Stationen

Donnerstag, 30. November 2017

Der Wind dreht sich ein bisschen

Der Wind dreht sich – das war am vergangenen Wochenende erneut zu spüren. Am Freitag konnte die Bibliothek des Konservatismus (BdK) den fünften Jahrestag ihrer Eröffnung mit prominenten Festrednern feiern, am Samstag wurde zum zehnten Mal der Gerhard-Löwenthal-Preis verliehen. Noch nie waren unter den Gästen so viele Abgeordnete und Journalisten unterschiedlicher Publikationen vertreten. Es herrscht Aufbruchstimmung.
Bei der Podiumsdiskussion in der BdK zum Thema „Neue Medien“ hob der Publizist Roland Tichy hervor, wie stark eine Gegenöffentlichkeit durch soziale Netzwerke, Blogs und neue Zeitschriftenformate inzwischen geworden sei. Etablierte Politik und alteingesessene Verlage sind hypernervös wegen der sich verschiebenden Gewichte, der Wanderungsbewegungen von Lesern und Wählern.
Pioniere der Gegenöffentlichkeit
Ein erfahrener Journalist des Print-Gewerbes und Vorreiter dieser Gegenöffentlichkeit, Bruno Bandulet, wurde mit dem Gerhard-Löwenthal-Ehrenpreis ausgezeichnet. Die Laudatio auf ihn hielt Manfred Brunner. Beide sind politische und publizistische Pioniere des Kampfes gegen den Euro und die vorschnelle Preisgabe nationaler Souveränitätsrechte an Brüssel.
Anba Damian, Bischof der koptischen Christen in Deutschland, würdigte die Preisträgerin Sabatina James, die insbesondere für ihren publizistischen Einsatz für verfolgte Christen geehrt wurde. Wie brisant der islamistische Terror ist, unterstrich der Stunden zuvor verübte schwere Anschlag des IS auf der Halbinsel Sinai, bei dem über 300 Menschen getötet wurden. Der Bischof mußte deshalb die Feier vorzeitig verlassen. Sabatina James selbst konnte den Preis nicht persönlich entgegennehmen, weil sie sich wegen Morddrohungen nicht mehr in Deutschland aufhalten kann.
Wichtig für den Diskurs
Von Martin Mosebach wird im kommenden Jahr ein Reisebuch, „Die 21“, erscheinen, das von den 21 koptisch-christlichen Märtyrern erzählt, die von IS-Terroristen 2015 in Libyen enthauptet wurden. Bischof Damian führte ihn zu den Familien der Ermordeten. Das Buch will die Namenlosen dem Vergessen entreißen. Eine Leserin schilderte am Rande empört, wie sie einen katholischen Bischof auf das Thema Christenverfolgung angesprochen habe. „Es sind doch nur Kopten“, habe dieser geantwortet und sich desinteressiert weggedreht. Das muß sich ändern!
Manfred Brunner hob bei Bruno Bandulet eine besondere Eigenschaft hervor. Dieser habe im anderen Menschen nie „nur das eine gesehen, was er im Moment verkörpert“, sondern sei immer bereit gewesen, „ihn als Ganzes zu sehen und auch in seinen mißglückten Aktionen noch als ein Gegenüber“, als einen Gesprächspartner, der wichtig für den Diskurs sei. Ein bedenkenswerter Appell, sich nicht in simple Feindbilder und einfache Erklärungen zu flüchten.  Dieter Stein

Was genau zeichnet den Konservatismus eigentlich aus? Warum vermeiden es so viele, den Begriff zu gebrauchen oder sich offensiv zu ihm zu bekennen? „Ist es die Last der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, die ihm die Legitimität endgültig abgesprochen hat“, fragt auch der Politikwissenschaftler Peter Graf von Kielmansegg (80). „Ist es der konservative Sündenfall, als bloßer Steigbügelhalter Hitlers zu gelten?“ Die Antworten auf die Fragen versucht der emeritierte Professor in der bis auf den letzten Platz gefüllten Bibliothek des Konservatismus selbst zu geben.
„Der Konservatismus ist tief verwurzelt im konstitutiven Element der Moderne: Der Bewegung“, stellt Kielmansegg fest. Dessen Ambivalenz fordere ein „radikal immanentes Weltbild durch permanente Verfügbarkeit“, was zur Überforderung des einzelnen Menschen führe. Dies setzte als Gegenpol fast zwangsweise Kräfte der Beharrung frei, weshalb es entscheidend sei, die Dynamik der Moderne genauer zu verstehen. Der Politikwissenschaftler unterteilt sie in drei Bereiche: Rationalität, Individualität, und Egalität.
Dynamik der Moderne weist drei Merkmale auf
Die Rationalität der Moderne habe eine Wissensrevolution hervorgerufen, die Segen und Fluch zugleich sei. Eine schier unglaubliche technische Entwicklung habe der westlichen Welt Wohlstand und Reichtum gebracht. Doch der Preis dafür sei hoch. „Der Mensch wird durch die Wissenschaft zum Schöpfer seiner selbst“, konstatiert der gebürtige Hannoveraner und warnt eindringlich: „Das Internet hat die Kraft, den Menschen gänzlich zu unterwerfen.“
Gleichzeitig habe der Anspruch auf Individualität ein auf sich selbst fixiertes Objekt geschaffen, das im Widerspruch zu seinen tradierten Normen und Verhaltensdispositionen stünde. Verläßliche Bindungen, die dem Einzelnen Halt geben könnten, würden der Menschheit immer mehr abhanden kommen. Erschreckend sei deshalb die wachsende Zahl derer, bei denen „kein Platz für ein Kind ist“. Das Publikum nickt zustimmend.

Als dritten Punkt der dynamischen Moderne führt Kielmansegg die Egalität an, welche sich in rechtliche Gleichheit und faktische Ungleichheit, die mit den Mitteln der Politik beseitigt werden müsse, unterteilt. Gerade in der apriorischen Gleichheitsforderung der heutigen Zeit läge jedoch ein totalitäres Element. Die moderne Gesellschaft nutze Schlagwörter wie Fremdenfeindlichkeit oder Sexismus, um politische Gegner wegen vermeintlich rückwärtsgewandten Ansichten mundtot zu machen. Der moralische Furor habe den „Logos“ ersetzt, bekundet Kielmansegg.
Der Konservatismus als warnender Begleiter
Somit könne der Konservatismus als Versuch gedeutet werden, die Moderne vor sich selbst zu retten. „Geschehenes ist jedoch nicht umkehrbar“, betont der Politikwissenschaftler und erntet dafür vereinzelte Unmutsäußerungen. Der Konservative solle sich vor allem als warnender Begleiter verstehen, nicht etwa als Reaktionär.
Das sehen offenbar nicht alle Zuhörer des Auditoriums so: „Ist es nicht gerade das Zurückdrehen, was den Kern des Konservativen ausmacht“, fragt der AfD-Politiker Nicolaus Fest und nennt die „Ehe für alle“ als mögliches Beispiel. Doch darauf will sich Kielmansegg nicht einlassen. Die „skeptische Begleitung der Moderne“ bleibe das entscheidende Kriterium, um eine Gesellschaft nachhaltig zu beeinflussen. Mit lautem Beifall wird er anschließend von der Bühne verabschiedet.  Björn Harms

"Der Progressive denkt immer an morgen, der Konservative immer an Übermorgen." Giuseppe Prezzolini


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