, diesmal muss ich ausnahmsweise im Detail dem unsäglichen Habewicht recht geben.
Es ist eine Tatsache, dass Deutschland nach dem 2. Weltkrieg so gut davon gekommen ist, wie es nach dem 1. Weltkrieg schlecht davonkam. Einer der Gründe, weshalb viele nicht beim 20. Juli 1944 mitmachten, war, dass sie zu recht ein Super-Versailles fürchteten und daher sagten, erst müsse der Krieg gewonnen werden, dann könne man auch Hitler umbringen. Kein Land der Welt wechselt den Feldherrn während einer Schlacht (deshalb sitzt Merkel jetzt auch wieder fest im Sattel).
Eine korrekte Argumentation würde sich daher ehrlich dazu bekennen, dass manchmal eben doch mit zweierlei Maß gemessen werden muss. Schlicht und einfach, weil es für alle das Beste war, Deutschland einen Schuldenbegleichungsaufschub zu gewähren (den in -aufhebung zu verwandeln Kohl bravourös gelungen ist), während niemandem damit gedient ist, wenn Europa dem Süden Geld schenkt. Im ersten Fall handelt es sich um eine lohnende Investition, im zweiten um rausgeworfenes Geld.
Dies wäre der Zeitpunkt, den Südländern einmal vorzurechnen, wieviel Deutschland – trotz nie erfolgter Reparationszahlungen – im Lauf der Jahrzehnte tatsächlich gezahlt hat. Das wäre ein echter Scoop, denn die italienischen Wirtschaftsblätter z.B. haben dieses Thema nie auch nur gestreift und ich verwette meine Eier, dass das in den anderen Mittelmeerländern genauso ist.
Von linken Kritikern wird immer bemängelt, dass das Subventionsgeld für Griechenland aus dem EU-Fond letztlich in den Kassen deutscher Unternehmen landet. Dazu ist einzuwenden, dass 1. nicht die Deutschen daran schuld sind, wenn die Griechen nicht von alleine dazu fähig sind, in Athen eine U-Bahn zu bauen und 2. bleibt das Geld zwar nicht in Griechenland, aber die U-Bahn wurde gebaut, und sie bleibt auch in Athen. Und 3. ist der Sinn des EU-Fonds eben nicht der, Geld zu verschenken, sondern es so zirkulieren zu lassen, dass alle etwas von der Zirkulation haben.
Aber da diese Tatsachen noch nie angemessen thematisiert wurden und es auch jetzt nicht dazu kommen wird, können wir Deutschland nun endgültig beim Untergang zusehen. Man kann nun mal nicht ungestraft Millionen Menschen vergasen.