In gut einem Monat will die AfD sich ihr erstes umfassendes
Parteiprogramm geben. Parteiintern ist die Debatte darüber bereits in
vollem Gange. Nach einer Serie von Wahlerfolgen ist der AfD auch die
öffentliche Aufmerksamkeit gewiß. Fieberhaft suchen Medien und
Konkurrenz in den bereits nach außen kommunizierten Programmteilen nach
Haaren in der Suppe.
Für die junge Partei, die drei Jahre nach ihrer Gründung und trotz
einer bereits durchgemachten Spaltung in zahlreichen
Kommunalparlamenten, der Hälfte aller Landtage und im Europaparlament
vertreten ist und als sicherer Kandidat für weitere Landtagseinzüge und
den Bundestag gilt, ist die Programmfindung eine Gratwanderung.
Das legt bereits der nach dem „Super-Wahlsonntag“ vom 13. März
wiederholt erhobene Anspruch als „neue Volkspartei“ nahe. Auch in ihrer
Wählerschaft ist die AfD längst über das Image einer euro-kritischen,
wirtschaftsliberalen Professorenpartei hinausgewachsen.
Sie wird vor allem von den Jungen gewählt und weniger von den
Rentnern, bei denen inzwischen die Achtundsechziger dominieren; von
Arbeitern und Arbeitslosen, Selbständigen und Beamten, von der
ausgeplünderten Mittelschicht.
Das Zauberwort dafür heißt „Alternative“, eine Marke, deren
Sprengkraft Parteigründer Lucke offenkundig massiv unterschätzt und
obendrein viel zu eng gefaßt hat. Als Alternative zum
ideologisch-programmatischen Einheitsbrei eines oligarchisch
festgefahrenen Parteienkartells, in dem jeder mit jedem kann und jeden
Konkurrenten mit abweichenden Gedanken wütend wegbeißen will, hat die
AfD die beste Ausgangsposition, um das Kartell durch weitere Erfolge
aufzubrechen.
Vorausgesetzt, die „Alternative“ wird nicht wieder zu eng gefaßt. Das
Thema „Asylkrise“ im Programmentwurf eher nach hinten zu schieben und zwischen „echten Flüchtlingen“ und illegalen Immigranten zu differenzieren,
ist so gesehen ein kluger Schachzug. Islamkritik ist durchaus ebenfalls
ein alternatives Alleinstellungsmerkmal, sollte aber nicht
überstrapaziert werden; schon manches Parteiprojekt ist an der Reduzierung darauf in der öffentlichen Wahrnehmung gescheitert.
An Einwanderungs-, Euro- und Energiewende-Kritik, dem Bestehen auf
Volksabstimmungen und mehr direkter Demokratie, aber auch klassischen
„liberalen“ Programmpunkten wie niedrigere Steuern oder Auflösung der
Arbeitsagentur (eine alte FDP-Forderung übrigens) läßt sich das Profil
einer Alternative zum Altparteienkartell erkennen. Sozialdemokratisch
bis sozialistisch sind ja schon alle anderen.
Die von der SPD angekündigte „Entzauberung“ anhand ihres Programms
muß die AfD kaum fürchten; von ewig-gestrigen linken Betonköpfen als
„reaktionär“ tituliert zu werden, das kann man aushalten und mit guten
Gründen widerlegen.
Innerhalb der AfD reicht der Bogen von einem starken
freiheitlich-libertären Flügel bis zur Selbstdefinition als „Partei der
kleinen Leute“, die Parteivize Alexander Gauland vornimmt, der im
Programm stärkere sozialpolitische Akzente setzen will.
Beide Flügel muß die Partei integrieren, will sie den Anspruch als
„neue Volkspartei“ programmatisch untermauern – ihre Wahlerfolge in den
östlichen Bundesländern verdankt sie nicht zuletzt dem Umstand, gerade
bei Arbeitern und Arbeitslosen erheblich besser abzuschneiden als die
„Linke“. Jede Reduzierung auf eine der Sichtweisen wäre eine fatale
Verengung.
Damit daraus kein Bauchladen der Beliebigkeit wird, braucht es
freilich eine verbindende Linie. Das kolportierte Motto „Freie Bürger
sein, keine Untertanen“ ist dafür kein schlechter Ansatz. Der Rückbezug
auf Nation, Nationalstaat und Souveränität muß hinzutreten, um den
Gedanken der sozialen Solidarität nicht zu überdehnen.
Schließlich gehört zur „sozialen Gerechtigkeit“ auch, die arbeitenden
und steuerzahlenden Bürger nicht uferlos auszuplündern und für nebulöse
Zwecke in Geiselhaft zu nehmen. Die Konzentration der Staatsausgaben
auf das Wesentliche schafft erst die Voraussetzung, die sozialen
Sicherungssysteme leistungsfähig zu erhalten für die, die ihrer
tatsächlich bedürfen.
Ein Gouvernantenstaat, der sich auf Schritt und Tritt ins Leben und
Denken der Bürger einmischt, paßt damit ebensowenig zusammen wie
erzwungene Solidarität mit Anspruchstellern aus aller Welt. Nur unverbesserliche Staatsgläubige halten es für „illiberal“, wenn sich die Staatsmacht nicht mit Steuergeld um jedes noch so abseitige Randanliegen kümmert.
Um das Programm einer Alternative zum polit-medialen Establishment
mit Leben zu füllen, reicht es nicht, Programmpunkte aneinanderzureihen,
es müssen auch Begriffe neu besetzt und alternative Leitbilder
formuliert werden. Der AfD stehen spannende Diskussionen bevor. Sie
sollte die Klärung nicht länger vertagen. Michael Paulwitz
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.