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Freitag, 4. Januar 2019

Wickert will jetzt B sagen und von Muslims in den Arsch getreten werden



Sehr geehrter Herr Wickert,
wie ich einer Kampagne der Aktion „Gesicht zeigen!“ entnehme, sind sie vor kurzem (2013 war das) zum Judentum konvertiert. Welcome to the Club! Es gibt weltweit ungefähr 14 Millionen Juden, das entspricht etwa der Bevölkerung der Metropole Kalkutta – mit Vororten. Bei einem so kleinen Volk, das so viele Katastrophen erlebt und überlebt hat, vom Auszug aus Ägypten über das Verbot der Vielehe im 11. Jahrhundert bis zum Ausschluss aus dem öffentlichen Dienst im Jahre 1933 in Deutschland durch das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, kommt es auf jedes einzelne Mitglied an.
Deswegen muss ich Sie warnen: Es kommt einiges auf Sie zu. Von nun an sind Sie mitverantwortlich für alles, was den Juden angelastet bzw. angerechnet wird: Die Erfindung des Christentums, des Sozialismus, des Kapitalismus, der doppelten Buchführung und der Psychoanalyse; die Gründung Israels und die damit verbundene Vertreibung von etwa 800.000 Palästinensern aus ihrer Heimat; im weiteren Sinne sind die Juden auch verantwortlich für den Antisemitismus und seine Folgen. Denn gäbe es keine Juden, wäre auch der Antisemitismus obsolet.
Ich weiß nicht, ob Sie das alles durchdacht haben oder ob es eine spontane Entscheidung war, die Sie abends bei einer Cohiba und einem Glas Côtes du Rhône getroffen haben. Sie sollten aber wissen, dass es für die Zugehörigkeit zum Judentum einige Voraussetzungen gibt.

Man kann sich nicht zum Juden erklären

Am einfachsten ist es, man hat eine jüdische Mutter. Auf den Vater kommt es nicht an, es kann auch ein besoffener Kosake gewesen sein, der die Mutter vergewaltigt hat. Bei unseren moslemischen Verwandten ist es genau umgekehrt, da zählt allein der Vater, die Mutter trägt das Kind nur aus. Man kann zum Judentum auch übertreten. Aber das ist extrem kompliziert und erfordert viel Mühe und Geduld. Denn die Juden gehören, ebenso wie die Drusen und die Jesiden, zu den wenigen Religionen, die nicht missionieren. Ganz im Gegenteil, wir möchten unter uns bleiben, ein kleiner exklusiver Club, der weniger Mitglieder als der ADAC hat.
Was aber auf keinen Fall geht: Dass sich jemand selbst zum Juden ernennt. Das erkennen wir nicht an, mehr noch: Das nehmen wir übel. Man kann auch nicht nach New York fliegen, bei der Einreise „Ich bin ein Amerikaner!“ sagen und einen US-Pass verlangen. Oder beim Konklave in Rom auftauchen und mitstimmen wollen, nur weil man sich katholisch „fühlt“, zaubern kann und die Bergpredigt toll findet.
Sie, Herr Wickert, sind auch nur bedingt übergetreten. Man muss bei Ihnen das Kleingedruckte lesen. Sie sagen „Ich bin Jude – wenn du was gegen Juden hast“. Mal angenommen, Sie fahren U-Bahn und es stellt sich jemand vor Sie hin, der das Plakat gesehen, aber die subtile Botschaft nicht verstanden hat. Und er sagt: „Verpiss dich! Ich hab was gegen Juden!“ Was machen Sie dann?
Halten Sie ihm einen Vortrag über den großen Beitrag, den die Juden zur deutschen Kultur geleistet haben? Sie wissen schon, Heine, Einstein, Tucholsky, Adorno, Hans Rosenthal... Oder suchen Sie lieber das Weite, bevor die Unterhaltung eskaliert? Ich meine: Was riskieren Sie durch diesen virtuellen Übertritt? Schlimmstenfalls eine Einladung zu Anne Will oder Sandra Maischberger, wo Sie dann von Ihren Erfahrungen als „Jude im besonderen Einsatz“ berichten können.

Was genau ist Ihr Einsatz, Herr Wickert?

Sie wissen doch, es gibt keinen Antisemitismus in der Bundesrepublik. Der wurde 1948, zeitgleich mit der Währungsreform und der Einführung der D-Mark, abgeschafft. Es gibt auch, von Horst Mahler und ein paar irren Rechtsradikalen abgesehen, keine Antisemiten. Oder fällt Ihnen jemand ein, der sich letztens als Antisemit geoutet hätte? Möllemann wollte keiner sein, und das, was der junge Augstein und der alte Grass treiben, läuft unter dem Markenzeichen „Israelkritik“, wobei man sich allerdings wundern muss, dass es analog dazu keine „Syrienkritik“ und keine „Nordkoreakritik“ gibt, wo doch der ohnehin brüchige Weltfrieden von den Regierungen dieser Staaten massiv bedroht wird.
Iris Berben hat mal angekündigt, sie würde zum Judentum übertreten, falls Israel in eine existenzielle Gefahr geriete. Diese Drohung hat die arabischen Staaten bis jetzt davon abgehalten, Israel mit mehr als nur Worten anzugreifen. Deswegen musste Frau Berben auch nicht übertreten. Aber sie hat wenigstens eine konkrete Vorbedingung genannt. Und Sie, Herr Wickert?
Was tun Sie, außer in Gesellschaft anderer Gutmenschen, die sich zu Migranten, Schwulen, Moslems, Türken und Schwarzen honoris causa erklären, mit etwas zu kokettieren, das Sie nicht sind? Das Sie zu nichts verpflichtet, Ihnen nichts abfordert? Sie meinen es gut, vor allem mit sich selbst.

Nicht mehr als eine Frivolität

Ich weiß nicht, welches Erbe auf Ihnen lastet. Aber Sie wären nicht der erste Bio-Deutsche, der den Widerstand nachzuholen versucht, den seine Eltern und Großeltern unterlassen haben. Nur ist es mit Mutproben so wie mit Liebeserklärungen: Wenn sie zu spät kommen, verpuffen sie. Stellen Sie sich vor, in Berlin, Hamburg und München wäre zur Zeit des Dritten Reiches eine Million Menschen auf die Straße gegangen und hätte gerufen: „Wir sind alle Juden!“ Wie weit, denken Sie, wären die Nazis mit ihrem Projekt der „Endlösung“ gekommen?
Immerhin: In Berlin sind einige Tausend Juden von ihren christlichen Nachbarn versteckt, versorgt und gerettet worden, in proletarischen Bezirken mehr als in bürgerlichen Vierteln. Diese Menschen haben etwas riskiert, Sie, Herr Wickert, leisten sich nur eine Frivolität: „Ich bin Jude – wenn du was gegen Juden hast.“
Und ich bin ein Juchtenkäfer, wenn du was gegen Juchtenkäfer hast. Ich bin eine Barbie, wenn du etwas gegen Barbies hast. Ich bin Jude, und es ist mir scheißegal, was du davon hältst.  HMB





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