Wenn Sie mal einen Tsunami von Relativierung und von
Küchenpsychologie vermischt mit Fake-News lesen wollen, dann finden Sie
das hier. Der Risikoforscher Professor Ortwin Renn
bindet uns darin mehrere Eisbären auf, zum Beispiel, dass im Märkischen
Wald seit hundert Jahren niemand mehr umgekommen ist - weil es dort
keine Bären mehr gibt. Überhaupt wird, anders als im Märchen, in
Deutschland niemand mehr im tiefen Wald umgebracht. Wie aber ist es im
nahen Stadtpark?
Und vom tiefen Wald geht’s direkt über in die irrationale Flüchtlingsangst der Deutschen. Da weiß Ortwin Renn zu berichten:
"Hinzu kommt, dass Dinge wie Übergriffe sehr stark in den Medien herausgestellt werden. Auf dem Oktoberfest gibt es seit Jahren genauso viele Übergriffe wie beim Kölner Neujahrsfest. Aber weil das dann plötzlich arabische Ausländer waren, ist es ein großes Thema geworden“.
Das wusste ich auch noch nicht, dass die Bayern die alte Tradition des "Taharrush Gamea" pflegen. Beim Oktoberfest feiern mehr als fünf Millionen Menschen 15 Tage lang. Hier die Zahlen aus dem Oktoberfest 2015: Es wurden 31 Sexualstraftaten angezeigt,
18 Tatverdächtige konnten ermittelt werden, davon 2 mit deutscher
Staatsangehörigkeit und 18 Ausländer (davon sechs Asylbewerber).
Silvester 2015 waren auf Domplatte in Köln schätzungsweise 10.000
Besucher, davon über 1.000 Nordafrikaner. Die Straftaten: 1.276 mutmaßliche Opfer, 497 davon Opfer von Sexualdelikten. Und weiter geht’s mit dem flottem Relativieren:
„In Deutschland gibt es 4300 Weihnachtsmärkte. Die
Wahrscheinlichkeit, auf dem Weg dorthin von einem Auto überfahren zu
werden, ist zehn Mal so hoch wie die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines
Anschlags zu werden".
Die Statistik, dass der Weg zum Weihnachtsmarkt mit Verkehrstoten
gepflastert ist, kannte ich auch noch nicht. Fazit der Aussage des
Risikoforschers: Ihr Weihnachtsmarktopfer, nun habt Euch mal nicht so. Alles ist relativ, in Nizza war es noch viel schlimmer mit den Verkehrstoten, und das war nicht mal beim Weihnachtsmarkt.
Und wie soll der deutsche Angstbürger jetzt seine irrationalen Ängste
überwinden und wieder zum freudigen Willkommensbürger werden? Professor
Ortwin Renn weiß Rat:
"Es hilft zum Beispiel, sich die Kriminalstatistik
anzuschauen. Es gibt zwar bestimmte Delikte, bei denen vermehrt
Ausländer beteiligt sind, aber das sind häufig Dinge wie
Bandenkriminalität“. Bandenkriminalität ist ja nun wirklich banal, da braucht man keine Angst zu haben.
„Auch kann ich, wenn ich beispielsweise alleine nachts Angst
habe, eine Taschenlampe mitnehmen oder eine Alarmsirene in die Tasche
packen. Beides gibt mir ein Gefühl von Sicherheit. Ich kann zudem
bestimmte Plätze meiden – aber man sollte sich immer fragen, ob es das
wert ist".
Ich würde hinzufügen, dass neben der Taschenlampe auch immer eine Blockflöte und eine Kopie des Weihnachtsliedes "Schneeglöckchen, Weissröckchen"
mitgeführt werden sollte. Und Plätze wie Bahnhöfe, U-Bahnen, Stadtparks
oder ganze Stadtteile kann man ja ohne Probleme meiden - wenn es das wert ist.
Und jetzt kommt das epochemachende Tier- und menschen-psychologische Manifest des FOCUS-Online-Experten Ortwin Renn:
"Wenn in der freien Wildbahn drei Mal eine Hyäne eines meiner
Familienmitglieder getötet hat, ist es durchaus sinnvoll, Angst vor
Hyänen zu haben. Aber Menschen funktionieren eben anders als Tiere.
Tierisches Verhalten wird überwiegend von angeborenen Instinkten
gesteuert und die Variationsbreite an individuellen Verhaltensweisen ist
klein. Eisbären fressen nun mal Menschen, wenn sie ihnen habhaft werden
können, so putzig sie auch aussehen mögen. Das tun mehr oder weniger
alle hungrigen Eisbären. Da reicht die Erfahrung mit zwei Eisbären
aus, um Aussagen über ihr kollektives Verhalten machen zu können. Das
ist bei Menschen völlig anders: hier sind biologische Merkmale keine
guten Indikatoren für Verhalten und die Bandbreite individuellen
Verhaltens streut erheblich zwischen den Menschen“.
Wow, wer hätte das gedacht? Wie jetzt? Zwei Eisbären fressen putzige Menschen, wenn sie "ihnen" habhaft werden können, aber bei Menschen ist das völlig anders?
„Viele fragen sich: „Wie kann ich nur so böse Vorurteile haben? …
Ich kann mich aber über diese sich mir aufdrängenden Assoziationen
hinwegsetzen. Wenn ich weiß, dass meine Gedanken natürlicher,
biologischer Herkunft sind, ist es leichter, damit umzugehen. Wir müssen
uns nicht kasteien, aber wir müssen die Gedanken auch nicht ausleben,
sondern können uns aktiv dagegen einsetzen, sie sinnvoll neu auslegen".
Woher weiß Ortwin Renn denn, was sich „Viele fragen“. Waren die alle
bei ihm, ihre gedanklichen Sünden beichten? Und nach der Absolution
durch Ortwin legen sie ihre Gedanken sinnvoll neu aus wie ein Tarot
Spiel, nur ohne Vorurteile?
Und dann folgt eine Breitseite gegen die flüchtlingsfeindliche Berichterstattung der deutschen Medien:
"Medien haben durchaus die Aufgabe über Ungewöhnliches zu
berichten. ‚Hund beißt Briefträger‘ interessiert niemanden. Aber
‚Briefträger beißt Hund‘ ist eine spannende Meldung, auch wenn es
umgekehrt tausende Mal geschehen ist. Man muss die Menschen darauf
hinweisen, dass singuläre Ereignisse in Zeitungen kein Indiz dafür sind,
dass sie häufig geschehen. Eigentlich ganz im Gegenteil. Medien können
hier helfen, dass die Menschen Dinge richtig einordnen können. Wir
sollten alle kritischer gegenüber Wahrnehmungsschwächen werden".
Hier zeigt sich eine mir bisher völlig entgangene Schwäche der
medialen Berichterstattung, die ein wahrnehmungsstarker Professor
natürlich sofort bemerkt. Die Medien berichten nicht, wenn ein Deutscher
einen Flüchtling beißt, weil das niemanden interessiert obwohl es
tausende Male geschieht. Aber wenn ein Flüchtling einen Deutschen
beißt, wird breit berichtet - nur vergessen die Medien immer darauf
hinzuweisen, dass es sich um einen Einzelfall - oder wie es im vornehmen
Risikoforscher-Deutsch heißt: „ein singuläres Ereignis“ – handelt? Der
depperte Angstbürger mit seiner Wahrnehmungsschwäche kann das nach der
professoralen Meinung nicht einordnen. Das können nämlich nur
ausgebildete Risikoforscher.
Irgendwie kommt mir der Name Professor Ortwin Renn bekannt vor. Ach ja, er war Mitglied der von Frau Merkel eingesetzten Ethikkommission zur „Zukunft der Energieversorgung" und somit einer der Urväter unserer tollen Energiewende. Na dann verstehe ich auch die Argumentation eines Professors auf Claudia Roth Niveau.
Manfred Haferburg schrieb den Roman „Wohn-Haft“ mit einem Vorwort von Wolf Biermann.
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