Der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) ist kein
Parteivertreter, eher Gehilfe des Gerichts. Nach der mündlichen
Verhandlung macht er, völlig unabhängig, einen Vorschlag für ein Urteil.
Der EuGH ist daran nicht gebunden, folgt jedoch in etwa dreiviertel
aller Fälle diesen Vorschlägen. Wenn es auch diesmal so kommt, wird dies
dramatische Folgen für Europa haben.
Anfang Februar verlas der Generalanwalt einen Schlußantrag zur Klage
einer syrischen Familie, die in der belgischen Botschaft in Beirut ohne
Erfolg Visa beantragt hatte. Dieser geht dahin, dass Europas
diplomatische Vertretungen künftig allen, die sich – ob zutreffend oder
nicht – als Verfolgte bezeichnen, Einreisepapiere ausstellen müssten.
Mithilfe dieser Visa sollten sie in das von ihnen ausgewählte
EU-Mitgliedsland reisen können, um dort um Asyl zu bitten.
Man könnte sich bereits auf den Standpunkt stellen, dass wer im
Libanon, das einen Religionsproporz bei der Besetzung der Staatsämter
hat, in dem mehr als eine Million Flüchtlinge, registriert und mit
Aufenthaltstitel ausgestattet, von der UNO versorgt, leben, in einer
fremden Botschaft ein Visum beantragt, kein Kriegsflüchtling im
rechtlichen Sinn sein kann.
Den Generalanwalt trieb dabei wohl nicht so sehr um, was Recht und
Gesetz nahelegen, sondern das offenbare Ansinnen, die weltweiten
Flüchtlings-, Armuts- und Menschenrechtsprobleme durch Einwanderung auf
das Territorium der EU-Staaten zu lösen. Ihn interessiert dabei offenbar
nicht, dass sich auf die Grundrechtecharta der EU nur deren Bürger
berufen können und solche Ausländer, die hier leben. Nicht aber
jedermann weltweit.
Balkanroute, Flüchtlingsdeal mit der Türkei, Auffanglager in Afrika,
lebensgefährliche Flucht mit kriminellen Schleppern. Das gehört dann
alles der Vergangenheit an. Der Flüchtling holt sich sein Visum und kann
in Zukunft bequem mit dem Flugzeug in das europäische Land seiner Wahl
einreisen und dort Asyl beantragen. Das wäre der Start einer noch nie
dagewesenen Völkerwanderung und das Ende Europas wie wir es kennen. Es
wäre auch das Ende der EU, weil eine Vielzahl von Staaten dem
Brexit-Beispiel folgen würden, um diesen Zumutungen der Rechtsprechung
des EuGH zu entgehen.
Man muss kein Apokalyptiker sein um anzunehmen, dass die
Flüchtlingszahlen die des Jahres 2015 um ein Vielfaches übertreffen und
von Dauer sein würden. Da eine Abschiebung nur in Wahlkampfreden,
praktisch aber kaum stattfindet und mit enormem Personalaufwand und
Kosten bis zu 10.000 Euro pro Person (und zwar nicht nur in
Ausnahmefällen) verbunden ist, ginge der Reiseverkehr auch nur in eine
Richtung.
Die ständigen Selbstermächtigungen der europäischen Richter, die sich
immer häufiger auch quasi-gesetzgeberische Kompetenzen anmaßen, sind
ein Angriff auf die Gewaltenteilung von der Richterbank. Und damit
vergleichbar mit der gleichartigen Attacke in den USA, die dort im Falle
des Einreisestopps vom Berufungsgericht in San Francisco (Ninth U.S.
Circuit Court of Appeals) vorgenommen wurde, das das Rechtsmittel der
US-Regierung zurückwies. Das Berufungsgericht in den USA hat sowohl die
verfassungsrechtlichen Präzedenzfälle ignoriert als auch die
Gewaltenteilung.
US-Bundesstaaten dürfen (nur) klagen, wenn sie in ihren eigenen
Rechten verletzt sind (Supreme Court in Massachusetts v. Mellon, „It is
not within a state’s duty or power to protect its citizens‘ rights in
respect of their relations with the Federal Government.“). Sie dürfen
nicht die angeblichen oder tatsächlichen Rechtsverletzungen Dritter
geltend machen. Die klagenden Bundesstaaten Washington und Minnesota
behaupten eine Rechtsverletzung der öffentlichen Universitäten, weil der
befristete Einreisestopp bestimmte Studenten und Lehrkörper in ihren
Reiseplänen beeinträchtige. Das ist der Klagegrund, nicht die angebliche
Rechtswidrigkeit der „executive order“ von Präsident Trump. Ein
ziemlich abenteuerliches Vorbringen.
Die Erteilung von Visa und einer Einreiseerlaubnis stehen allein im
Ermessen der US-Bundesregierung. Die Verfassung räumt dem Präsidenten
(Supreme Court in Knauff v. Shaughnessy – „The authority to exclude
aliens stems not alone from the legislative power but is inherent in the
executive power to control the foreign affairs of the nation.“) und dem
Kongress uneingeschränkte Entscheidungsbefugnisse über Einreise und
Visa ein. Der Kongress hat den Präsidenten darüber hinaus per Gesetz mit
weitreichenden zusätzlichen Rechten und einem sehr weit reichenden
Ermessenspielraum ausgestattet. Diese Befugnisse und dieser
Ermessenspielraum unterliegen nicht der gerichtlichen Überprüfung.
Abgelehnte Ausländer ohne beispielsweise durch eine green card
erlangte Rechtsposition haben keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf
Einreise. Sie können sich nicht einmal auf die US-Verfassung berufen.
Lassen die Unis Studenten zu oder stellen sie Professoren ein, die
keinen Aufenthaltstitel haben, ist das ihr Risiko. Sie können durch
diese Schritte selbstverständlich nicht die Einreisebestimmungen
aushebeln und anstelle der staatlichen Organe mit gerichtlicher Hilfe
darüber befinden, wer in die USA einreist und wer nicht. Andernfalls
stünden die USA ab sofort jedem Bürger aus einem Terrorismus
unterstützenden Chaos-Staat wie Somalia offen, solange nur irgendeine
Uni diesen zum Studium zulässt. Grotesk.
Am dramatischsten ist aber die Anmaßung der mit dem Einreisestopp
befassten Gerichte, die sich in einer Selbstermächtigung erdreisten, in
den einer gerichtlichen Überprüfung gänzlich entzogenen außenpolitischen
Ermessensspielraum anderer Verfassungsorgane einzugreifen. Hätte diese
Entscheidung Bestand, hätten die Gerichte in außenpolitischen Fragen das
letzte Wort. Die USA stünden, nicht wegen eines übergriffigen,
erratischen Präsidenten, sondern wegen der Eingriffe der Justiz in die
Gewaltenteilung, vor einer veritablen Verfassungskrise.
Siehe auch Joachim Nikolaus Steinhöfels Blog hier.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.