Stationen

Samstag, 20. Juli 2019

Alles, was zu sagen war, ist jetzt wirklich gesagt und nochmal gesagt

"Wenn die Regierenden sich für die Sachwalter der ganzen Menschheit halten, nähert sich der Terror."
Nicolás Gómez Dávila


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Ein exemplarischer Dialog zur Migrationskrise.
Frage: Wir werden ständig darüber belehrt, dass Europa Flüchtlinge aufnehmen müsste, erstens um nicht selber demografisch zu erschlaffen, zweitens um Afrika zu helfen. Aber wie viele sollten es denn sein?
Experte: Ungefähr 200 Millionen bis zum Jahr 2050.
Frage: Warum nicht 300 Millionen?
Experte: 200 Millionen sind realistisch.
Frage: Wenn 200 Millionen Afrikaner sich zu 500 Millionen meist älteren EU-Europäern gesellen, wird etwa jeder dritte Europäer schwarz sein. Ist das erstrebenswert?
Experte: Die Hautfarbe spielt keine Rolle. Wir sind alles Menschen.
Frage: Derzeit wächst die Bevölkerung Afrikas alle zwölf Tage um eine Million Menschen. Die 200 Millionen, die wir in den nächsten 30 Jahren aufnehmen sollen, werden also bereits um das Jahr 2030 dort nachgeboren sein. Wie haben wir dann Afrika geholfen?
Experte: So kann man das nicht sehen. Wir haben dann 200 Millionen Menschen gerettet.
Frage: Aber werden wir auch Afrika geholfen haben? Wäre es nicht besser, wenn wir überhaupt niemanden einreisen lassen und all das Geld, welches die Flüchtlinge hier kosten, direkt in Afrika investieren würden, wo es ein Vielfaches bewirken könnte, um so die Afrikaner dabei zu unterstützen, ihre Probleme selber in den Griff zu bekommen?
Experte: Wir dürfen uns nicht abschotten. Wir sind ein weltoffener Kontinent. (Beiseite, im Gehen: Und wovon würde ich dann leben?)


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Eine Idée fixe der Linken lautet, in der Adenauer-Ära habe ein restaurativer Geist geherrscht, der sich vor allem in den personellen Kontinuitäten zwischen NS-Regime und früher Bundesrepublik manifestierte. Der Historiographie gilt diese These angesichts des enormen, geradezu revolutionären Wandels der deutschen Gesellschaft nach 1945 inzwischen kaum als diskutabel. Ein konservativ-christliches, traditionsbewusstes, ständisch organisiertes und relativ homogenes Volk hat sich binnen anderthalb Generationen in eine liberale, parteiendemokratisch verwaltete, multiethnische Bevölkerung transformiert, in der wenig Typisches, geschweige irgendetwas Konservatives übriggeblieben ist und von der eine Staatsministerin mit Migrationsbiographie nicht ganz grundlos behaupten konnte, eine spezifisch deutsche Kultur sei kaum mehr erkennbar.
Was mich an der Kontinuitätsthese aber per se und ungeachtet der tatsächlichen Transformation amüsiert, ist die Unterstellung, wenn das Personal identisch bleibe, müsse dies auch für die im Apparat herrschende Gesinnung gelten.* Gerade unter Deutschen hat der spontane opportunistische Gesinnungs- und Frontenwechsel eine lange Tradition. Diese biegsame Untertanenmentalität war wohl vor allem eine Folge der Kleinstaaterei; jeder deutsche Miniaturstaatsbewohner musste damit rechnen, dass sein Staatswesen plötzlich von diesem und später jenem Fremdherrscher unterworfen wurde, das heißt, es bestand neben der Loyalitätspflichtskonstante namens Regionalfürst eine Loyalitätsvariable, die von der geopolitischen Großwetterlage bestimmt wurde. Flexibilität garantierte den besten Schutz und den geringsten Ärger. So etwas prägt die kollektive Mentalität.
Als Hitler 1933 die Macht übernommen hatte, drängten sofort Abertausende in die NSDAP; das Spottwort "Märzgefallene" kündete davon. Nach 1945 war bekanntlich niemand je ein Nazi gewesen, und außer Winifred Wagner gab es keinen einzigen Deutschen mehr, der Hitler bewundert hatte (Winifred war ja auch Engländerin). Aus den Nationalsozialisten wurden praktisch über Nacht im Westen Demokraten und im Osten Kommunisten. Als die DDR zusammenbrach, beschrieb der Terminus "Wendehals" die Anschmiegbereitschaft vormals überzeugter Sozialisten an sich radikal ändernde Machtverhältnisse. Anpassung ist eine allgemein menschliche Eigenschaft und Opportunismus ein Menschenrecht, aber der brave deutsche Mitmacher passt sich eine Nuance exzessiver und strebsamer an als andere. Im Kleinen erlebt man es bei der aktuellen CDU, die praktisch nur noch aus Kanzlerinnenclaqueuren besteht, obwohl diese fatale Person jede Position geräumt hat, die zu ihrem Amtsantritt als christdemokratisch galt.
Man kann sich darauf verlassen, dass die Mehrheit der Deutschen dem gerade mächtigsten politischen Trend nicht nur folgt, sondern ihm beflissen dient und eifrig vorausläuft. Und deshalb könnten die Islam-Missionare dereinst hierzulande leichtes Spiel haben, wenn nur erst einmal der Kipppunkt erreicht und der teutonische Anpassungsmechanismus eingeschaltet ist. Freilich mit dem wiederum amüsanten Nebeneffekt, dass sich selbst der hartgesottenste Salafist umgucken wird, wenn erst einmal deutsche Konvertiten in großer Zahl mit deutscher Gründlichkeit den Geboten des Islam zu folgen und die Ungläubigen zu bekehren beginnen.   (zusätzliche Detailles hier)

* Besonders drollig an diesem Kontinuitätsglauben ist, dass diejenigen, die am hartnäckigsten daran festhalten, dieselben sind, die diese Art von Kontinuität bei Muslimen nicht für möglich halten.


Hier ein letztes Mal der Deutschlandfunk, den ich noch 2014 oft sehr gerne hörte. Man kann ihn nicht mehr anhören. Er wurde seit 2015 endgültig zum Hippy- und Merkel-Propaganda-Sender, der 24 Stunden am Tag jedes Thema zu einem ganzheitlich-rotgrünen Propagandathema ummodelt.

Und a propos de Brexit:

Erstens: Johnson ist intelligent und hoch gebildet. Er dürfte der belesenste und am meisten publizierende Regierungschef Europas werden. Elite-Zögling der Eton-Schule, beste Oxford-Universität, Studium der klassischen Altertumswissenschaft, Vorsitzender des legendären Debattierclubs. Johnson ist weiträumig belesen, startet als Bildungsbürger eine Journalistenkarriere, schreibt für die "Times" und geht für den "Daily Telegraph" von 1989 bis 1994 als Korrespondent nach Brüssel. Er steigt in den Führungskreis der Zeitung auf und wird schließlich Herausgeber des Intellektuellenmagazins "The Spectator". Er schreibt Essays, Romane und Leitartikel wie andere Unterschriften an der Tankstellenkasse. Und wenn er die britische Kolonialzeit verteidigt, dann macht er das schon mal mit einem Gedicht von Rudyard Kipling.
Johnson ist ein Homme de lettres, ganz anders als der grobe Donald Trump, dessen geistiger Horizont die Twitterlänge kaum überschreitet. Wenn der Grobe aus Washington demnächst nach London kommen sollte, wird "Boris", wie er in England allenthalben gerufen wird, ihm wahrscheinlich einen Roman schenken mit dem Titel "Zweiundsiebzig Jungfrauen". Das Buch erzählt vom Staatsbesuch eines US-amerikanischen Präsidenten in Großbritannien und von dem perfiden Anschlag, den Islamisten zu diesem Anlass planen; am Ende geht aber alles gut aus. Das Buch hat Johnson selbst geschrieben.
Zweitens: Johnson verfügt über Humor und Selbstironie - eine erschreckend seltene Begabung unter Politikern. Er inszeniert sich lustvoll als Tollpatsch, kultiviert eine zerknitterte, verwuschelte Erscheinung und macht sich permanent über sich selbst lustig. Hunderte von heiklen politischen Situationen hat er mit schlagfertigen Witzen und charmantem Humor entspannt. Seine Sprache steckt voll saftiger Metaphern und wenn er damit regelmäßig übers Ziel hinaus schießt, so macht ihn die Freiheit im Denken und Sprechen doch zu einem narrativen Souverän des politischen Betriebes. Sein Urteil über Hillary Clinton ist symptomatisch dafür: "Sie hat blond gefärbte Haare, einen Schmollmund und einen stahlblauen Blick, wie eine sadistische Krankenschwester in einer psychiatrischen Klinik." Gerade weil sein Humor so inkorrekt daherplotzt, wird er im Publikum geliebt und man verzeiht ihm seine offensichtlichen Schwächen deshalb gerne, weil der schärfste Kritiker von Boris Johnson stets Boris Johnson bleibt.
Humor, Selbstironie und Sprachoffenheit wirken dabei wie ein subversives Signal für eine im britischen Publikum gewünschte Widerständigkeit gegen einen allzu glatten Politikbetrieb, der sich am liebsten auf einem Quadratmillimeter politisch korrekter Mitte trifft. Legendär ist sein augenzwinkernd-freches Wahlversprechen: "Wenn Sie die Konservativen wählen, bekommt Ihre Frau größere Brüste und Sie haben bessere Chancen auf einen BMW M3."
Soeben hat Johnson die Briten mit einem Bekenntnis über sein heimliches Hobby abermals verblüfft: Er baue zur Entspannung gerne Modell-Busse aus alten Weinkisten und richte sie für "glückliche Reisende" ein, hat Johnson im Radio behauptet. Politikexperten urteilten hernach, das sei "so bizarr, dass man davon wie hypnotisiert ist". Und der Autor Simon Blackwell schrieb auf Twitter, Johnson meine im Klartext: "Ich kann jeden unglaublichen Mist erzählen und trotzdem Premierminister werden."
Drittens: Johnson ist von seinem Naturell her eigentlich ein weltoffener Liberaler. Er wurde im Mulitkulti-London von 2008 bis 2016 zum beliebten Bürgermeister gewählt und wiedergewählt - eine der buntesten, offensten, tolerantesten Metropolen der Welt hat ihn zu ihrer Galionsfigur erkoren. Auch während der Olympischen Spiele 2012 machte er als weltoffener Gastgeber eine sympathische Figur. In der latent linken Stadt gewann er so zweimal mühelos Mehrheiten, weil er - ganz entgegen der derzeit verbreiteten Klischees - Toleranz leben kann. Johnson mag ein Spieler-Naturell haben, aber ein Minderheiten-Hetzer oder dumpfer Ausländerfeind ist er nicht.

Viertens: Johnson will einen umfassenden Freihandelsdeal und eine neue, enge Partnerschaft mit Europa. Sowohl sein Vater als auch seine Geschwister sind bis heute leidenschaftliche Pro-Europäer. Sein jüngerer Bruder Jo trat darum sogar von seinem Amt als Transportminister zurück. Johnson ist kein ideologischer Europa-Hasser oder dumpfer Nationalist. Er hält die EU nur für dringend reformbedürftig und in ihrem derzeitigen Zuschnitt für undemokratisch, nicht akzeptanzfähig. Er will kein No-Deal-Chaos und keinen Isolationismus, er will nur einen günstigeren Deal und umfassenden Freihandel. Das wiederum ist auch im dringenden Interesse der deutschen Wirtschaft. Daher könnte ihm nun der Umstand helfen, dass eine Deutsche fortan die EU-Kommission führt. Johnson entstammt wie Ursula von der Leyen einer dezidiert pro-europäischen Familie. Wie sie wuchs er in Brüssel auf, wie bei ihr arbeitete auch sein Vater Stanley Johnson für die Europäische Kommission. Er respektiert von der Leyen sehr und könnte mit ihr leichter einen Brexit-Kompromiss finden als Theresa May mit Jean-Claude Juncker.
Fünftens: Johnson zivilisiert den Rechtspopulismus. Johnson könnte mit einem neuen Brexit-Deal Millionen von Wählern, die bei der Europawahl dem antieuropäischen Demagogen Nigel Farage gefolgt sind, wieder zu den Tories zurückholen. Und womöglich einem zivilisierten Neo-Konservativismus in ganz Europa einen Weg bahnen. Wenn der Rechtsruck Europas sich nicht in aggressive, mit Ressentiment geladene Nationalideologien wie bei Le Pen, Orban oder Salvini entlädt, sondern in einen kulturell gefassten, reflektierten und selbstironischen Konservativismus mündet, wäre viel gewonnen. Johnson könnte - wie "Die Zeit" treffend analysiert - das "Abgleiten in einen toxischen, wutbürgerhaften Chauvinismus" verhindern.
Ein Grund dafür liegt in seiner eigenen Biografie. Johnsons Familie weist weit verzweigte Verwandtschaften von Deutschland bis in die Türkei auf. Sein Urgroßvater ist Ali Kemal, der letzte Innenminister des Osmanischen Reiches. Er sorgte für die Verhaftung von Kemal Atatürk und wurde später ermordet. Der Großvater von Johnson, Osman Ali, floh daraufhin nach Großbritannien und lebte fortan unter dem Namen Wilfred Johnson. Boris trägt Weite und Tragik der Empire-Geschichte als politisches Bewusstsein in sich. Er kennt lange Linien der Geschichte und auch ihre Abgründe. Daher könnte gerade der Mann, der den politischen Clown perfekt spielen kann, am Ende der sein, der ein ernstes Brexit-Problem gut löst.
Boris Johnson hat den Brexit nicht verursacht. Die Ursachen für den Ausstieg der Briten sind tief und vielfältig und sie liegen auch in den Konstruktionsfehlern der EU, sogar die selbstherrliche Migrationspolitik Berlins hat ihren Schuldanteil. "Ohne die Migrationskrise von 2015 wäre es nie zum Brexit gekommen", sagt ein hochrangiger, ansonsten Boris-kritischer Diplomat aus London. Der Brexit wäre auch ohne ihn gekommen, er habe nur in ihm seine Personifizierung gefunden. Es sei zwar unwahrscheinlich, dass Johnson mit Brüssel einen guten Weg in den Brexit finde, aber in diesem Prozess passiere ständig das Unwahrscheinliche. Auch die Wahl Johnson zum neuen Premier. Er selbst hatte einmal seine Aussichten aufs Amt des Premierministers so taxiert: Das sei "etwa so wahrscheinlich, wie Elvis auf dem Mars zu begegnen oder meine eigene Reinkarnation als Olive".  N-TV

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