Stationen

Mittwoch, 26. August 2020

Katatonie auf Grund von Ächtung aller Vorbilder

Wenn es genügend bewundernswerte Menschen gibt, ist alles im Lot. Wenn nicht, ist alles schrecklich. Alles wird ausgelöscht. Erinnern wir uns an Abrahams Handel mit Gott angesichts der geplanten Zerstörung von Sodom und Gomorrha. Abraham bittet Gott, die Stadt Sodom zu retten, wenn er dort 40 bewundernswerte, also laut Bibel „gerechte“ Menschen finden kann. Ich würde hier bewusst nicht von „guten Menschen“ sprechen, weil diese Formulierung durch den vielfältigen Gebrauch in gewisser Hinsicht gelitten hat. Die Rede ist ganz klar von bewundernswerten, edlen Menschen.
Abraham schafft es schließlich, Gott auf 10 Gerechte herunterzuhandeln. Wenn sich 10 Gerechte in der Stadt finden, wird sie nicht zerstört werden. 10 ist keine besonders hohe Anzahl. Dahinter verbirgt sich also ein interessanter Gedanke: Es muss nicht besonders viele rechtschaffene Menschen in einer Gruppe geben. Null ist jedoch definitiv die falsche Anzahl. Und wenn es von dieser Sorte null Menschen gibt, dann haben wir ernste Probleme.
Das passt aus meiner Sicht gut zum Paretoprinzip in der Wirtschaft. Dieses Prinzip besagt unter anderem, dass in den unterschiedlichsten Bereichen eine geringe Anzahl von Menschen den Löwenanteil der produktiven Arbeit übernimmt. Eine geringe Anzahl sich angemessen verhaltender Menschen hat demnach also genügend Einfluss, um alles in Bewegung zu halten. Bestimmt ist das wahr, aber natürlich darf die Anzahl dieser Menschen eine bestimmte Ebene nicht unterschreiten.

Ich glaube, dass wir momentan Gefahr laufen, zuzulassen, dass die Zahl der Rechtschaffenen unter ein bestimmtes Level fällt. Unsere Gesellschaft scheint sich im Krieg gegen die Idee des Individuums und individuellen Charakters per se zu befinden. Ich halte das für absolut katastrophal. Dies ist auch einer der Gründe, warum ich überhaupt Vorlesungen über die Bibel abgehalten habe. Mir war schon längere Zeit klar, dass die moralischen Voraussetzungen einer Kultur durch ihre Geschichten erzeugt werden und nicht durch ihre explizite Philosophie.
Natürlich gibt es immer eine gewisse Schicht an expliziter Philosophie, namentlich im Westen, und an expliziten Gesetzen, aber darunter befinden sich Geschichten. Und unter den Geschichten befindet sich nichts, außer vielleicht Verhalten. Und dies ist so implizit, dass man es wirklich kaum hinzurechnen kann, denn es handelt sich dabei um keine kognitive Operation. Und somit sind die Geschichten die Basis unserer Gesellschaft.
Wir können also nur hoffen, dass an unseren Geschichten, Sagen, Märchen und Fabeln etwas dran ist. Noch wichtiger ist jedoch, sie nicht einfach wegzuwerfen, ohne zu wissen, was sie bedeuten. Denn wenn wir sie einfach wegwerfen, werfen wir alles, von dem wir abhängen, weg. Zumindest nach meinem Ermessen. Wenn wir das tun, wird jeder einzelne dafür bezahlen, weil wir individuell geschwächt werden. Denn wenn man in seinen Überzeugungen nicht gefestigt ist, wird man zur Puppe derer, die in ihren Überzeugungen gefestigt sind.
Und nicht zuletzt wird man zur Puppe seiner eignen Zweifel, weil wir ohne Überzeugungen wie verrückt Zweifel generieren. Am Ende werden die Zweifel gewinnen und uns paralysiert zurücklassen, denn die eine Hälfte von uns wird sich vorwärts bewegen und die andere Hälfte steif gefroren zurück bleiben. Das wird reichen, um einen an Ort und Stelle festzuhalten.

Dies ist ein Auszug aus einer Vorlesung von Jordan B. Peterson. Hier geht’s zum Auszug und hier zur gesamten Vorlesung.

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