Stationen

Donnerstag, 3. März 2016

Strukturelle Repression

Im Gebäude der Fernspähkompanie 200, in der ich bis zum Dienstgrad eines Leutnants diente, war auf den Kalkputz ein großes Wandbild aufgetragen. Es zeigte einen Fallschirmjäger, darunter stand in großen Lettern: Klagt nicht, kämpft! Dieses Bild ist längst übertüncht, die Kaserne eine Wohnanlage, und oberhalb der kleinen Garnisonsstadt werden längst keine Späher mehr aus der Transall oder der CH53 über dem lächerlich kleinen Sprunggelände abgesetzt.

Klagt nicht, kämpft! Viele haben sich das tätowieren lassen, oft ergänzt um die knappe Kompanie-Beschreibung („oculus exercitus“ – Auge des Heeres) und das Motto („semper vigilis“ – stets wachsam) unseres kleinen Haufens. Aber natürlich haben wir dieses “Kämpfen ohne zu klagen“ nie scharf unter Beweis stellen müssen, sondern bloß auf Übungen – ernsthaften Übungen zwar, aber der wirkliche Ernst ist doch noch etwas ganz anderes, ist eben nichts im letzten doch nur Vorgestelltes, Angenommenes.
Und selbst Bosnien war dann kein Ernstfall, Sarajewo nicht und auch nicht Trnovo, Kiseljak oder Dobro Polje, diese ganz zerschossenen, winterlichen Örtchen, um die herum nach Minen und Gräbern gesucht wurde und in deren apokalyptische Tage man auf diese Weise einen Blick werfen konnte: erschlagen, erschießen, verschwindenlassen, aushungern, zerstören – Bürgerkrieg auf engstem Raum, Gucklöcher für uns, klagt nicht, dokumentiert!, und abends ein Schnaps mehr, wenns heftig war.
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Ich habe einer Frage, die ich nun stellen möchte und muß, diese paar Sätze über das Klagen vorangestellt, weil mir der Wandspruch von damals übers Wochenende im Kopf herumging. Wir haben nämlich in den vergangenen Tagen im Verlag darüber diskutiert, ob wir für dieses eine Mal die Tür öffnen wollen, um eine Klage über jene strukturelle Repression anzustimmen, von der niemand ahnt, der nur von außen schaut. Wir haben uns dafür entschieden.
Wer ein bißchen aufmerksamer liest und las, weiß längst, daß wir nicht deshalb keine Veranstaltungsräume mehr finden in Berlin und in anderen größeren Städten, weil uns die Wirte nicht vermieten wollten: Sie ziehen ihre Zusagen zurück, weil ihnen die Verwüstung ihres Lokals oder wenigstens eine Denunziationswelle droht, und natürlich finden das die ganzen Zeilenhuren und Sekundärpublizisten, die ihre Existenz unserer Originalität verdanken, gar nicht bedenkenswert, sondern schon in Ordnung so. Ist ja ein freies Land, kann ja jeder Wirt selbst entscheiden, wem er ein Plätzchen gewährt.

Diesmal schneidet es aber tiefer ein: – Ergänzung 1. März, 8.00 Uhr: Und nun, nach nicht einmal 24 Stunden, ist das Problem gelöst, dank einer Leserschaft, die ihresgleichen sucht! Meinen herzlichen Dank an alle und Bitte um Verständnis, daß ich die guten Hinweise im Kommentarbereich für uns nutze, aber nicht veröffentliche. –
Damit: Klagestübchen wieder zu. Ich bin mir übrigens mittlerweile sicher, daß wir auf dem Präsentierteller sitzen, aber anders geht es nun eben nicht mehr. Anders sich zu verhalten: Das wäre Waldgang, das wäre beschwichtigungskonservativ, und – bitte – wir reden doch schon längst aus und im Sinne der bürgerlichen Mitte, wenn wir die Frage stellen, ob sich in diesem Land eine Regierung einfach so über Gesetze, Recht und Ordnung hinwegsetzen darf oder ob gerade das zu verhindern den Vätern des Grundgesetzes einen eigenen Artikel (20) wert war. Götz Kubitschek am 29. 2. 2016

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