Psychologen kennen einen Abwehrmechanismus unserer Seele. Sie nennen ihn „Verdrängung“. Unangenehme Gedanken will man nicht wahrhaben. Man schiebt sie in das Unterbewusste. Dort aber gären sie weiter. „Aufklärer“ verdrängen nicht. Sie wollen den verrümpelten Seelenkeller nicht meiden, sondern ihn aufräumen. Sie wollen aus Fehlern lernen, Übeltäter anklagen – und Schuldige dingfest machen. Verdränger und Aufklärer streiten, wenn es massive Fehlentwicklungen gegeben hat. Individuelle Seelennot wird zum gesellschaftlichen Disput. 1968 hieß das: „Unter den Talaren – der Muff von tausend Jahren!“ Man kann sinnieren, ob den Wirtschaftswunderdeutschen je gelungen ist, die Geschichte ihres kollektiven Irrsinns nach 1933 mit der nötigen Beharrlichkeit für hinreichende Seelenhygiene aufzuarbeiten. Dagegen spricht ihr noch immer ungeklärtes Verhältnis zum Gemeinwohl. Denn obschon sie sich vor 75 Jahren die Unantastbarkeit der individuellen Menschenwürde in ihre Verfassung schrieben, neigen sie im Krisenfall doch noch immer dazu, einer diffusen Volksgesundheit den Vorrang vor Leib und Leben des Einzelnen einzuräumen. Notfalls mit Gewalt. Vor fünf Jahren – so will es die Legende – brach in China ein Virus aus und eroberte in wenigen Wochen die Weltherrschaft per Notstandsrecht.
Berlin und sein Robert-Koch-Institut, das Staatsinstitut für experimentelle Therapie in Hessen (das jetzt Paul-Ehrlich-Institut heißt), Wissenschaftsvereinigungen und Ethikräte, Expertengremien und Ministerpräsidenten, allem voran eine Kanzlerin, sie alle stürmten im Sauseschritt in eine juristische Schieflage von nationaler Tragweite. Die R-Wert-Kanzlerin proklamierte: „Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt.“ Und sie empfahl: „Gründlich und oft die Hände waschen!“ Ursula von der Leyen summte am Waschbecken gar Beethovens Neunte: „Freude schöner Händewaschen!“ Andere agierten im Hintergrund: Andrea Tandler aus München verdiente 48 Millionen Euro allein aus Maskendeal-Provisionen – und vergaß sie zu versteuern. Das ganze Land wütete sich erst in einen Test- und dann in einen Injektions-Marathon, als gäbe es kein Morgen. Alle Regeln, alle Standards der Medizin, alles herkömmliche Wissen um ärztliche Vorsicht wurden für gegenstandslos erklärt. Professor Heinz Bude aus Wuppertal plauderte aus: Es hatte alles nur ganz wissenschaftlich klingen sollen.
Der „Budenzauber“ hat seine Unschuld verloren. Wer Augen hat, zu sehen, und wer über ein Hirn verfügt, um sich zu erinnern, der weiß: Massenpanik und Angstlust pflügten sich durch das ganze Land und seine Institutionen wie ein entgleister Zug durch mürbe, fette Krume. In eilfertiger Hektik stellten Gesetzgeber die Hersteller drittnutzloser Impfarzneien von Haftung frei. Hochbetagte starben einsam und aus der Ferne sah man Mainzelpersonen ekstatisch um ihre kalbende Goldgrube tanzen. Wohlanständig seriöse Wissenschaftler schwiegen, als „Ungeimpfte“ gegen allen Sinn und Verstand zu Pandemietreibern und Dreikäsehochs zu Omatötern stilisiert wurden. Kleinkinder galten plötzlich als Pestratten, und der akribische Leser von Zulassungsstudien wurde öffentlich-rechtlich zum eiternden Organ erklärt, das es zu amputieren gelte. Währenddessen formationstanzten gelangweilte Ärzte und Pfleger auf verwaisten krankenhäuslichen Helikopterlandeplätzen. Manche halten das bis heute für normal. Wer auf die Zeit nach dem (sieben Jahre zuvor im deutschen Bundesgesetzblatt vorhergesagten) Ausbruch eines neuartigen Tiermarktvirus zurückblickt, der sieht einen hochmodernen Staat im dionysischen Rausch der kollektiven Entgrenzung. Hinter dem Schlachtennebel werden nun die Konturen des archaischen Wahns unübersehbar. Die Getriebenen schämen sich. Sie wollen alles nicht wahrhaben. Sie haben jetzt Angst vor ihrer eigenen Panik. Und sie fürchten, dass ihre kleine Raffgier, ihre piefige Herrschsucht und ihr Charakterversagen zum großen Thema werden. Am Morgen nach dem Exzess wird der Same des Verdrängens gesät: Bloß keine Aufarbeitung! Bloß keine Ausschüsse! Und in jedem Fall: keine Polizei!
Chinesen betrachten es bekanntlich nicht als Sauerei, einen anderen hinter die Fichte zu führen. Sie schätzen die List als eine gerngesehene Überlebensstrategie. „Aus dem Nichts etwas zu schaffen“ reizt sie ebenso, wie ein „verwirrtes Schaf widerstandlos über die Straße zu führen“. Nun, da die Gesellschaft zunehmend eine Aufarbeitung des Fiaskos wünscht, treten aber plötzlich altbekannte Gesichter hervor: Ein Gesundheitsminister, der quasi nebenwirkungsfreie Medikamente entdeckt zu haben glaubte. Und ein Unterhaltungskünstler, den kreative Arztbriefe in das Showbusiness gelockt hatten. Sie möchten nun (wie ein listiger Chinese) einen Backstein präsentieren, um ihr ergattertes Jade zu behalten. Doch auch ein Baron von Hirschhausen wird auf seiner Kanonenkugel nicht weit kommen. Einer der wenigen wahren Sätze zum Gemeinwohl lautet: „Verbrechen lohnt sich nicht!“ Erst der Rechtsfriede stiftet wieder Ruhe. Will sagen: Lieber ein Stiller Ozean als ein lauter Bach. Carlos Gebauer im Kontrafunk
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