Fast alles, was sich Feministinnen von einem Frauenhaus versprechen,
bietet ein Harem.
Es ist der Ort, an dem Frauen miteinander wie gute Schwestern umgehen, frei von Eifersucht, frei von Angst vor dem Mann; ein Ort, an dem Frauen jeglicher Gesellschaftsschicht friedfertig beisammenleben und uneingeschränkt ihr Vermögen verwalten. Im Harem muß eine Frau nicht ihren Mann, noch muß sie ihrem Mann allzeit zur Verfügung stehen.
So jedenfalls berichtet es die sizilianische Prinzessin, Juristin, Orientalistin und Feministin Vittoria Alliata, 30, nachdem sie ein Jahrzehnt lang in Republiken und Scheichtümern Arabiens das Leben der Frauen beobachtet und zeitweilig sogar geteilt hat.
Den Harem als Ort der eingegitterten Schönheit, wie ihn christliche Fama und orientalisches Märchen seit Jahrhunderten darstellen, hat die Arabienreisende Vittoria nirgends wahrgenommen.
Weder Promiskuität noch sinneslüsterne Männerherrschaft gebe es in den Frauen-Häusern ("Haramlik") zwischen Amman und Abu Dhabi, weder Odalisken noch Eunuchen. All das komme offenbar nur in Männerphantasien vor. Der Harem, bislang wollüstiger Männermythos, erscheint der feministischen Prinzessin in ihrem Reise-Rückblick, ganz im Gegenteil, als "ein Refugium weiblicher Würde".
Die reisende Vittoria sah die Gesichter von aristokratischen Damen und von Beduinenfrauen entschleiert und suchte darin vergebens nach den Anspannungen der Schönheitskonkurrenz, wie sie sich die Frauen des Abendlandes liefern.
Haremsfrauen, sagt sie, seien mit sich im Lot: An ihrem Gewicht, ihrer Nasenform, ihren Taillen-Werten oder Falten seien sie beneidenswert desinteressiert. "Ihr westlichen Frauen", wurde der Prinzessin von der Frau eines Emirs entgegengehalten, "seid nie so recht, wie ihr eben seid ... Eure Männer scheinen wirklich ziemlich blöd zu sein, daß sie euch immer mit dem Zentimetermaß messen, anstatt mit euch zu schlafen, wie und sooft es sich gehört."
Wenn eine Haremsfrau auf Reisen in fremde Basare oder Boutiquen gerät, so kauft sie nicht bloß für sich ein, sondern gleich fürs ganze Kollektiv. Eine Harems-Freundin aus dem syrischen Aleppo zum Beispiel habe in London vom nämlichen Ballen Kleiderstoff gleich für acht Lebensgefährtinnen daheim mit abschneiden lassen. Interessenkollisionen, Mißtrauen oder Star-Allüren gebe es da einfach nicht.
Es habe sich im Rahmen des Haremsüblichen bewegt, erläutert Vittoria Alliata, daß sie von der Frau eines Wohlhabenden sehr herzlich gebeten wurde: "Ich möchte, daß du meinen Mann heiratest. Dann bleiben wir zusammen und können herrliche Dinge machen."
Nur äußerst selten wurde Vittoria durch unmittelbare männliche Annäherung behelligt. Einmal, in einem vom Sandsturm umtosten Wüstenhotel des Emirates Schardscha, habe ein Staatssekretär aus Dubai sie im Lift bedrängt - Ausnahme als Bestätigung der Regel.
Vor solchen Überfällen sei eine Haremsfrau ohnehin geschützt, erklärt Vittoria. Der eigene Mann muß sich vorher anmelden, ehe er die Frau in ihren Gemächern aufsucht. Und das Recht auf sexuelle Befriedigung sei dann nicht allein auf seiner Seite.
"Respekt und Achtung" würden dem Herrn zwar durchaus entgegengebracht, doch steht er nach Alliatas Beobachtung auf einem "recht bescheidenen Podest". Beduinenfrauen insbesondere fühlten sich stark in dem Bewußtsein, "daß alles in allem sie, die Frauen, es sind, die den Stamm zusammenhalten".
Den Haremsfrauen obliegt auch die Verwaltung ihres Vermögens. Glaubt man der Autorin, so wuchern diese Frauen kräftig mit dem Pfunde ihres Erbes und ihrer Brautgabe, jenem Anfangskapital, das bei der Heirat von ihrem Mann ausbezahlt werden muß.
Badria, eine Scheich-Witwe aus Kuweit, berichtete bei dem im Harem üblichen, mit Naschwerk reich gewürzten Endlosgeplauder, wie sie, Tochter einer Sklavin, seit den fünfziger Jahren ihre anfangs bescheidenen Mittel durch geschickte Transaktionen gemehrt und sich am Ende zur Besitzerin eines der bedeutendsten Handelsunternehmen Kuweits emporspekuliert habe.
Der Haremsfrau gilt Hausarbeit als Schmach. Dafür sind, wenn es sich der Mann nur einigermaßen leisten kann, weibliche Bedienstete angestellt. So lebten im Harem des Scheichs Schachbut nahe der Hauptstadt Abu Dhabi dessen Ehefrau Miriam und zwei Töchter, eine Schwiegertochter, eine Enkelin, zwei Negersklavinnen und drei pakistanische Dienerinnen. Vittoria beschreibt die Wohnanlage am Wüstenrand als großflächiges, von einem Säulengang umgebenes flaches Geviert mit Garten. Das Quadrat, einschließlich Innenhof, ist in zwei Hälften aufgeteilt. Die eine nahm der Scheich in Anspruch, die andere gehörte den Frauen.
Harem, dem Wortsinn nach "verbotener heiliger Ort", kann ebensogut ein Palast mit eigenem Kino sein wie ein Zimmer oder ein Zelt in der Wüste oder auch nur eine Ecke im Zelt. Entscheidend ist: Dort herrscht die Frau.
Verfügt ein Reicher über mehrere Angetraute, so hat eine jede Anspruch auf einen eigenen Harem. Dort treffen sich, sagt die Haremsbewunderin aus Sizilien, Frauen zu Gesprächen von solcher Offenheit, wie sie im verkrampften Okzident selbst unter Vertrauten selten seien.
Bevorzugter Stoff für Haremsgespräche sind alle Probleme der Fruchtbarkeit, da deren Fehlen oder Schwinden für Frauen im Orient bittere gesellschaftliche Konsequenzen hat: Unfruchtbarkeit gilt als Scheidungsgrund.
Zahllose in Harems kursierende Fruchtbarkeitsrezepte hat die Prinzessin notiert: ein Hasenmagen am Hals, die Asche verbrannter Mäuse am Busen oder zwischen den Beinen Stoff, der zuvor in die Gallenblase einer Eule getaucht wurde - so begegneten ihre arabischen Freundinnen dem Gespenst der Unfruchtbarkeit. In die Vagina wurde ein mit Hunde-Urin getränkter Wattebausch eingeführt, auf dem der Ehemann zuvor herumgetrampelt hat. Manche äßen sogar Hasenkot.
Am Fuße des Ätna, in einer entlegenen sizilianischen Landschaft, sucht nun die Harems-Reisende Vittoria Alliata den morgenländischen Traum für sich zu bewahren. In einem alten sarazenischen Wachturm, in arabischem Interieur, lebt sie mit einem "Stamm" von gleichgesinnten Frauen so zusammen wie in einem Harem.
Harem, sagt sie, sei nicht an einen Ort gebunden. "Harem ist eine Idee; man kann Harem im Kopf haben." Für sie ist er ein Heilsversprechen, gleichsam ein feministischer Aschram.
Als sie in den späten sechziger Jahren von Sizilien aufbrach, so berichtet die Prinzessin, habe sie unter mancherlei psychosomatischen Beschwerden gelitten, vom Übergewicht bis zu Migräne und Schlaflosigkeit - im Orient wurde sie das alles los.
Das Heil kam, meint die geläuterte Vittoria, vom Harem, von dem dort noch herrschenden Klima weiblicher Ursprünglichkeit, dem Erlebnis eines der Menschenwürde gemäßen "archaischen Gleichgewichts der Geschlechter".
SPIEGEL
Fächer der Möglichkeiten
Die Freiheit hinter dem Schleier
Es ist der Ort, an dem Frauen miteinander wie gute Schwestern umgehen, frei von Eifersucht, frei von Angst vor dem Mann; ein Ort, an dem Frauen jeglicher Gesellschaftsschicht friedfertig beisammenleben und uneingeschränkt ihr Vermögen verwalten. Im Harem muß eine Frau nicht ihren Mann, noch muß sie ihrem Mann allzeit zur Verfügung stehen.
So jedenfalls berichtet es die sizilianische Prinzessin, Juristin, Orientalistin und Feministin Vittoria Alliata, 30, nachdem sie ein Jahrzehnt lang in Republiken und Scheichtümern Arabiens das Leben der Frauen beobachtet und zeitweilig sogar geteilt hat.
Den Harem als Ort der eingegitterten Schönheit, wie ihn christliche Fama und orientalisches Märchen seit Jahrhunderten darstellen, hat die Arabienreisende Vittoria nirgends wahrgenommen.
Weder Promiskuität noch sinneslüsterne Männerherrschaft gebe es in den Frauen-Häusern ("Haramlik") zwischen Amman und Abu Dhabi, weder Odalisken noch Eunuchen. All das komme offenbar nur in Männerphantasien vor. Der Harem, bislang wollüstiger Männermythos, erscheint der feministischen Prinzessin in ihrem Reise-Rückblick, ganz im Gegenteil, als "ein Refugium weiblicher Würde".
Die reisende Vittoria sah die Gesichter von aristokratischen Damen und von Beduinenfrauen entschleiert und suchte darin vergebens nach den Anspannungen der Schönheitskonkurrenz, wie sie sich die Frauen des Abendlandes liefern.
Haremsfrauen, sagt sie, seien mit sich im Lot: An ihrem Gewicht, ihrer Nasenform, ihren Taillen-Werten oder Falten seien sie beneidenswert desinteressiert. "Ihr westlichen Frauen", wurde der Prinzessin von der Frau eines Emirs entgegengehalten, "seid nie so recht, wie ihr eben seid ... Eure Männer scheinen wirklich ziemlich blöd zu sein, daß sie euch immer mit dem Zentimetermaß messen, anstatt mit euch zu schlafen, wie und sooft es sich gehört."
Wenn eine Haremsfrau auf Reisen in fremde Basare oder Boutiquen gerät, so kauft sie nicht bloß für sich ein, sondern gleich fürs ganze Kollektiv. Eine Harems-Freundin aus dem syrischen Aleppo zum Beispiel habe in London vom nämlichen Ballen Kleiderstoff gleich für acht Lebensgefährtinnen daheim mit abschneiden lassen. Interessenkollisionen, Mißtrauen oder Star-Allüren gebe es da einfach nicht.
Es habe sich im Rahmen des Haremsüblichen bewegt, erläutert Vittoria Alliata, daß sie von der Frau eines Wohlhabenden sehr herzlich gebeten wurde: "Ich möchte, daß du meinen Mann heiratest. Dann bleiben wir zusammen und können herrliche Dinge machen."
Nur äußerst selten wurde Vittoria durch unmittelbare männliche Annäherung behelligt. Einmal, in einem vom Sandsturm umtosten Wüstenhotel des Emirates Schardscha, habe ein Staatssekretär aus Dubai sie im Lift bedrängt - Ausnahme als Bestätigung der Regel.
Vor solchen Überfällen sei eine Haremsfrau ohnehin geschützt, erklärt Vittoria. Der eigene Mann muß sich vorher anmelden, ehe er die Frau in ihren Gemächern aufsucht. Und das Recht auf sexuelle Befriedigung sei dann nicht allein auf seiner Seite.
"Respekt und Achtung" würden dem Herrn zwar durchaus entgegengebracht, doch steht er nach Alliatas Beobachtung auf einem "recht bescheidenen Podest". Beduinenfrauen insbesondere fühlten sich stark in dem Bewußtsein, "daß alles in allem sie, die Frauen, es sind, die den Stamm zusammenhalten".
Den Haremsfrauen obliegt auch die Verwaltung ihres Vermögens. Glaubt man der Autorin, so wuchern diese Frauen kräftig mit dem Pfunde ihres Erbes und ihrer Brautgabe, jenem Anfangskapital, das bei der Heirat von ihrem Mann ausbezahlt werden muß.
Badria, eine Scheich-Witwe aus Kuweit, berichtete bei dem im Harem üblichen, mit Naschwerk reich gewürzten Endlosgeplauder, wie sie, Tochter einer Sklavin, seit den fünfziger Jahren ihre anfangs bescheidenen Mittel durch geschickte Transaktionen gemehrt und sich am Ende zur Besitzerin eines der bedeutendsten Handelsunternehmen Kuweits emporspekuliert habe.
Der Haremsfrau gilt Hausarbeit als Schmach. Dafür sind, wenn es sich der Mann nur einigermaßen leisten kann, weibliche Bedienstete angestellt. So lebten im Harem des Scheichs Schachbut nahe der Hauptstadt Abu Dhabi dessen Ehefrau Miriam und zwei Töchter, eine Schwiegertochter, eine Enkelin, zwei Negersklavinnen und drei pakistanische Dienerinnen. Vittoria beschreibt die Wohnanlage am Wüstenrand als großflächiges, von einem Säulengang umgebenes flaches Geviert mit Garten. Das Quadrat, einschließlich Innenhof, ist in zwei Hälften aufgeteilt. Die eine nahm der Scheich in Anspruch, die andere gehörte den Frauen.
Harem, dem Wortsinn nach "verbotener heiliger Ort", kann ebensogut ein Palast mit eigenem Kino sein wie ein Zimmer oder ein Zelt in der Wüste oder auch nur eine Ecke im Zelt. Entscheidend ist: Dort herrscht die Frau.
Verfügt ein Reicher über mehrere Angetraute, so hat eine jede Anspruch auf einen eigenen Harem. Dort treffen sich, sagt die Haremsbewunderin aus Sizilien, Frauen zu Gesprächen von solcher Offenheit, wie sie im verkrampften Okzident selbst unter Vertrauten selten seien.
Bevorzugter Stoff für Haremsgespräche sind alle Probleme der Fruchtbarkeit, da deren Fehlen oder Schwinden für Frauen im Orient bittere gesellschaftliche Konsequenzen hat: Unfruchtbarkeit gilt als Scheidungsgrund.
Zahllose in Harems kursierende Fruchtbarkeitsrezepte hat die Prinzessin notiert: ein Hasenmagen am Hals, die Asche verbrannter Mäuse am Busen oder zwischen den Beinen Stoff, der zuvor in die Gallenblase einer Eule getaucht wurde - so begegneten ihre arabischen Freundinnen dem Gespenst der Unfruchtbarkeit. In die Vagina wurde ein mit Hunde-Urin getränkter Wattebausch eingeführt, auf dem der Ehemann zuvor herumgetrampelt hat. Manche äßen sogar Hasenkot.
Am Fuße des Ätna, in einer entlegenen sizilianischen Landschaft, sucht nun die Harems-Reisende Vittoria Alliata den morgenländischen Traum für sich zu bewahren. In einem alten sarazenischen Wachturm, in arabischem Interieur, lebt sie mit einem "Stamm" von gleichgesinnten Frauen so zusammen wie in einem Harem.
Harem, sagt sie, sei nicht an einen Ort gebunden. "Harem ist eine Idee; man kann Harem im Kopf haben." Für sie ist er ein Heilsversprechen, gleichsam ein feministischer Aschram.
Als sie in den späten sechziger Jahren von Sizilien aufbrach, so berichtet die Prinzessin, habe sie unter mancherlei psychosomatischen Beschwerden gelitten, vom Übergewicht bis zu Migräne und Schlaflosigkeit - im Orient wurde sie das alles los.
Das Heil kam, meint die geläuterte Vittoria, vom Harem, von dem dort noch herrschenden Klima weiblicher Ursprünglichkeit, dem Erlebnis eines der Menschenwürde gemäßen "archaischen Gleichgewichts der Geschlechter".
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