Ich bin 16 Jahre alt und wohne in Berlin-Kreuzberg. Aufgewachsen bin ich zwischen Görlitzer Park, Warschauer Straße und Kottbusser Tor. An meiner Grundschule hatten wir einen Ausländeranteil jenseits der 70%-Marke.
Ich erlebte, was das Wort „Integrationsschwierigkeiten“ bedeutet: ein Drittklässler, der sich vor lauter Trotz auf den Boden setzt, heult und um sich schlägt, wenn die Lehrerin ihn beruhigen will; ein Mitschüler, der nach Ermahnung wütend aus dem Unterricht stürmt und nur mit Mühe zurückgeholt werden kann. Ein anderer, der während des Deutsch-Unterrichts ein Nickerchen hält. Und schließlich ein Viertklässler, der regelmäßig in die Moschee geht und mir etwas von bösen und guten Engeln auf meinen Schultern erzählt. Es war eine verrückte Zeit, das Bildungslevel war unter aller Kanone. Ich habe in der Grundschule nichts gelernt: nada y niente.
Trotzdem, und das klingt jetzt verrückt, war ich mehr mit Türken, Kurden und Arabern befreundet als mit den Deutschen. Denn die meisten Deutschen in Kreuzberg sind wahnsinnig bescheuert: Antiautoritär erzogen, Leistung ist für sie ein Fremdwort, aber Mami ist sich sicher, dass aus ihnen etwas wird – irgendwas mit Malen oder vielleicht Musik. Das Kind kann so schön wie keiner sonst auf dem Schlagzeug jammen.
Als ich älter wurde, ging ich aufs Gymnasium, raus aus Kreuzberg. Je älter wir wurden, desto mehr veränderte sich um uns herum. Die Deutschen mit Restvernunft, die an Kreuzberger Schulen blieben, hatten bald nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder sie wurden ausgeschlossen, gerieten als „Almans“ in Verruf – oder sie passten sich an. Sie assimilierten sich, um zu einer tief islamisch geprägten Jugendkultur zu gehören. Dort geht es um Ehre und Familie, und wer was dagegen sagt oder überhaupt etwas anderes sagt als die Wortführer der Gruppe, der kriegt aufs Maul (und das nicht nur so gesagt). Gut, mit dem Alkohol und den Mädchen da nimmt man es jetzt nicht so islamo-puritanisch, es sei denn, die eigene Schwester ist darin verwickelt, Allah behüte, dann ist es eine Sache der Ehre. Shisha ist der letzte Schrei, die Musik kommt von Rappern, die in gebrochenem Deutsch irgendetwas von auf-die-Fresse-Boxen erzählen. Diese Kultur reagiert allergisch auf alles Deutsche, Westliche und auf alle, die das nicht automatisch und sofort ablegen.
Ich beobachtete, wie die sich anpassenden Deutschen anfingen, selbst Slang zu reden. Sie übernehmen die Gepflogenheiten ihrer Migrantenfreunde, und versuchen dem Vorwurf des Almantums endgültig zu entkommen, indem sie ihre Freunde in Sachen Aggressivität und Gewaltbereitschaft noch zu übertreffen versuchen.
Dass die Kultur hier so funktioniert, weiß jeder, ob Waldorfschüler, SPIEGEL-Online-Leser Grünen-Fan oder toleranzbegeisterter Vielfaltsliebhaber: einer Ausländer-Gang beim Bolzplatz-Fußball vorwerfen, dass sie foult? Lieber nicht. Ein Mädchen mit dunklerem Teint anflirten? Lieber Abstand halten.
Der ehemalige Neuköllner Bürgermeister und SPD-Politiker Heinz Buschkowsky hatte das vor Kurzem treffend zusammengefasst: „Heute haben wir Wohngebiete, die eine komplette Infrastruktur wie im Herkunftsland bieten. Da gibt es keinen Anpassungs- und Sprachdruck. Im Gegenteil, es entsteht selbstbewusstes Revierverhalten. Junge Leute sagen, wir sind stolze Türken und Araber. Was wollt ihr Deutschen hier?“
Auf diese Frage gibt es, wie gesagt, vier Antwortmöglichkeiten: als Deutscher hierbleiben und Probleme bekommen. Hierbleiben und aufhören, deutsch zu sein. Deutsch- und Wegbleiben, also woandershin ziehen. Oder auf die Waldorfschule gehen und dort seinen Namen tanzen.
Nur eines geschieht nicht: dass jemand aus meiner Generation dieser Entwicklung etwas entgegensetzt. Die Generation der Restdeutschen, die in Umgebungen wie der beschriebenen aufwächst, besitzt kein Selbstbewusstsein. Anstelle der Selbstbehauptung ist die Selbstenthauptung getreten. Und das zeigt sich nicht nur hier im Extremen, es zeigt sich überall. Kein Feuer der Unangepasstheit und Aufsässigkeit brennt: weder gegen die islamische Kulturannexion noch gegen die politische Bevormundung in der Schule und in den Medien, die uns erklären, wie wir alle von der Diversität profitieren.
Dieser gebeugten Jugend in Zeiten der totalen Toleranz ist klar, dass keine Integration stattfindet, jedenfalls nicht die der Einwandererkinder in die deutsche Gesellschaft. Für die existiert überhaupt keine Integrationsnotwendigkeit. Die wenigen unter ihnen, die sich möglicherweise eine säkulare und liberale Umgebung wünschen, werden von ihrem Umfeld daran gehindert – beispielsweise dann, wenn Jugendliche schon durch Gruppendruck dafür sorgen, dass Mädchen Kopftuch tragen. Es gibt in diesen Stadtvierteln – ob in Berlin, in Dortmund oder in Bremen und in vielen anderen Städten – nichts, was so etwas wie westliche Kultur repräsentieren würde würde. Selbst wenn es jemand wollte: wohinein sollten sich Einwandererkinder integrieren?
Dort, wo die Mehrheitsverhältnisse gekippt sind, läuft die Anpassung längst andersherum.
Air Tuerkis ist das Pseudonym eines Berliner Schülers und Autors, der das liberale Schülermagazin „Apollo News“ herausgibt.
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