Der SPIEGEL erschien am vergangenen Samstag mit dem Bild eines leichtverquollenen Mannes mit Bart um den Mund und der Titelzeile „Schutzlos“.
Auf den flüchtigen ersten Blick sah es so aus, als hätte sich das Blatt, statt von der Schneekatastrophe in Bayern zu schreiben, des Falls Magnitz angenommen, also des Bremer AfD-Politikers, der, um mit der taz-Schreiberin Veronika Kracher zu reden, von Unbekannten zusammengelatzt worden war, weil #NazisRaus nun einmal unabdingbar Handarbeit bedeutet. Beim zweiten Hinsehen erkannte der potentielle Käufer, dass es sich bei dem Schutzlosen um Robert Habeck handelte. Zum einen waren ihm wie vielen anderen auch nicht besonders gut gesicherte persönliche Daten entwendet worden, zwar nicht von professionellen Hackern, sondern von einem zwanzigjährigen Schüler ohne Vorbildung. Zum anderen – und das hebt den Grünenvorsitzenden aus der Masse heraus – wurde er auch noch Opfer von Twitter. Habeck hatte in einem Video versprochen, zur Landtagswahl am 27. Oktober Thüringen zu befreien. Im Detail klang das so:
„Wir versuchen, alles zu machen, damit Thüringen ein offenes, freies, liberales, demokratisches Land wird, ein ökologisches Land.“
So ähnlich hatte er sich schon vor der Bayernwahl zu Bayern geäußert. Im Fall Thüringens übersah er allerdings, dass es sich schon um befreites und durchdemokratisiertes Territorium handelt, die Grünen regieren dort seit 2014 zusammen mit einer Splitterpartei unter einem Ministerpräsidenten der Linkspartei. Über das Privileg, gar nicht mehr zu wissen, wo sie überhaupt mitregiert, verfügt die Splitterpartei nicht, das nur nebenbei.
Robert Habeck jedenfalls fragte sich vor 80 Millionen Deutschen, wie ausgerechnet ihm dieser Fehler unterlaufen konnte, und kündigte dann an, künftig auf Twitter und Facebook zu verzichten, denn diese Technik, vor allem Twitter, das hatte er herausgefunden – oder der Zwanzigjährige Datenamateur hatte es ihm gesagt – Twitter mache ihn aggressiv. Er verließ also, um mit A. Merkel zu reden, Neuland.
Ein gewisser logischer Bruch tut sich da auf, denn seine Befreiungsankündigung für Thüringen resp. den Osten hatte er ja auf Video gesprochen, bei Twitter handelte es sich nur um den Verbreitungsweg. Eigentlich hätte er also versprechen müssen, für alle Zeiten Kameras zu meiden, er hätte mit Marlene Dietrich sagen können: I have been photographed to death. Aber das wäre schließlich Moralmaximalismus gewesen, und das auch noch auf eigene Kosten.
Mit dieser Entscheidung jedenfalls – nicht der Kameras zu meiden, sondern der anderen – schaffte es Habeck sowohl auf die Titelseite der taz als auch auf das Cover des SPIEGEL, und auf letzteres nicht mit der Zeile „Das Ende von Twitter, wie wir es kennen“, sondern eben: “Schutzlos”.
Robert Habeck ist nicht nur, wie letzte Woche ausgezählt wurde, so genannter Talkshowkönig 2018, außerdem Journalistenkanzler und schutzlos, sondern auch, wie fast alle Journalisten in ihren Porträts schreiben, Philosoph und Schriftsteller.
Von ihm stammen Sätze wie: „Im öligen Morgenlicht schwamm das Meer “ („Hauke Haiens Tod“) oder „Aus den anderen Zimmern hörten wir die Kinder schlafen. Hanna atmete so lautlos wie immer.“ („Der Tag, an dem ich meinen toten Mann traf“). Eros (R. Habeck) und Thanatos gehen also solidarisch Hand in Hand. Trotzdem blieb Habeck von der Literaturkritik bisher unberührt, allerdings auch von der Carl-Zuckmayer-Medaille, die erst einmal an Robert Menasse für die beste Zitatfälschung geht, als nächstes an Takis Würger für den besten Arztroman, der im Dritten Reich spielt, oder an Veronika Kracher („Sommerhaus, zusammengelatzt“), und im übernächsten Schritt vielleicht an den berühmtesten Ex-Mitarbeiter, den der Spiegel je hatte. Zu diesem Kandidaten („sieh da, sieh da, Timotheus/die Enten des Relotius“*) empfiehlt Publico eine luzide Anmerkung von Wolfgang Röhl).
Um auf die Schutzlosigkeit zurückzukommen, die Technikfalle: Konkret in die Falle der Übermotorisierung tappen übrigens auch und gerade in Berlin viele junge Fahrer, die mit ihrem Dreiauspuff-BMW schneller über 50 Meter des Kudamms oder der Yorckstraße kacheln, als sie Wasgucksdu sagen können. Wenn Robert Habeck im Licht seiner Erfahrung diese jungen Männer oder auch nur einen einzigen Gerechten unter ihnen davon überzeugen könnte, sich ebenfalls des aggressivmachenden Verführers zu entschlagen, dann hätte er Deutschland (beziehungsweise Berlin, aber immerhin) ein Stückchen besser gemacht. Diese Bewährungsprobe, wie Medienschaffende gern schreiben, steht bei ihm noch an bzw. aus.
Eine, die in der Literatur- , Journalistenpreis- ,Haltungs- resp. Magazincoverbranche auch noch etwas abzubekommen hat, musste sich in der vergangenen Woche übrigens in den Hintern gebissen haben, ihren Abschied von Facebook seinerzeit nicht deutlicher gewürdigt zu haben, aber jetzt nicht mehr dabei zu sein, wo dort gerade der Wahnsinn abgeht:
Wobei es auch auch auf S. Cheblis Twitteraccount hoch her geht; dort meldet sich öfters die Bento-Schreiberin Hatice Ince unter ihrem lustigen Twitter-Alias HatinJuce, was, wie sie schon einmal erklärt hatte, natürlich nie und nimmer ein witziges Hating Jews bedeutet.
Da bleibt Sawsan Chebli eigentlich nur die Hoffnung, anlässlich der nächsten Instrumentalisierung eines zusammengeprügelten AfD-Politikers durch die AfD ihren Facebook-Wiedereinstieg per Video und/oder im Olympiastadion zu verkünden.
Übrigens, den Gender Pay Gap in der Aufmerksamkeitsökonomie thematisieren, auch das muss noch erledigt werden, fragt sich nur, von wem zuerst. Von Publico, wie der Autor eben selbst merkt.
Da haben Veronika Kracher, Sawsan Chebli, Sophie Passmann und Margarete Stokowski leider das Nachsehen. Wendt
* Zitiert nach: Michael Klonovsky, Acta diurna
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