An der Uni reden in letzter Zeit alle über Gender und das neue
Verhältnis der Geschlechter. Es vergeht kein Semester, ohne dass nicht
neue „geschlechtergerecht“ formulierte Vorlesungsverzeichnisse oder
„gendersensible“ Anredeformen von der akademischen Verwaltung
veröffentlicht werden. Neulich zum Beispiel flatterte mir eine
weitergeleitete Nachricht meiner Kollegin Brigitte ins elektronische
Postfach, in der für eine Veranstaltung namens „Hochschullehre
gendersensibel gestalten“ von einer universitären Servicestelle
geworben wurde.
Da man zum Erwerb von Dozenturen, Habilitationen usw. an vielen Unis
sowieso Kurse zum „Lehrelernen“ machen muss, und ich neugierig war, was
die Genderologen so erzählen, habe ich mich sogleich angemeldet. Ich
bekam auch postwendend eine regelrecht begeisterte Antwort, was bei mir
den Eindruck erweckte, dass ich bislang der einzige Interessent war.
Was nicht so ganz stimmt, wie ich bemerke, als es einige Wochen
später losgeht. Immerhin sechs weitere Interessierte sind gekommen. Es
handelt sich um fünf Frauen und einen Mann, fast ausschließlich Geistes-
und Sozialwissenschaftler.
Nur eine Tutorin und Lehramtskandidatin
studiert neben Germanistik auch noch Physik. Eine Anglistin unter den
Frauen sieht Birgit Kelle frappierend ähnlich, was ich aber lieber für mich behalte.
Die Seminarleiterin, ebenfalls Sozialwissenschaftlerin, ist sehr nett
und bietet zur Stärkung der Teilnehmer auf einem Beistelltisch
Dinkelkekse und Getränke an. Nach einer kleinen Vorstellungsrunde sollen
wir unsere Erfahrungen zu „Genderdynamiken“ in von uns gehaltenen oder
belegten Kursen auf kleine Papierkärtchen schreiben. Ich nehme mir
absichtlich einen roten Stift, um das übliche Klischee der „Frauenfarbe“
nicht zu bedienen, was im Raum mit wohlwollendem Lachen aufgenommen
wird.
Die Seminarleiterin, nennen wir sie Cindy, erklärt uns, dass die
menschlichen Geschlechterrollen nicht naturgegeben, sondern konstruiert
seien und sozial reproduziert würden. Dieses Phänomen nenne man „Doing
Gender“, als etwa „soziales Geschlecht tun“ oder „soziales Geschlecht
machen“. Eine Soziologin stimmt zu und erzählt davon, dass sich Männer
in ihren Seminaren häufiger meldeten und so die Lehrveranstaltung
„beherrschten“, obwohl die Frauen deutlich in der Überzahl seien.
Die Lehramtskandidatin meint, dass es in der Physik genau andersherum
sei und der Frauenanteil mit der Zeit sogar noch abnehme.
Erstaunlicherweise spricht sie stets von „Mädchen“ statt Frauen und
bezeichnet sich auch selber so, was mich wundert, da sie ja über 20 und
somit lange volljährig ist. Dennoch empört sie sich darüber, als Frau in
der Physik nicht richtig ernst genommen zu werden, weil ihr Geschlecht
stets thematisiert würde, wenn sie über ihr Fach spräche.
Sie erzählt, dass sich Männer in Physik mehr für Fachthemen wie zum Beispiel Berichte über das Hubble-Teleskop
interessieren, Frauen (wie sie) hingegen mehr für das Fach selbst. Der
Unterschied ist mir nicht ganz klar, aber ich vermute, dass sie einfach
gern Physik unterrichten und nicht darüber forschen will. Was ich
allerdings recht konservativ finde und daher ziemlich doing-Gender-ig
für eine fortschrittliche junge Studentin. Sage ich aber nicht, ich bin
ja nur zum Beobachten hier.
Dann meint sie noch, dass man Frauen in der Germanistik äußerlich
eindeutig identifizieren könne, in der Physik wisse man hingegen häufig
nicht sofort, ob da ein Männlein oder Weiblein neben einem sitze. Klar,
hoher Testosteronhintergrund bei Physikerinnen, denke ich mir. Der dazu
führt, dass sich betroffene Frauen für männertypische Fächer wie Physik
interessieren; wohingegen sich die sehr weiblichen Mädels mit wenig
Testosteron für frauentypische Disziplinen wie Sprachen begeistern.
Solch biologische Betrachtungen werden hier im Genderseminar aber nicht
getätigt; die Begriffe „Hormon“ und „Gen“ höre ich nicht ein einziges
mal.
Dozentin Cindy erklärt zwischendurch, wie das „Doing Gender“ im
Alltag so funktioniere. Als wichtiges Beispiel nennt sie das rosa
Überraschungsei, das eigens für Mädchen angeboten wird. Als ich erwähne,
dass ich mir schon mal eins für mich selbst gekauft habe, lobt sie mich
und meint, das sei das sogenannte „Undoing Gender“, also eine
fortschrittliche Strategie, vorgegebene Geschlechterrollen
„aufzubrechen“. Ich bin stolz.
Cindy ist es wichtig, dass das Problem der Genderdynamiken nicht nur
als eines der Frauen angesehen werde. An einer konservativen bayerischen
Uni habe sie einmal das Schild „Frauenbeauftragte“ statt
„Gleichstellungsbeauftragte“ gelesen, was sie als regelrecht
stigmatisierend empfand. Sie meint, dass wir durch „Selbstreflexion“ die
Stigmatisierung überwinden könnten.
Leider täten das nicht alle: An der Nachbaruniversität, wo Cindy
zuvor gearbeitet hat, konnte sie in der Mensa häufig beobachten,
beziehungsweise hören, wie junge Mütter ihren Kindern
geschlechtsspezifische Rollen zuwiesen, indem sie erzählten, was ihre
Jungs doch für Raufbolde seien oder wie schön ihre Töchter doch mit
Puppen spielten…. Was mir in dem Moment auffällt, ist, dass Cindy selber
Schminke und klassische Frauenkleidung trägt, ein recht kurzes Kleid.
Merkt sie nicht, dass sie selber ihre tradierte Geschlechterrolle lebt?
Wein und Wasser….
Während des ganzen Kurses fällt mir auf, dass die Seminarleiterin,
aber auch einige der Teilnehmer, die sogenannte „geschlechtergerechte“
Sprache benutzen, die uns an den Unis und in der Öffentlichkeit immer
häufiger begegnet. Da hört man von „männlichen Studierenden“,
„Wahrnehmenden“, „Promovierenden“, „Lehrenden“, „Lehrpersonen“ und nicht
zuletzt auch von „Lerner*innen“, gesprochen mit einer kurzen Pause an
der Stelle des Sternchens.
Cindy meint, Sprache sei Teil des Handelns, und so „reifizierten“ wir
traditionelle Geschlechtsrollenbilder, indem wir die althergebrachte
deutsche Grammatik verwendeten. Merkwürdig, denke ich, eigentlich werden
babbeln und anpacken ja sonst eher als Gegensatz aufgefasst, nicht als
Einheit. Ich schlage das später mal nach: und tatsächlich, die Dozentin
hat recht: In dem gendertheoretischen Standardwerk „Das Unbehagen der
Geschlechter“ der Literaturwissenschaftlerin und Philosophin Judith Butler steht, dass die Geschlechtskategorien „männlich/weiblich“ durch
den Sprechakt geformt und in permanenter Wiederholung bestätigt würden.
Da tut es nicht Wunder, dass sich die Seminarleiterin, wie sie sagt,
über Formulare ärgere, wo man sein Geschlecht per Kreuzchen angeben
müsse. Sie regt daher an, Verwirrung zu stiften und so die Menschen in
ihren tradierten Geschlechterrollen zu stören.
Und das erreiche man eben mit konsequent angewandter
geschlechtergerechter Sprache. Problematisch sei dabei nur, dass gerade
Studenten und Dozenten, Verzeihung, Studierende und Dozierende aus den
Natur- und Technikwissenschaften häufig wegen der zahlreichen
ungewohnten Unterstriche und Sternchen die Texte schlicht nicht
verstünden. Aber das sei nur ein Zeitproblem, da „vor fünf Jahren“
beispielsweise der Gender-Gap (z.B. „Student_innen“) in den
Sozialwissenschaften auch noch ungewöhnlich war. Wir Biologen können
also hoffen!
Eine Teilnehmerin, nein, Teilnehmende, erzählt von ihren Erfahrungen
mit gendersensibler Sprache im Englischen; da sei man schon weiter als
im Deutschen. So werde beispielsweise das Personalpronomen der dritten
Person Einzahl, also „er“ oder „sie“, geschlechtsneutral durch „they“,
also die dritte Person Mehrzahl, ersetzt. Ich frage, ob das denn
allgemein verstanden werde, wenn man die Pluralform für eine einzige
Person verwende. Mir wurde daraufhin versichert, dass das nur eine Frage
der Gewöhnung sei, dann ginge das natürlich. Vorbildlich sei auch das
(unübersetzbare) geschlechtsneutrale Personalpronomen „hen“ im
Schwedischen, das statt „er“ oder „sie“ benutzt wird. Im Deutschen
vielleicht „ersie“ oder schlicht „es“?
Nun ging es ja zunächst darum, Frauen sprachlich durch Begriffe wie
das klassische „Studenten“ nicht zu unterschlagen, aber wenn nur von
einer Person die Rede ist, warum muss man dann noch geschlechtsneutrale
Formen benutzen? Cindys Antwort ist einfach: Es gebe nicht nur
„männlich“ und „weiblich“, sondern ein natürliches „Kontinuum“, also
einen grenzenlosen Verlauf von Geschlechtern, in dem man beispielsweise
auch die Identitäten trans- oder intersexuell finden könne. Deshalb sei
es wichtig, sprachlich keine kategorischen Zuweisungen vorzunehmen.
Die Lehramtskandidatin ist sehr eifrig und fragt, wann man denn
Gendersternchen, Gendergaps und Unterstriche benutzen soll. Die
Seminarleiterin meint, es gäbe eigentlich keine festen Regeln und
verteilt eine Broschüre mit dem Titel „Sag´s doch gleich“. Wobei mit
„gleich“ offenbar „gleichberechtigt“ oder ähnliches gemeint ist. Darin
sind zahlreiche kreative Möglichkeiten aufgeführt, sich
„geschlechtersensibel“ oder gar „geschlechterneutral“ auszudrücken. Eine
Seite der Broschüre kommt mir bekannt vor: Dort wird die x-Form der
2014 deutschlandweit bekannt gewordenen Berliner Professorin Antje „Lann“ Hornscheidt erklärt. Hornscheidt ist eine sogenannte Neutrois,
will sich also keinem Geschlecht zuordnen. Deswegen nennt sie sich
selbst „Professx“ (gesprochen: „Professix“) und ihre Studenten
„Studierxes“ (gesprochen: Studierixes“).
Auf meinen Einwand, dass eine Grammatik aber feste Regeln brauche,
und keine kreative Ungewissheit, meint der einzige andere Mann im Raum,
ein Kulturwissenschaftler, dass er dieses Problem der fehlenden Normen
auch aus seinem Fachbereich kenne. Dozentin Cindy kann nicht so recht
einen Weg aus dem Dilemma weisen, gibt aber zu bedenken, dass man bei
vielen konservativ gesinnten Menschen sowieso nicht sofort die
progressivste Gendersprache verwenden sollte. Besser sei es, im Sinne
einer „Alles-im-Fluss“-Strategie nach und nach Genderformen einzuführen,
um die Natur- und Technikwissenschaftler (sie sind vermutlich gemeint)
langsam an die gerechte Sprache zu gewöhnen.
An diesem Punkt schaut die Dozentin zur Uhr und bemerkt, dass wir
wegen unserer intensiven Diskussion glatt die Zeit vergessen hätten. Ich
frage noch kurz, ob diese Lehrveranstaltung von „Lehrelernen“ denn für
ein Habilitationsverfahren anrechenbar sei, was offenbar einen gewissen
Unmut bei einigen Seminarteilnehmern hervorruft. Die Lehramtsstudentin
hegt offenbar den Verdacht, dass ich nicht so richtig von der guten
Sache überzeugt sei und fragt, ob ich nur teilgenommen habe, um einen
Schein zu ergattern.
Nicht wirklich, aber ich habe mich königlich amüsiert und fühle mich jetzt aufgeklärt! Robert Göhring
Robert Göhring ist freier Journalist und Biologe. Dieser Beitrag erschien zuerst auf Tichys Einblicke hier
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.