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Dienstag, 22. März 2016

Republik, Deutsch, Demokratisch!

Man sagt mir, welche Bewandtnis es mit Ritter Runkel habe, müsse ich den Westdeutschen erklären. Nun gut, ich versuche das seit vielen Jahren, meist mit einer erschütternden Ergebnislosigkeit, die jener gleichen mag, die ein nichtfrommer Petrus bei der Fischpredigt empfunden hätte. Aus der DDR, lautet nämlich die uneingestandende Maxime, darf unmöglich etwas kommen, das uns im Westen, egal auf welchem Gebiet, überlegen gewesen sein könnte. Zum ersten Mal an dieser Stelle und zum womöglich letzten Mal überhaupt will ich coram publico verkünden, dass der beste Comic aus der Zone kam. Ritter Runkel, um bei einem zentralen Protagonisten desselben zu beginnen, ist ein fränkischer Bruder des Don Quijote, eine Erfindung des (ost)deutschen Graphikers und legitimen Scheherazade-Nachfolgers Johannes Hegenbarth (1925-2014), der sich Hannes Hegen nannte, von 1955 bis 1975 mit einer Truppe preiswürdiger Zeichner und Rechercheure den ganz und gar nicht DDR-gemäßen, monatlich erscheinenden Comic Mosaik erschuf und gegen erhebliche Widerstände der Nomenklatura am Leben hielt. Speziell die Ritter-Runkel-Serie (hier geht's los, den Rest finden Sie selber) ist ein Feuerwerk an Einfällen, sowohl was die überbordende Phantasie bei der Gestaltung der abenteuerlichen Handlung als auch was die einzigartige Figurenvielfalt – es sind hunderte, und jede ist ein Charakter – vor historisch immer stimmiger Kulisse betrifft.

Der geschichtliche Hintergrund ist bei diesen Bildergeschichten essentiell, obwohl man das als junger Leser kaum registriert; es handelt sich eben nicht um "Fantasy", sondern um eine phantastische Handlung in der realen Vergangenheit. Ich habe mich später öfter gewundert, woher mir dieser historische Sachverhalt, jene Persönlichkeit, dieses Bauwerk oder jener regionale Brauch bekannt waren, bis mir einfiel: Das stand doch im Mosaik! Durch Hegens Opus habe ich, um nur einige Beispiele zu nennen, als Jugendlicher erstmals Bekanntschft geschlossen mit dem venezianischen Dogen, den Mamelucken, James Watt, Denis Papin, Katharina der Großen, Wilhelm Bauer und seinem Eisernen Seehund, dem byzantinischen Kaiser Andronikos III. samt Gattin Irene, dem authentischen Ungeheuer von Loch Ness, Alexander dem Großen und seinem Admiral Nearchos, ferner mit Raschid ad-Din Sinan vulgo Abu al-Hasan Sinan ibn Sulayman ibn Muhammad, genannt "Der Alte vom Berge", Führer der Assasinen in Syrien zur Zeit des Dritten Kreuzzugs. Zu schweigen vom genuesischen Kapitän Conte di Marinadi und seinen pisanischen Kaper-Kontrahenten Fiasco und Totalo Flauti, die ich mitsamt den dalmatinischen Teufelsbrüdern, den Scheichs von Ormuz und Basra oder dem Emir von Neurübenstein kennenlernte, derweil ich an der Seite von Ritter Runkel und seiner beiden Knappen auf Schatzsuche in den Orient zog. Machen Sie, geneigter Leser, sofern Sie Kinder im frühen zweistelligen Alter haben, die Probe aufs Exempel, auch wenn es in diesen Geschichten kein "Wham!" und "Smash!", ja nicht einmal Sprechblasen gibt (außer in den frühen Heften). Ich habe Hegen einmal "einen Shakespeare der Jugendliteratur" genannt und sehe keinen Grund, davon auch nur einen Millimeter abzurücken. MK am am 27. 11. 2015


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