Das Bundesverfassungsgericht hat die von der Bürgerinitiative „Ein Prozent“ geführte Verfassungsbeschwerde gegen die Einwanderungspolitik des Kabinetts Merkel III
nicht zur Entscheidung angenommen, sondern begründungslos
zurückgewiesen. Karl Albrecht Schachtschneider,
unser Verfahrensbevollmächtigter, wertet die Beschwerde nun als
„historisches Dokument“:
Das Gericht habe sich seiner „Befriedungsaufgabe verweigert“.
Damit ist der mittelbare Zweck der Beschwerde erfüllt: „Die
Möglichkeiten, schnell die notwendige Verwirklichung des Rechts zu
erreichen, sind durch die Nichtentscheidung des Gerichts für die Bürger
erschöpft.“ Lesen Sie das vollständige Interview mit Schachtschneider
zur Lage nach dem Scheitern der Beschwerde.
Sezession: Sehr geehrter Herr Professor
Schachtschneider, Ihre Verfassungsbeschwerde gegen die
Einwanderungspolitik der Bundesregierung wurde am 30. Januar der
Öffentlichkeit vorgestellt, lag ab dem 2. Februar dem
Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vor und wurde nicht einmal drei
Wochen später abgewiesen. Wie bewerten Sie die Begründung der Karlsruher
Richter?
Schachtschneider: Die zuständige Kammer hat die
Verfassungsbeschwerde auf der Grundlage des § 93 b in Verbindung mit §
93 a BVerfGG ohne Begründung nicht zur Entscheidung angenommen. Eine
solche Maßnahme läßt das Gesetz in § 93 d Absatz 1 BVerfGG zu. Das soll
der Entlastung des Gerichts von unsinnigen Beschwerden dienen, aber
nicht der Abwehr von wohl begründeten Beschwerden. Unbegründbarkeit ist
in der Rechtsprechung des Gerichts das Kriterium der Willkür und mit
Unbegründetheit kann folglich Willkür kaschiert werden.
Die Beschwerde hatte fraglos „grundsätzliche verfassungsrechtliche
Bedeutung“, wie das § 93 a Absatz 2 in der ersten Alternative regelt.
Sie war auch „zur Durchsetzung der in § 90 Absatz 1 genannten Rechte
angezeigt“, nämlich der Rechte aus Art. 2 Absatz 1 GG, dem Recht der
politischen Freiheit, aus Art. 38 Absatz 1 GG, dem Recht auf Demokratie
und auf Schutz der Verfassungsidentität, sowie dem Recht aus Art. 20 Absatz 4 GG, dem Recht auf Widerstand. Letzteres Recht gibt meines Erachtens ein Recht auf andere Abhilfe durch das Bundesverfassungsgericht, wenn jemand es unternimmt, die Verfassungsordnung zu beseitigen.
Sezession: Die durchschnittliche Bearbeitungsdauer
einer Verfassungsbeschwerde beträgt mindestens ein Jahr. Was soll man in
diesem Fall von der Schnelligkeit der Abweisung halten?
Schachtschneider: Die Schnelligkeit der Entscheidung
war in Ordnung, weil wir eine einstweilige Anordnung beantragt haben.
Das war angesichts der Lage geboten, weil die Massenzuwanderung
schnellstens unterbunden werden mußte und werden muß. Aber auch andere
Beschwerden, die einen solchen Eilantrag nicht gestellt haben, sind zur
gleichen Zeit nicht zur Entscheidung angenommen worden.
Das Gericht hat kurzen Prozeß gemacht und sich damit aus der
schwierigsten Frage der Politik herausgehalten, die Deutschland seit der
Wiedervereinigung hatte und weiter hat. Es gibt aber keine Politik, die
nicht durch das Recht begrenzt ist, die Flüchtlingspolitik also durch
fundamentale Prinzipien unserer Rechtsordnung. Auf deren Verwirklichung
hat jeder Bürger ein Grundrecht.
Sezession: Gerade beim gegenwärtigen
„Flüchtlings“chaos stellt sich das Problem, daß die politischen
(Nicht-)Entscheidungen der Regierung gerade nicht in Gesetzesform
gegossen, sondern durch eine Art Nicht-Handeln oder sogar als
„Gewohnheitsrecht“ durchgesetzt werden, so etwa die von Ihnen sogenannte
»rechtsferne Duldungspolitik«. Hätte sich das Bundesverfassungsgericht
innerhalb seines Kompetenzrahmens mit dieser verdrehten politischen
Stoßrichtung befassen können, statt lediglich mit einzelnen, konkreten
angegriffenen Entscheidungen?
Schachtschneider: Die Verfassungsbeschwerde hat dem
Gericht ermöglicht, die rechtlichen Grundsatzfragen der als
Flüchtlingsschutz ausgegebenen Masseneinwanderung zu klären,
insbesondere die Frage, ob Deutschland handeln darf als sei es ein
Einwanderungsland und ob die Bundesregierung aus vermeintlichen Gründen
der Humanität durch Verfassung und Gesetz geregelte Rechtsprinzipien
überspielen darf.
Es gibt weitere Zuständigkeiten des Gerichts, in denen diese Fragen
geklärt werden könnten, insbesondere den Bund-Länder-Streit auf Grund
des Art. 93 Absatz 3 GG, über den der Freistaat Bayern nachdenkt, oder
auch das Organstreitverfahren auf Grund des Art. 93 Absatz 1 GG, das
Verfassungsorgane des Bundes, aber auch bestimmte Teilorgane des
Bundestages und des Bundesrates, insbesondere Fraktionen, zur Klärung
der Rechte und Pflichten dieser Organe oder Organteile einleiten können,
wenn diese geltend machen können, „durch Maßnahmen oder Unterlassungen
des Antragsgegners“ in den ihnen „übertragenen Rechten verletzt oder
unmittelbar gefährdet“ seien.
Allemal verletzen die Handlungen der Regierung die
Gesetzgebungsbefugnisse des Bundestages und des Bundesrates, aber auch
die des Bundespräsidenten, der an der Gesetzgebung beteiligt ist. Es
wurde zumindest unterlassen, die Änderung der Gesetze zu initiieren, Die
Gesetze wurden schlicht ignoriert. Ob die schutzrechtlichen
Ausländergesetze, die weitgehend Unionsrecht umsetzen, im Sinne der
Regierungspolitik hätten geändert werden können, ist allerdings
zweifelhaft.
Es gibt kein „Gewohnheitsrecht“, das die Duldung des illegalen
Aufenthalts von Ausländern rechtfertigt. Die schlechte Übung dieser
Duldung läßt sich nicht rechtfertigen. Freilich gibt es mancherlei
gesetzliche Duldungsvorschriften zugunsten von Ausländern, die kein
Asylrecht und auch kein sonstiges Schutzrecht, also kein
Aufenthaltsrecht, haben. Diesen wird der Aufenthalt gestattet.
Sezession: Nur zwei Wochen vor der Vorstellung Ihrer
Beschwerde veröffentlichte Udo Di Fabio sein Rechtsgutachten
»Migrationskrise als föderales Verfassungsproblem«; Hans-Jürgen Papier
sprach fast gleichzeitig von »eklatantem Politikversagen« und einer
tiefen »Kluft zwischen Recht und Wirklichkeit«. Zwei ehemalige Richter
des Bundesverfassungsgerichts argumentieren damit ganz ähnlich ihrem
Beschwerdetext. Wenn nun das Gericht unter seinem amtierenden
Präsidenten Andreas Voßkuhle Ihrer Beweisführung nicht folgen konnte –
sind damit alle rechtlichen Möglichkeiten, der verantwortungslosen
Regierungspolitik beizukommen, ausgeschöpft?
Schachtschneider: Die Voten der beiden
Staatsrechtslehrer, beide herausragende Kollegen, haben großes Gewicht.
Sie sind zudem richtig. Die Möglichkeiten, schnell die notwenige
Verwirklichung des Rechts zu erreichen, sind durch die Nichtentscheidung
des Gerichts für die Bürger erschöpft. Die Verfahrensmöglichkeiten für
die Länder und die Organe oder Organteile des Bundes habe ich oben
angesprochen. Man kann auch über rechtliche Schritte der Kommunen, die
durch die Unterbringung der Ausländer belastet sind, nachdenken.
Schließlich ist die Obdachlosigkeit der Ausländer, die schlechterdings
behoben werden muß, durch die Bundespolitik entgegen Gesetz und
Verfassung ausgelöst.
Es wäre für den Bund ein leichtes, diese Obdachlosigkeit in
Deutschland zu verhindern, und er ist dazu verpflichtet. Wenn der Bund
seine Verpflichtungen, die er auch gegenüber den Ländern hat, nicht
einhält, sind die Länder berechtigt und verpflichtet, selbst für die
Sicherheit und Ordnung ihres Hoheitsgebietes Sorge zu tragen. Die Länder
sind Staaten und als solche üben sie die Souveränität ihrer Bürger aus.
Die vornehmste Pflicht der Staaten ist die Sicherheit ihrer Bewohner
und damit die Grenzsicherung vor Fremden, die kein Recht haben, in das
Land einzureisen und sich darin aufzuhalten.
Notfalls muß ein Land den Bund verlassen, wenn anders der Rechtsstaat
nicht wiederhergestellt werden kann. Jedes Volk hat das Recht zur
Sezession. Das folgt aus der politischen Freiheit der Bürger und steht
als Selbstbestimmungsrecht des Volkes ausweislich der Charta der
Vereinten Nationen über dem Bestandsinteresse der Staaten.
Sezession: Sie persönlich sind nicht gerade dafür
bekannt, schnell aufzugeben; das weiß vor allem das
Bundesverfassungsgericht, bei dem Sie schon etliche Verfassungsklagen –
vor allem gegen die Europäische Währungsunion – eingereicht haben. Sehen
Sie die nun erfolgte Ablehnung als klaren Mißerfolg an? Und vor allem:
Wie geht es weiter?
Schachtschneider: Ich habe vor allem auch den
Maastricht-Vertrag und den Lissabon-Vertrag vor das
Bundesverfassungsgericht gebracht. Das hat zu grundlegenden und durchaus
hilfreichen Entscheidungen des Gerichts geführt. Jetzt schwebt noch das
Beschwerdeverfahren gegen die Finanz- und Finanzstabilisierungspolitik
der Europäischen Zentralbank, insbesondere gegen deren
Staatsfinanzierung, in dem schon der Europäische Gerichtshof eine
Vorabentscheidung getroffen hat. Meine Befürchtung ist, daß sich das
Bundesverfassungsgericht dieser entgegen seinem Vorlagebeschluß
unterwirft.
Fraglos ist die Nichtentscheidung ein Mißerfolg. Sie trifft mich auch
persönlich als Staatsrechtslehrer und noch mehr als Bürger
Deutschlands. Ich habe das Nötige so gut als möglich getan. Jedenfalls
ist die Verfassungsbeschwerde, so denke ich, ein Dokument von
historischer Bedeutung. Das Bundesverfassungsgericht hat sich seiner
Befriedungsaufgabe verweigert. Jetzt sind die Bürger mehr denn je
gefordert, auf der Herstellung des Rechts zu bestehen.
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