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Mittwoch, 23. Oktober 2024

Er hat es wieder getan

In der Talkshow „Markus Lanz“ schockte der ehemalige Grüne Boris Palmer vor ein paar Tagen die Öffentlichkeit mit dem Vorschlag einer Zusammenarbeit der CDU mit der AfD in Thüringen. Dort stehe man vor der Situation, dass die CDU einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linken und der AfD habe. Damit könne die CDU aber nicht regieren. Die Kritik an Palmer ließ danach nicht lange auf sich warten, denn er stellte "die viel Zitierte" gegenüber der AfD in Frage, brach also mit einem politischen Tabu, das nicht nur auf der linken Seite gilt, sondern vor allem für die CDU immer mehr zum Problem wird. 

Parteichef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz verfolgt hier bereits eine Absatzbewegung, die wahrscheinlich auf innerparteiliche Diskussionen des zukünftigen Umgangs mit der AfD zurückzuführen ist. Im September dieses Jahres äußerte er sich dazu in verräterischer Weise: „Das Wort ‚Brandmauer‘ hat nie zu unserem Sprachgebrauch gehört. Ich brauche mich nicht von einem Begriff zu distanzieren, den ich selber nicht eingebracht habe.“ Nun, Politiker leiden ja öfter an Amnesie. Wir erinnern hier an die Rede beim Amtsantritt als CDU-Parteichef im Dezember 2022: „Mit mir wird es eine Brandmauer zur AfD geben“, so Merz wörtlich. Diese „Brandmauer“ der CDU zur AfD ist von ihrer Logik mit dem antifaschistischen Schutzwall der DDR verwandt und soll die AfD von der politischen Macht fernhalten. Darüber hinaus soll die „Brandmauer“ aber auch die CDU vor einem Abgleiten in Rassismus, Populismus und Rechtsextremismus schützen. 

Wie bei allen Metaphern bleibt auch die der „Brandmauer“ in ihrer konkreten Bedeutung unklar. Sie kann inhaltlich unterschiedliche Ausprägungen annehmen und lässt Raum für Interpretationen: vom strikten Ausschluss jeder Zusammenarbeit mit der AfD über das Verbot, gemeinsam mit ihr über Sachthemen abzustimmen bis hin dazu, dass man lediglich Koalitionen mit ihr ausschließt. Niemand kann genau sagen, was mit der „Brandmauer“ im Einzelnen genau gemeint ist, und das verweist darauf, dass sie weniger stabil ist als ihre Befürworter glauben. Eine „Brandmauer“ hat immer beschwörenden Charakter: Das Feuer ist auf der anderen Seite, man selbst befindet sich – in der Sprache der Politik – auf der moralisch richtigen und sicheren Seite. Die Brandstifter, Anhänger missliebiger Parteien oder alternativer Medien, werden als Verführer und potenzielle Gewalttäter vorgeführt. Die regierenden Parteien und die Haltungsmedien vergessen aber eines: Der Brand, vor dem geschützt werden soll, wurde selbst durch die Politik der letzten Jahre gelegt, in Deutschland brennt es, metaphorisch gesprochen, inzwischen überall lichterloh. Exemplarisch und auf der Ebene derselben Metapher können hier die unzähligen Brandbriefe genannt werden, in denen überforderte Kommunen, Bürgermeister oder Lehrerkollegien den Zusammenbruch aller Ordnung und Struktur durch die ungeregelte Zuwanderung und deren Folgen beklagen. Die Rede von der „Brandmauer“ suggeriert weiter zu wissen, worin die Gefahr für unsere Existenz besteht und woher die Rettung kommen muss. Dafür müssen die jenseits der „Brandmauer“ agierenden Parteien, namentlich die AfD, kategorisch von der politischen Macht ausgeschlossen werden. Deutschland ist immer mehr dabei, von einem demokratischen Staat zu einer Gesinnungsgemeinschaft zu werden, in der Stimmen für die Verfemten als minderwertig erklärt werden. Millionen von Wählern sehen sich heute vom demokratischen Diskurs ausgeschlossen, als Bürger zweiter Klasse, die täglich in Politik und Medien diffamiert und abgewertet werden. Die moralisch richtige Gesinnung wird dabei nicht über Gewalt, sondern mit der Drohung sozialer Ächtung durchgesetzt. Dafür lassen sich Medien und Kultur gerne einspannen, denn man will ja auf der richtigen Seite stehen. So forderten vor kurzem zahlreiche Prominente in einem offenen Brief an die Parteivorsitzenden von CDU/CSU, SPD, Grünen, FDP und den Linken, keine Zusammenarbeit mit rechtsextremen Parteien, gemeint war natürlich die AfD, zu dulden. Diese sollte an politischen Entscheidungen nicht teilnehmen dürfen und – so wörtlich – sei die konkrete Frage auch noch so klein. Der moralische Puritanismus der Kulturelite zeigt sich heute in Reinigungs- und Ausschlussfantasien.

Nun ist die Rede von einer „Brandmauer“ nicht unbedingt neu in der deutschen Politik. Nach der Wiedervereinigung diffamierte die CDU Wähler der PDS als „rote Socken“, und weit bis in die 2010er-Jahre war es üblich, dass die SPD eine „Brandmauer“ zur Linken beschwor. Imaginäre Mauern halten aber, wie die Geschichte zeigt, nicht ewig, und es ist wohl nicht allzu gewagt, zu prognostizieren, dass das auch diesmal der Fall sein wird. Denn anders als auf der Bundesebene, in der die Ideologen vorherrschen, finden wir auf der Ebene der Landespolitik, in den Kommunen, Städten und Dörfern pragmatische Politiker, die sich weniger an gesinnungsethischen Parolen als an handfesten Problemen orientieren. Es wird hier in naher Zukunft, zunächst in den neuen Bundesländern, zu einer Zusammenarbeit mit der AfD kommen müssen, denn auf Dauer lässt sich unmöglich ein großer Teil der Bevölkerung vom politischen Willensbildungsprozess ausschließen. Manche haben es vielleicht noch nicht realisiert, aber die Strategie einer „Brandmauer“ ist gescheitert. Daran wird auch ein neuerliches Verbotsverfahren gegen die AfD nichts ändern.     Alexander Meschnik

 

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