Stationen

Sonntag, 5. April 2020

Zukunft

Die staatlichen Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie kann man für zweckgebunden und zielführend halten. Trotzdem ist es bemerkenswert, wie wenig Ausmaß und Nebeneffekte der exekutiven Durchgriffe thematisiert und problematisiert werden. Diskussionswürdig wäre auch die Frage, warum der Staat, der 2015 angeblich seine Grenzen nicht schützen konnte, sich jetzt nach innen als überaus handlungsfähig und restriktiv erweist. Sobald man vom karitativen Zweck abstrahiert, erschließt sich das ambivalente Potential der angewandten und angedachten Mittel.
Die Exekutive hat eine ungeheure Disziplinarmacht an sich gezogen, mit der sie das öffentliche und Privatleben nach medizinischen Kriterien reguliert. Ein Ausnahmezustand verwandelt die Lebenswelt in einen Menschenpark, in einen „geschlossenen, parzellierten, lückenlos überwachten Raum, innerhalb dessen die Individuen in feste Plätze eingespannt sind, die geringsten Bewegungen kontrolliert und sämtliche Ereignisse registriert werden“. (Michel Foucault)
Die Menschen werden erfaßt, geprüft, in Gesunde, Infizierte, Kontaktpersonen, Risikogruppen eingeteilt und können entsprechend separiert werden. Grundrechte wie die Freizügigkeit sind aufgehoben, der Aufenthalt im Freien unterliegt der Kontrolle und mitunter der Willkür. Ganze Familien stehen faktisch unter Hausarrest. Gleichzeitig wird vor häuslicher Gewalt und innerfamiliärem Kindesmißbrauch gewarnt und nach behördlicher Überwachung verlangt.

Die offizielle Sprache ist von Vokabeln aus der Biopolitik geprägt: Die Rede ist von Tests, Kontaktverboten, Isolierung und Quarantäne-Zentren. Autoritäre Staaten in Südostasien gelten plötzlich als vorbildlich, der Datenschutz als lästig. Die Forderungen, mit elektronischen Mitteln Bewegungsprofile zu erstellen, Kontaktdaten zu sammeln und das Sozialverhalten zu kontrollieren, werden dringlicher.
Da jeder ein potentieller Virenträger ist, macht sich verdächtig, wer sich der Überwachung entzieht. Die Kappung direkter sozialer Kontakte wird zur staatsbürgerlichen Pflicht erhoben. Dafür werden die staatsnahen Medien wieder wichtiger. Sie bilden das kommunikative Band zwischen den atomisierten Einzelwesen und versetzen sie in einen Zustand wohltemperierter Anspannung, indem sie permanent an die Gefahr erinnern und gleichzeitig dazu aufrufen, der Kompetenz der Regierung zu vertrauen. Die Situation entspricht durchaus einer totalitären Versuchsanordnung.
Wo das gesellschaftliche Leben zum Erliegen kommt, ist auch kein politisches Handeln mehr möglich. Das Zwei-Personen-Maximum im öffentlichen Raum schließt das Versammlungs- und Demonstrationsverbot ein. Der politische Diskurs wird von ausgewählten Virologen vorgegeben. Bundestag und Bundesrat haben das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ innerhalb von drei Tagen durchgewinkt und sich damit zum Scheinparlament degradiert.

Die Exekutive hat Wirtschaft und Handel weitgehend zum Erliegen und Angestellte und Selbständige um die Möglichkeit gebracht, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die offerierte Unterstützung drückt den Bürger zum Antrag- und Bittsteller, zum Staatsabhängigen herab. Nebenbei wird deutlich, daß das angebliche deutsche Job-Wunder ein Prekariat aus Mini- und Mehrfachjobbern, Solo-Unternehmern und Ich-AGs generiert hat, das über keinerlei Rücklagen verfügt.
Zur Befriedung werden ungeheure Summen freigegeben, von denen man sich nicht vorstellen kann, wie sie anders wieder hereingeholt werden können als über Inflation und Enteignungen. Das mit dem Corona-Notstand begründete Verbot, säumige Mieter zu kündigen, wälzt zudem ein soziales Problem auf die Vermieter ab. Das Eigentumsrecht wird mißachtet und zu einem anarchischen Verständnis von Recht und Gesetz ermuntert.
Die Bürger haben eine exorbitante Steuer- und Abgabenlast entrichtet. Der Staat, anstatt das Geld in die Daseinsvorsorge – so in die medizinische Infrastruktur und den Katastrophenschutz – zu investieren, hat es für widersinnige Projekte wie die Willkommenskultur ausgegeben. Was ein zusätzlicher Grund ist, sich jetzt auf keinen faulen Burgfrieden mit der verantwortlichen Politik einzulassen. Falls die Umfragen nicht täuschen, sind die meisten einverstanden mit den Einschränkungen oder wünschen noch härtere Restriktionen. Der in der Massendemokratie vorherrschende Typus ist nun mal nicht der freiheitsverliebte Citoyen, sondern der Hedonist, der Freiheit mit der Entlassung aus Pflicht und Verantwortung gleichsetzt.


Demokrat ist er vor allem deshalb, weil im Systemvergleich die Demokratie den Hedonismus besser gewährleistet als die Diktatur. In dem Moment, wo unkalkulierbare Bedrohungen diesen in Frage stellen und der Staat Sicherheit verheißt, schälen sich Hörigkeit und Beliebigkeit als sein politischer Wesenskern heraus.
Die Maßnahmen mögen in der konkreten Situation richtig und notwendig sein, aber sie verstetigen und verschärfen den Ausnahmezustand, der 2010 mit der Eurokrise, spätestens aber 2015 mit der Grenzöffnung einsetzte und mit der erzwungenen Annullierung der Wahl eines thüringischen Ministerpräsidenten einen weiteren Höhepunkt erreichte.
Es ist zu befürchten, daß die aktuellen Machtprozeduren die Pandemie abgeschwächt überdauern und als Normalität akzeptiert werden. Die Anti-Corona-Maßnahmen sind geeignet, auf weitere Politikfelder übertragen zu werden. Sind Klima-Leugner, Islamophobe, Gender- und Euro-Kritiker sowie Rechte nicht ebenfalls krank und gehören ausgesondert? Orwells Großer Bruder, der die Kluft des Gefängniswärters trägt, käme als treusorgende Große Schwester daher.   Hinz


Zweifeln statt verzweifeln  - Joachim Steinhöfel, Cora Stephan, Markus Vahlefeld und Burkhard Müller-Ullrich diskutieren über den blauen Himmel, eine Welt ohne Flugverkehr, den Fake-News-Kampf um Masken und viele Gründe, sowohl den Virologen als auch den Politikern zu misstrauen.

Reitzle fragt: Weshalb schauen wir nicht auf Japan? Ich habe mich schon sehr geärgert, dass es in der AfD niemanden wie Reitzle gibt.

Ausgerechnet Prantl stellt die Außerkraftsetzung des Grundgesetzes fest.

Die Grenzschließung wegen Covid-19 "gilt für alle – aber nicht für Asylbewerber", meldet die Welt. Da haben wir das "System Merkel" in einem Satz.  MK

Kairos

Total durchdacht




Die Präsidentin der EU-Kommission hat einen Traum. In einem Zeitungsbeitrag zählt Ursula von der Leyen grenzübergreifende Beistandsmaßnahmen in Europa auf und schließt daraus auf eine immerwährende europäische Solidarität. Sie sei „sicher, daß Europa bald wieder auf festen Füßen steht. Und zwar gemeinsam“.
Der Traum erinnert an die vielen historischen Projekte für ein gemeinsames Europa, das, basierend auf einer imaginären allumfassenden Solidarität, in eine Föderation oder gar einen Bundesstaat münden sollte. Zum Beispiel das Projekt des Abbé de St. Pierre, der vor knapp dreihundert Jahren einen „Senat d’Europe“ vorschlug. Der alte Fritz hat das seinerzeit mit einer spöttischen Bemerkung gegenüber Voltaire so abgetan: „Der Abt Saint Pierre hat mir ein schönes Werk über die Methode geschickt, den ewigen Frieden in Europa zu begründen und zu erhalten. Die Sache wäre sehr brauchbar, wenn nur nicht die Zustimmung der europäischen Fürsten und noch einige ähnliche Petitessen dazu fehlen würden.“
Auch heute fehlen sie, die Petitessen. Denn in der Corona-Not haben die europäischen Fürsten zuerst und mit Recht daran gedacht, ihre eigenen Untertanen zu schützen. Der Traum Europa kam danach. Und selbst in der Diskussion um europäische Maßnahmen in und nach der Krise dient Europa vorwiegend als Mittel zum Zweck der eigenen wirtschaftlichen Rettung, Stichwort Eurobonds. Hier wird die Not zum Mittel der Erpressung. Denn es gibt genügend andere Wege. Die EZB läßt ohnehin keinen hängen, der EU-Haushalt hat seine Reserven, die Europäische Investitionsbank kann auch noch ein paar Scheine drauflegen.

Dem Traum der Präsidentin von den Vereinigten Staaten von Europa stehen harte Fakten gegenüber. Der Europäismus hat den Wirklichkeits­test allgemeiner Nützlichkeit für die Sicherheit der Völker nicht bestanden.
Es ist immer noch so, daß das Gemeinwohl an der Elle der Nationen gemessen wird. Das schließt eine grenzüberschreitende Kooperation nicht aus und dafür gibt es ja auch zahlreiche Institutionen, angefangen bei der Uno bis hin zu bilateralen Abkommen in Grenzregionen. In Europa ist die Verflechtung soweit gediehen, daß Udo Di Fabio nicht mehr von einem Staatenbund, sondern von einem „Staatenverbund“ redet.

Eine der Lehren aus der Corona-Krise aber wird sein: Wenn es ans Eingemachte geht, an die Sicherheit der Staatsbürger, an die Lebensräume und Schutzräume mit eigenen Identitäten, dann stößt Europa im doppelten Sinn an seine Grenzen. Es sind sowohl die geographischen als auch die operativen Grenzen.
Ideologen denken selten an Vorsorge oder Prävention. Sie halten ihre Ideologien für Allheilmittel. In diesem Punkt aber haben nicht nur die Kommission, sondern auch die Regierungen in Europa schlicht versagt. Alle waren vorgewarnt. In Deutschland sogar amtlich. Die Bundestags-Drucksache 17/12051 aus dem Dezember 2012 erstellte eine „Risikoanalyse für den Bevölkerungsschutz“ mit erstaunlicher Präzision.
Schon in der zweiten Amtszeit der Regierung Merkel war man also darüber orientiert, daß es Probleme geben kann mit den Schutzmitteln für die Bevölkerung, für das medizinische Personal, für die Krankenhäuser. Jedenfalls hat die Bundesrepublik eine entsprechende Bevorratung an Masken, Beatmungsgeräten und Betten verschlafen.
Gleiches gilt für Italiener, Spanier, Briten und Franzosen. Niemand kann behaupten, er sei nicht vorgewarnt gewesen. Auch die Amerikaner nicht. Die CIA veröffentlicht regelmäßig Analysen kommender Krisen. Das tat sie auch 2008, und ihr Bericht wurde auch in Europa publiziert. Darin warnt sie vor einem Virus aus China, das wegen fehlender Therapieoptionen (Medikamente) und Präventionsmöglichkeiten (Impfungen) Millionen Menschen töten könnte. Die Seiten lesen sich wie ein Protokoll aus der Vergangenheit, das die heutigen Zustände aufzeichnet.

Solche Berichte ernst nehmen und die Regierungen zu Maßnahmen bewegen oder solche selbst treffen – das wäre eine Koordinationsaufgabe für die Kommission gewesen und ist es immer noch.

Denn bei Pandemien handelt es sich um grenzenlose Gefahren, deren Abwehr supranational koordiniert werden muß, ähnlich der Nato bei militärischen Gefahren.
Zu der Koordination könnte dann auch gehören, zentral Intensivbetten in der EU zu erfassen und Optionen für Verlegungen aufzuzeigen. Dann hätten zum Beispiel in der Anfangsphase nicht Patienten aus dem stark betroffenen Mülhausen nach Toulon geflogen werden müssen, statt sie ins nahe und weniger beanspruchte Freiburg zu verlegen.

Der Staatenverbund Europas kann nützlich sein. Die Ideologie der offenen Grenzen ist es nicht. Weder totale Abschottung noch totale Vergemeinschaftung sind die Lösung. Corona zeigt uns: Internationale Kooperation und nationale Souveränität bleiben der Königsweg für Europa. Man wird wieder intensiver über Kompetenzverteilungen zwischen Region, Nation und Europäischer Union nachdenken und in diesem Sinn auch Osteuropa ernster nehmen müssen.
Mehr noch: Es zeichnen sich erste Konturen einer Geopolitik nach Corona ab. Der Globalismus mit seiner weltweiten Arbeitsteilung hat auf seiner Jagd nach den billigsten Produktionskosten manche Nationalstaaten abhängig gemacht von China. Es rächt sich heute, daß Europa Schutzkleidung und Medikamente vorwiegend dort herstellen ließ. Die Kommunistische Partei Chinas aber hat nicht das Gemeinwohl aller im Sinn, sondern die Weltherrschaft.
Wenn man aus dieser Krise nicht auch geopolitische Lehren für eine Neuordnung Europas und der internationalen Staatenwelt zieht, könnte das Virus auch die EU insgesamt infizieren und dem Erstickungstod näher bringen. Das wären dann keine Petitessen mehr.  Liminski

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