Stationen

Dienstag, 14. Februar 2017

Sprengsätze

Der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) ist kein Parteivertreter, eher Gehilfe des Gerichts. Nach der mündlichen Verhandlung macht er, völlig unabhängig, einen Vorschlag für ein Urteil. Der EuGH ist daran nicht gebunden, folgt jedoch in etwa dreiviertel aller Fälle diesen Vorschlägen. Wenn es auch diesmal so kommt, wird dies dramatische Folgen für Europa haben.
Anfang Februar verlas der Generalanwalt einen Schlußantrag zur Klage einer syrischen Familie, die in der belgischen Botschaft in Beirut ohne Erfolg Visa beantragt hatte. Dieser geht dahin, dass Europas diplomatische Vertretungen künftig allen, die sich – ob zutreffend oder nicht – als Verfolgte bezeichnen, Einreisepapiere ausstellen müssten. Mithilfe dieser Visa sollten sie in das von ihnen ausgewählte EU-Mitgliedsland reisen können, um dort um Asyl zu bitten.

Man könnte sich bereits auf den Standpunkt stellen, dass wer im Libanon, das einen Religionsproporz bei der Besetzung der Staatsämter hat, in dem mehr als eine Million Flüchtlinge, registriert und mit Aufenthaltstitel ausgestattet, von der UNO versorgt, leben, in einer fremden Botschaft ein Visum beantragt, kein Kriegsflüchtling im rechtlichen Sinn sein kann.

Den Generalanwalt trieb dabei wohl nicht so sehr um, was Recht und Gesetz nahelegen, sondern das offenbare Ansinnen, die weltweiten Flüchtlings-, Armuts- und Menschenrechtsprobleme durch Einwanderung auf das Territorium der EU-Staaten zu lösen. Ihn interessiert dabei offenbar nicht, dass sich auf die Grundrechtecharta der EU nur deren Bürger berufen können und solche Ausländer, die hier leben. Nicht aber jedermann weltweit.

Balkanroute, Flüchtlingsdeal mit der Türkei, Auffanglager in Afrika, lebensgefährliche Flucht mit kriminellen Schleppern. Das gehört dann alles der Vergangenheit an. Der Flüchtling holt sich sein Visum und kann in Zukunft bequem mit dem Flugzeug in das europäische Land seiner Wahl einreisen und dort Asyl beantragen. Das wäre der Start einer noch nie dagewesenen Völkerwanderung und das Ende Europas wie wir es kennen. Es wäre auch das Ende der EU, weil eine Vielzahl von Staaten dem Brexit-Beispiel folgen würden, um diesen Zumutungen der Rechtsprechung des EuGH zu entgehen.

Man muss kein Apokalyptiker sein um anzunehmen, dass die Flüchtlingszahlen die des Jahres 2015 um ein Vielfaches übertreffen und von Dauer sein würden. Da eine Abschiebung nur in Wahlkampfreden, praktisch aber kaum stattfindet und mit enormem Personalaufwand und Kosten bis zu 10.000 Euro pro Person (und zwar nicht nur in Ausnahmefällen) verbunden ist, ginge der Reiseverkehr auch nur in eine Richtung.
Die ständigen Selbstermächtigungen der europäischen Richter, die sich immer häufiger auch quasi-gesetzgeberische Kompetenzen anmaßen, sind ein Angriff auf die Gewaltenteilung von der Richterbank. Und damit vergleichbar mit der gleichartigen Attacke in den USA, die dort im Falle des Einreisestopps vom Berufungsgericht in San Francisco (Ninth U.S. Circuit Court of Appeals) vorgenommen wurde, das das Rechtsmittel der US-Regierung zurückwies. Das Berufungsgericht in den USA hat sowohl die verfassungsrechtlichen Präzedenzfälle ignoriert als auch die Gewaltenteilung.
US-Bundesstaaten dürfen (nur) klagen, wenn sie in ihren eigenen Rechten verletzt sind (Supreme Court in Massachusetts v. Mellon, „It is not within a state’s duty or power to protect its citizens‘ rights in respect of their relations with the Federal Government.“). Sie dürfen nicht die angeblichen oder tatsächlichen Rechtsverletzungen Dritter geltend machen. Die klagenden Bundesstaaten Washington und Minnesota behaupten eine Rechtsverletzung der öffentlichen Universitäten, weil der befristete Einreisestopp bestimmte Studenten und Lehrkörper in ihren Reiseplänen beeinträchtige. Das ist der Klagegrund, nicht die angebliche Rechtswidrigkeit der „executive order“ von Präsident Trump. Ein ziemlich abenteuerliches Vorbringen.

Die Erteilung von Visa und einer Einreiseerlaubnis stehen allein im Ermessen der US-Bundesregierung. Die Verfassung räumt dem Präsidenten (Supreme Court in Knauff v. Shaughnessy – „The authority to exclude aliens stems not alone from the legislative power but is inherent in the executive power to control the foreign affairs of the nation.“) und dem Kongress uneingeschränkte Entscheidungsbefugnisse über Einreise und Visa ein. Der Kongress hat den Präsidenten darüber hinaus per Gesetz mit weitreichenden zusätzlichen Rechten und einem sehr weit reichenden Ermessenspielraum ausgestattet. Diese Befugnisse und dieser Ermessenspielraum unterliegen nicht der gerichtlichen Überprüfung.
Abgelehnte Ausländer ohne  beispielsweise durch eine green card erlangte Rechtsposition haben keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Einreise. Sie können sich nicht einmal auf die US-Verfassung berufen. Lassen die Unis Studenten zu oder stellen sie Professoren ein, die keinen Aufenthaltstitel haben, ist das ihr Risiko. Sie können durch diese Schritte selbstverständlich nicht die Einreisebestimmungen aushebeln und anstelle der staatlichen Organe mit gerichtlicher Hilfe darüber befinden, wer in die USA einreist und wer nicht. Andernfalls stünden die USA ab sofort jedem Bürger aus einem Terrorismus unterstützenden Chaos-Staat wie Somalia offen, solange nur irgendeine Uni diesen zum Studium zulässt. Grotesk.

Am dramatischsten ist aber die Anmaßung der mit dem Einreisestopp befassten Gerichte, die sich in einer Selbstermächtigung erdreisten, in den einer gerichtlichen Überprüfung gänzlich entzogenen außenpolitischen Ermessensspielraum anderer Verfassungsorgane einzugreifen. Hätte diese Entscheidung Bestand, hätten die Gerichte in außenpolitischen Fragen das letzte Wort. Die USA stünden, nicht wegen eines übergriffigen, erratischen Präsidenten, sondern wegen der Eingriffe der Justiz in die Gewaltenteilung, vor einer veritablen Verfassungskrise.
Siehe auch Joachim Nikolaus Steinhöfels Blog hier.

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