Mittwoch, 1. November 2017
Der letzte Kirchenvater
Herr Dr. Schwilk, warum „Der Zorn Gottes“, wie der Untertitel Ihres Buches lautet?
Heimo Schwilk: Das ist eine Formulierung, die sich in fast allen Schriften des Reformators findet. Es erstaunte mich bei der Recherche zu meiner Biographie, daß so wenige Luther-Forscher und Biographen dieses zentrale biblische Motiv aufgenommen haben. Für Luther war der „Zorn Gottes“ über den sündhaften, von seinem Schöpfer abgefallenen Menschen eine unumstößliche Realität. Denn Gott erlöst nicht nur, er verdammt auch!
Die Vorstellung eines zürnenden Gottes war ihm mindestens so selbstverständlich wie das Liebes- und Erlösungsangebot Christi. So gesehen ist mein Buch auch gegen die Linie der Luther-Beauftragten Margot Käßmann gerichtet. Es zeigt den „harten“, den „paulinischen-augustinischen“ Luther, statt der weichgespülten Version, die uns von offizieller Seite präsentiert wird.
Also eine Kampfschrift?
Schwilk: Ganz und gar nicht. Das war überhaupt nicht meine Intention. Im Gegenteil, ich hatte keine These, die ich beweisen wollte. Mein Ziel war es, dem historischen Luther auf die Spur zu kommen, ihn durch seine Zeit zu begleiten und dem Leser nahezubringen. Eine „Anti-Käßmann-Schrift“ ist mein Buch unfreiwillig geworden – weil der historische Luther sich so darstellt.
Aber gerade Luther überwindet den zürnenden, zeigt den Weg zu einem gnädigen Gott. Warum ist das „weichgespült“?
Schwilk: Tatsächlich ist Luther den gestrengen, den undurchschaubaren Gott seiner Jugend – der sich nicht in die Karten schauen läßt – nie losgeworden. Bis ans Ende seines Lebens war Luther sich nicht sicher, ob er selbst wirklich erlöst oder nicht vielleicht doch verdammt sei. Diese Anfechtungen quälten ihn ein Leben lang.
Dem „Deus absconditus“ – dem verborgenen, dem zornigen Gott – der im Gegensatz steht zum „Deus revelatus“ – dem sich in Christus offenbarenden, gnädigen Gott – begegnet man häufig in Luthers Schriften. Beide Gottesvorstellungen stehen in einem unaufhebbaren Spannungsverhältnis zueinander.
Ist also die von Luther entdeckte Heilsgewißheit eines gnädigen Gottes gar nicht echt?
Schwilk: Doch, aber Luther wurde spätestens bei der Lektüre der Schriften des von ihm verehrten Kirchenlehrers Augustinus klar, daß der Mensch nur echter Mensch ist, wenn er sich bewußt macht, von Gott geschaffen zu sein – aus sich selbst heraus ist er nichts! Die Vernunft ist ein Geschenk Gottes, keine Eigenleistung des Menschen.
Diese Selbstbescheidung ist aus der Perspektive Luthers in der katholischen Kirche verlorengegangen – da diese uns als Institution die direkte Verantwortung für unser Heil abgenommen und mit den geweihten Priestern Mediatoren, geistliche Vermittler zwischen uns und Gott gestellt hat. Luther will diese Konstruktion einreißen, damit Gott und der Mensch sich wieder unverstellt begegnen können. Doch trotz dieser Unmittelbarkeit, die uns Gottes Liebe fast körperlich spüren läßt, bleibt Gott eine fremde Macht. Wir können uns der Gnade Gottes nie wirklich sicher sein. Sie ist ein Geschenk – nichts, worauf wir einen Anspruch erwerben könnten.
War Luther „hart“, weil er unter einem zürnenden Gott gelitten hat? So würde es wohl die Fraktion derer in der EKD interpretieren, die dem Motto „Frohbotschaft statt Drohbotschaft“ anhängen.
Schwilk: Vielleicht hätte ich statt „hart“ besser „unbequem“ sagen sollen. Gemeint ist, daß Gott nicht einfach „lieb“ – Stichwort: Frohbotschaft – ist, sondern uns etwas abverlangt. Luther konfrontiert den Menschen wieder mit der Zumutung, daß man nicht automatisch vor dem „lieben“ Gott Gnade findet, sondern immer bedroht ist, nach Gottes geheimem Ratschluß verworfen zu werden.
Diese Verdammnis droht sogar dann, wenn der Gläubige alle formalen Kriterien der Gläubigkeit erfüllt, sich also durch gute Werke auszeichnet. Die Erlösung bleibt letztlich ein Geheimnis und Gott ein Mysterium. Das ist der unbequeme, harte, zweifelnde Luther, der so gar nicht in unsere heutige evangelische Kirche paßt, die vor solcher „Härte“ zurückscheut und bei der alles lieb und nett und frei von Angst sein sollte.
Also ist die Evangelische Kirche in Deutschland nicht mehr die Kirche Luthers?
Schwilk: Ich denke nein. Mir erscheint sie eher wie ein esoterischer Winkelverein für Leute, die gerne spirituell „kuscheln“ und eine Gemeinschaft ohne jede biblische Verbindlichkeit erleben wollen. Ein dünner Aufguß aus Pazifismus, Weltumarmung, Sozialgläubigkeit. Nicht nur „Ehe für alle“, sondern auch Verständnis für alles und jedes, auch wenn es im Gegensatz zur geoffenbarten Wahrheit steht. Der heutige Protestant widmet sich lieber gesellschaftlich-emanzipatorischen Problemen als der Herausforderung des Glaubens, seinem Seelenheil.
Ist das nicht vielleicht ein konservatives Stereotyp? Ist Ihr Urteil wirklich fair?
Schwilk: Ich urteile ja nicht von außen, sondern bin selbst Protestant, entstamme einer Familie, in der der Glaube noch eine gewisse Rolle spielt. Natürlich mag es in vielen Gemeinden noch seelsorgerisch engagierte und auch glaubensfeste Christen geben. Doch betrachtet man etwa den Kirchentag – und ich war oft genug dort –, der ja das Schaufenster der EKD sein soll, dann stellt sich das als wiederkehrendes Festival des Zeitgeistes und nicht mehr als die Kirche Luthers dar! Ja, man fragt sich, was das dort Gebotene überhaupt noch mit Kirche und Glauben zu tun hat.
Was konkret paßt an Luther heute – 500 Jahre nach der Reformation – nicht mehr zu „seiner“ Kirche?
Schwilk: Vor allem sein Durchsetzungsfuror: Luther stand zu seiner Sache, unbeirrt, er hat sich da nichts „abkaufen“ lassen. Immer wenn es um die Essenz des Glaubens und seiner öffentlichen Bezeugung ging, war Luther ein „Steher“, wie man heute sagt. Das feige und opportunistische Verhalten des EKD-Vorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm, der vor dem Besuch des Tempelbergs in Jerusalem sein Amtskreuz ablegte, ist völlig unlutherisch.
Allerdings gibt es in der EKD nicht nur ein Luther-Bild.
Schwilk: Ja, aber betrachten Sie etwa das Bild des Reformators, das von der offiziellen Botschafterin des Rates der EKD für das Reformationsjubiläum, von der Theologin Margot Käßmann, gezeichnet wird. Ausgerechnet dieses ist am weitesten vom historischen Luther entfernt. Das ist doch bezeichnend.
Konkret?
Schwilk: Als bekennende Pazifistin kritisiert sie den Reformator für seine „Militanz“, wie sie zum Beispiel in dem von ihm verfaßten Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“ zum Ausdruck komme. Dabei hat Luther unablässig gegen den ungerechten Krieg gepredigt, ihn nur zum Zwecke der Verteidigung zugelassen!
Frau Käßmann betont lieber die zeitgeistig verwertbaren Seiten Luthers, etwa daß er ein liebender Vater und Ehemann war oder eine starke Frau an seiner Seite gehabt hat. Ja, richtig – aber eben nur eine Facette seines historisch revolutionären Wirkens. Ein guter Papa macht noch keine Reformation! Sie haben insofern recht, daß unter den Reformationsbotschaftern der Landeskirchen durchaus auch ein anderes, authentischeres Lutherverständnis zu finden ist.
Es ging ihm allein um den Glauben
Viele sehen Luther als Rebell. Ihr Buch erteilt dem dagegen eine Absage.
Schwilk: Im theologischen Sinne war Luther durchaus ein Rebell: Er rebellierte gegen falsche Glaubensgrundsätze. Man muß wissen, daß es zu seiner Zeit nicht gewünscht war, sich individuell mit dem Glauben zu beschäftigen – so wie wir das heute von einem Christen selbstverständlich erwarten.
In Klöstern etwa war die Bibel in der Bibliothek angekettet, damit sie niemand mitnehmen und privat studieren konnte. Stattdessen mußte auswendig gelernt werden, was die Kirchenväter über die Heilige Schrift dekretierten. Ein persönlicher Zugang zu Gott und zum Glauben war nicht erwünscht. Allerdings taugt Luther nicht als Vorbild für politische oder soziale Veränderung. Es ging ihm allein um den Glauben, um das Seelenheil des Einzelnen.
Für den „SZ“-Journalisten und Biographen Willi Winkler ist Luther ein „Konservativer Revolutionär“. Stimmt das?
Schwilk: Es stimmt nicht, wenn damit Luthers Selbstverständnis gemeint ist. Es trifft allerdings zu, wenn man damit seine revolutionäre Wirkung beschreibt. Eigentlich war Luther ein konservativer Denker. Er wollte das Ursprüngliche wiederherstellen, konservieren. Als junger Mensch fühlte er sich dem Humanismus verpflichtet, lernte an der Schule in Eisenach und an der Universität in Erfurt, mit Hilfe von Latein und Griechisch, „zurück zu den Quellen“ zu gehen – und übertrug dies schließlich auf die Theologie.
Die Hauptquelle der Theologie ist für Luther die Heilige Schrift! Sehr schnell stellte er bei seinen Bibelstudien fest, daß es einen grundsätzlichen Widerspruch zwischen philosophischer und theologischer Erkenntnis gibt. Die frühe kirchliche Scholastik hatte ja versucht, Antike und Christentum, also Philosophie und Theologie zusammenzudenken – nicht zuletzt, um den neuen Glauben auch bei den alten Eliten durchzusetzen. Luthers Kritik entzündete sich an dem Widerspruch, Vernunft und Offenbarungsglaube zu vereinen.
Kann man die philosophische Morallehre des Aristoteles wirklich mit der mosaischen Gesetzesethik oder gar mit der christlichen Liebesethik verbinden? Die menschliche Vernunft führt den Menschen immer weiter von Gott weg, befürchtete Luther, – bis in die absolute Selbstmächtigkeit. Ein Blick auf unsere Zeit und das, was im Namen der Vernunft im letzten Jahrhundert geschehen ist, bestätigt die Skepsis des Reformators. Sicher, Luther hat revolutionär gewirkt. Aber die Säulen, auf denen sein Denken ruhte, das waren Gottesbindung und Obrigkeitstreue.
Geistig-spirituelle Gründlichkeit
Heutige Biographen eint die betonte Ablehnung eines „nationalen“ Luther. Ist das noch ein „Problem“ unserer Zeit?
Schwilk: Das ist ein rein rhetorischer, politisch korrekter Gestus. Ich kann nicht erkennen, wer Luther heute noch national vereinnahmen wollte.
Dann wollen wir diesen Leuten mal eine „Freude“ machen: Wie national ist die Figur Luthers denn tatsächlich?
Schwilk: Obwohl er sich von den nationalen Vorkämpfern seiner Zeit, also Ulrich von Hutten und seinen adligen Mitstreitern, deutlich distanzierte, hat Luther als Gestalt natürlich etwas außerordentlich Deutsches, etwa in seinem Den-Dingen-auf-den-Grund-gehen, mit seiner geistig-spirituellen Gründlichkeit.
Und vergessen wir nicht Luthers tief empfundene Liebe zum einfachen Volk, was ihn, gegen den Rat des Stubengelehrten Erasmus von Rotterdam, seine Pamphlete auf deutsch schreiben ließ. Luther heute die nationale Dimension abzusprechen, ist die gleiche Übertreibung wie seine Stilisierung zum Nationalheros im 19. Jahrhundert und – rassistisch fundiert – in der Hitlerzeit.
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Dr. Heimo Schwilk: Der Journalist und Autor machte sich vor allem als Kenner Ernst Jüngers einen Namen – den „Eckermann Jüngers“ nannte ihn der Literaturwissenschaftler Horst Seferens –, über den er mehrere Bücher veröffentlichte, darunter die vielgelobte und „glänzende“ (Spiegel) Biographie „Ernst Jünger. Ein Jahrhundertleben“ (2007).
Beachtung fanden auch seine Biographien über Hermann Hesse „Das Leben des Glasperlenspielers“ (2012) und Rainer Maria Rilke „Rilke und die Frauen“ (2015). 1952 in Stuttgart geboren, schrieb er für Zeitungen wie Welt, FAZ oder Rheinischer Merkur, erhielt 1992 den renommierten Theodor-Wolff-Preis für Journalismus und war zuletzt leitender Redakteur der Welt am Sonntag in Berlin. Im März erschien seine erneut gelobte Biographie „Luther. Der Zorn Gottes“, für den Focus „fulminant erzählt, mit einer Musikalität für den Glauben, die selten geworden ist“.
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