Die Antwort Herfried Münklers auf Peter Sloterdijk kam postwendend und fiel äußerst scharf aus. Eine Woche, nachdem Sloterdijk dem Berliner Politikwissenschaftler in der Wochenzeitung Die Zeit bescheinigt hatte, die konfuse Zuwanderungspolitik der Kanzlerin mit falschen Weihen strategischer Planung zu versehen und sich als ihr Ausputzer zu betätigen, konterte Münkler, daß Sloterdijk einen „Tanz der Metaphern“ veranstalte und kein politischer Denker sei.
Er verkörpere „einen Typus öffentlicher Intellektualität“, der über
keine „klare und präzise Begrifflichkeit“ verfüge und den die
Bundesrepublik, die zum „zentralen Akteur der europäischen Politik“
geworden sei“, sich nicht mehr leisten könne.
Münklers Typologie ist bestechend, doch es ist fraglich, ob
ausgerechnet Sloterdijk der erste Adressat für seine Schelte ist. Es
gibt ganz andere Figuren, deren politische Interventionen von
abenteuerlicher Unzuständigkeit zeugen und die trotzdem – oder deswegen –
den öffentlichen Raum dominieren. Sloterdijks Wortmeldungen hingegen
waren wenigstens erfrischend. So auch in diesem Fall, weil er die Frage
stellt: Was wird aus unserem Land, in das Hunderttausende, vielleicht
Millionen Migranten aus islamischen Ländern einwandern?
Es ist pharisäerhaft, wenn Münkler ihm vorwirft, nicht zu sagen, was
er will. Das Kennzeichen solcher Diskussionen ist das Sprechen mit
gebundener Zunge. Er, Münkler, steht ebenfalls schwer unter Druck und
hat sich über totalitäre Methoden beklagt,
weil einige Studenten – Kinder dieser Bundesrepublik – zu dumm sind, zu
begreifen, daß das Sezieren von Kriegslogiken keine Kriegstreiberei und
der Rückgriff auf Begriffe und Denkfiguren Carl Schmitts kein Plädoyer
für einen neuen Führerstaat bedeutet.
Münkler hat dem sommerlichen Entschluß Merkels, die deutsche Grenze
für Asylforderer zu öffnen, eine strategische Überlegung unterstellt:
Deutschland sollte vorübergehend als „Überlaufbecken“ dienen, um die
Länder der Balkanroute zu entlasten, um die Erosion des Schengenraums zu
verhindern und Zeit für eine europäische Flüchtlingspolitik und zur
Bekämpfung der Fluchtursachen zu gewinnen. Falls das tatsächlich Merkels
Plan war, dann war er teils fatal, teils vorhersehbar falsch.
Die Aufnahme von einer Million Zuwanderern, begleitet von wahnhaften
Ausbrüchen der „Willkommenskultur“, mußte als Saugpumpe für neue Massen
von Zuwanderungswilligen wirken. Die Selfies, die Merkel mit
Asylbewerbern inszenierte und die an den schauerlichen Film „Paradies: Liebe“ des Österreichers Ulrich Seidl erinnerten, haben diese Wirkung zusätzlich verstärkt. Dazu sagt Münkler: nichts!
Selbst bei gutwilliger Betrachtung ihrer Politik erscheint der
Strategie-Begriff völlig überzogen. Es handelt sich um taktische
Maßnahmen, denn eine Strategie müßte sich an der der Prognose des
Bevölkerungswissenschaftlers Gunnar Heinsohn messen lassen: „Heute
wollen allein 540 Millionen aus Afrika und dem arabischen Raum
auswandern. 2050 werden es bei der Fortrechnung dieser Wünsche 950
Millionen sein (…).“
Doch vielleicht liegt der strategische Wert ganz woanders, und
Münkler verbirgt ihn absichtlich hinter dem Vorhang seiner klugen
Beredsamkeit? Denn was sind die greifbaren Ergebnisse von Merkels
Politik? Erstens schreitet die Verwandlung Deutschlands in einen
Vielvölkerstaat voran, und zweitens ist die Türkei zum unmittelbaren
Mitspieler in Europäischen Angelegenheiten geworden und der
Mitgliedschaft in der EU ein Stück nähergerückt.
Damit verwirklicht sich ein strategisches Ziel der USA, das jedermann
in Zbigniew Brzezinskis programmatischer Schrift „The Grand Chessboard“
(„Die einzige Weltmacht“) nachlesen kann. Die Türkei wäre als
EU-Mitglied einigermaßen pazifiziert, Europa paralysiert, Rußland
isoliert und die amerikanische Hegemonie über die eurasische Landplatte gesichert.
Sloterdijk deutet diese Motivlage wenigstens zaghaft an. Münkler geht
überhaupt nicht darauf ein. Wo der eine mit der Metapher tanzt,
veranstaltet der andere den Tanz der sieben Schleier. Das eine ist so
defizitär wie das andere!
Der letzte Rest Verstand
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