Nichts für‘s Leben, sondern für die Wirtschaft lernen wir – das ist die provokante These von Bernhard Heinzlmaier, der seit Jahrzehnten Deutschlands Jugend wissenschaftlich analysiert. Die systematische Verdummung der Jungen, die „mit begrenztem Horizont und engem Herz“ in eine unmenschliche Leistungsgesellschaft gedrängt werden, prangert er auch in seinem Buch: „Performer, Styler, Egoisten: Über eine Jugend, der die Alten die Ideale abgewöhnt haben“ an. Der 53-Jährige ist Mitbegründer des Instituts für Jugendkulturforschung in Wien.
Die Welt: Herr Heinzlmaier, wie verblödet ist unsere Jugend?
Bernhard Heinzlmaier: Sie ist auf dem besten Wege, in die absolute Verblödung geführt zu werden. Wenn unser Erziehungs- und Bildungssystem nur noch nach den ökonomischen Gesichtspunkten von OECD und Pisa funktionieren muss, rechne ich den Jugendlichen keine guten Chancen aus.
Heinzlmaier: Bei der Zusammensetzung der Bildungsinhalte zählt nur noch die wirtschaftliche Logik. Die Lehrinhalte werden danach ausgewählt, was später auf dem Arbeitsmarkt auf jeden Fall verwertbar ist. Seit Jahren findet in den Schulen eine Verlagerung zugunsten naturwissenschaftlicher und betriebswirtschaftlicher Inhalte statt. Unterrichtsstunden in Musik, Literatur und Kunst werden gekürzt, weil diese Fächer kein im ökonomischen Sinne nützliches Wissen vermitteln.
Die Welt: Was ist mit alternativen Schulformen wie zum Beispiel Waldorfschulen?
Die Welt: Dennoch sind geisteswissenschaftliche Studiengänge wie Germanistik seit Jahren komplett überlaufen.
Heinzlmaier: Viele junge Menschen haben nach wie vor das Bedürfnis nach humanistischer Bildung. Deswegen ist das Interesse an diesen Studiengängen immer noch groß. Aber auch hier ist es kein Geheimnis, dass die Wirtschaft immer mehr Einfluss darauf nimmt, was an den Hochschulen in Lehre und Forschung stattfindet.
Die Welt: Wofür stehen Jugendliche heute auf?
Heinzlmaier: Für ihre eigenen Interessen. Wenn die infrage stehen, gehen die jungen Leute auch auf die Straße. Nehmen Sie die Demonstrationen in der ganzen Welt: Den Protesten in Spanien zum Beispiel liegen überwiegend materielle Interessen zugrunde. Diese Leute sorgen sich um ihren Arbeitsplatz, ob die Umstände günstig sind, eine Familie zu gründen, um ihren sozialen Status. Aber dem liegen keine weiter reichenden Werte zugrunde.
Die Welt: Was sollte falsch daran sein, auf diese Art seine Zukunft mitzubestimmen?
Heinzlmaier: Weil es nur noch um Einzelinteressen geht, nicht mehr um das gesellschaftliche Ganze. Wo früher die Orientierung an Traditionen Sicherheit gab, herrschen heute Beliebigkeit und Unübersichtlichkeit. Und an die Stelle von sozialen und beruflichen Kompetenzen ist vielfach die Selbstvermarktungsfähigkeit getreten. Das Produkt, das die Jugend primär verkauft, sind sie selbst.
Die Welt: Fühlen sich ältere Generationen vom Zweckoptimismus der Jüngeren beleidigt, weil sie für vermeintlich höhere Ideale gekämpft haben?
Die Welt: Die Autoren der letzten Sinus-Jugendstudie haben aber auch festgestellt, dass sich Jugendliche in Deutschland eine eigene Familie wünschen, aber es schwierig finden, den richtigen Zeitpunkt für die Familienplanung zu erwischen.
Heinzlmaier: Die Familie stellt den letzten geschützten Rückzugsraum in dieser Gesellschaft dar, ein nach außen abgeschlossenes System, in dem sich der Mensch aufgehoben fühlen kann. Je unwirtlicher die Welt da draußen ist, desto wichtiger werden die kleinen Lebenswelten. Insofern ist die Suche nach Geborgenheit fast eine Art Reflex auf die wachsende Unsicherheit in unserer Gesellschaft.
Die Welt: Wie werden aus jungen Menschen dann „Egoisten“ und „Performer“?
Heinzlmaier: Letztlich geht es um Erfolg, Image und Konsum. Wichtiger als, wie ich mich fühle, ist, wie die anderen mich sehen. Wie sehe ich aus? Welche Statussymbole habe ich? Dieses Verhalten lernen Kinder und Jugendliche schon sehr früh, und sie lernen auch, sich selbst gut zu verkaufen. Die neuen Medien verstärken dieses Bedürfnis nach Selbstdarstellung und Selbstvermarktung nur noch. Aber notwendig glücklich wird man nicht, wenn man tagtäglich eine Rolle spielt, mit der das eigene Selbst wenig bis nichts zu tun hat.
Die Welt: Was müsste sich also ändern?
Heinzlmaier: Zum einen müssen wir anfangen, die Probleme der Jugendlichen wieder ernst zu nehmen. Oft genug höre ich: Was haben die zu meckern? Denen geht es im Vergleich zu den früheren Generationen doch richtig gut. Auf der anderen Seite müssen wir wegkommen von einer Lebenshaltung, in der es nur um materielle Güter geht, und von einer Bildungspolitik, die nur den Interessen der Wirtschaft dient. Wir brauchen eine neue Bewegung aus der Zivilgesellschaft heraus, wenn humanistische Werte in unserem Bildungssystem wieder eine Rolle spielen sollen. Wenn das nicht passiert, sehe ich für die Jugend schwarz. WeLT
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