Stationen

Dienstag, 22. März 2016

Ein Selbstverständnis nimmt Gestalt an

In gut einem Monat will die AfD sich ihr erstes umfassendes Parteiprogramm geben. Parteiintern ist die Debatte darüber bereits in vollem Gange. Nach einer Serie von Wahlerfolgen ist der AfD auch die öffentliche Aufmerksamkeit gewiß. Fieberhaft suchen Medien und Konkurrenz in den bereits nach außen kommunizierten Programmteilen nach Haaren in der Suppe.
Für die junge Partei, die drei Jahre nach ihrer Gründung und trotz einer bereits durchgemachten Spaltung in zahlreichen Kommunalparlamenten, der Hälfte aller Landtage und im Europaparlament vertreten ist und als sicherer Kandidat für weitere Landtagseinzüge und den Bundestag gilt, ist die Programmfindung eine Gratwanderung.
Das legt bereits der nach dem „Super-Wahlsonntag“ vom 13. März wiederholt erhobene Anspruch als „neue Volkspartei“ nahe. Auch in ihrer Wählerschaft ist die AfD längst über das Image einer euro-kritischen, wirtschaftsliberalen Professorenpartei hinausgewachsen.

Sie wird vor allem von den Jungen gewählt und weniger von den Rentnern, bei denen inzwischen die Achtundsechziger dominieren; von Arbeitern und Arbeitslosen, Selbständigen und Beamten, von der ausgeplünderten Mittelschicht.
Das Zauberwort dafür heißt „Alternative“, eine Marke, deren Sprengkraft Parteigründer Lucke offenkundig massiv unterschätzt und obendrein viel zu eng gefaßt hat. Als Alternative zum ideologisch-programmatischen Einheitsbrei eines oligarchisch festgefahrenen Parteienkartells, in dem jeder mit jedem kann und jeden Konkurrenten mit abweichenden Gedanken wütend wegbeißen will, hat die AfD die beste Ausgangsposition, um das Kartell durch weitere Erfolge aufzubrechen.
Vorausgesetzt, die „Alternative“ wird nicht wieder zu eng gefaßt. Das Thema „Asylkrise“ im Programmentwurf eher nach hinten zu schieben und zwischen „echten Flüchtlingen“ und illegalen Immigranten zu differenzieren, ist so gesehen ein kluger Schachzug. Islamkritik ist durchaus ebenfalls ein alternatives Alleinstellungsmerkmal, sollte aber nicht überstrapaziert werden; schon manches Parteiprojekt ist an der Reduzierung darauf in der öffentlichen Wahrnehmung gescheitert.

An Einwanderungs-, Euro- und Energiewende-Kritik, dem Bestehen auf Volksabstimmungen und mehr direkter Demokratie, aber auch klassischen „liberalen“ Programmpunkten wie niedrigere Steuern oder Auflösung der Arbeitsagentur (eine alte FDP-Forderung übrigens) läßt sich das Profil einer Alternative zum Altparteienkartell erkennen. Sozialdemokratisch bis sozialistisch sind ja schon alle anderen.
Die von der SPD angekündigte „Entzauberung“ anhand ihres Programms muß die AfD kaum fürchten; von ewig-gestrigen linken Betonköpfen als „reaktionär“ tituliert zu werden, das kann man aushalten und mit guten Gründen widerlegen.
Innerhalb der AfD reicht der Bogen von einem starken freiheitlich-libertären Flügel bis zur Selbstdefinition als „Partei der kleinen Leute“, die Parteivize Alexander Gauland vornimmt, der im Programm stärkere sozialpolitische Akzente setzen will.

Beide Flügel muß die Partei integrieren, will sie den Anspruch als „neue Volkspartei“ programmatisch untermauern – ihre Wahlerfolge in den östlichen Bundesländern verdankt sie nicht zuletzt dem Umstand, gerade bei Arbeitern und Arbeitslosen erheblich besser abzuschneiden als die „Linke“. Jede Reduzierung auf eine der Sichtweisen wäre eine fatale Verengung.
Damit daraus kein Bauchladen der Beliebigkeit wird, braucht es freilich eine verbindende Linie. Das kolportierte Motto „Freie Bürger sein, keine Untertanen“ ist dafür kein schlechter Ansatz. Der Rückbezug auf Nation, Nationalstaat und Souveränität muß hinzutreten, um den Gedanken der sozialen Solidarität nicht zu überdehnen.
Schließlich gehört zur „sozialen Gerechtigkeit“ auch, die arbeitenden und steuerzahlenden Bürger nicht uferlos auszuplündern und für nebulöse Zwecke in Geiselhaft zu nehmen. Die Konzentration der Staatsausgaben auf das Wesentliche schafft erst die Voraussetzung, die sozialen Sicherungssysteme leistungsfähig zu erhalten für die, die ihrer tatsächlich bedürfen.

Ein Gouvernantenstaat, der sich auf Schritt und Tritt ins Leben und Denken der Bürger einmischt, paßt damit ebensowenig zusammen wie erzwungene Solidarität mit Anspruchstellern aus aller Welt. Nur unverbesserliche Staatsgläubige halten es für „illiberal“, wenn sich die Staatsmacht nicht mit Steuergeld um jedes noch so abseitige Randanliegen kümmert.
Um das Programm einer Alternative zum polit-medialen Establishment mit Leben zu füllen, reicht es nicht, Programmpunkte aneinanderzureihen, es müssen auch Begriffe neu besetzt und alternative Leitbilder formuliert werden. Der AfD stehen spannende Diskussionen bevor. Sie sollte die Klärung nicht länger vertagen. Michael Paulwitz

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