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Freitag, 21. Mai 2021

100 Jahre Sturm auf den Annaberg

"Um 12 Uhr mittags war der Annaberg in deutscher Hand und über ein Viertel der Oberländer lebte nicht mehr."

KUBITSCHEK: Wir haben über den Winter acht Folgen eines aus der Not geborenen Literaturformats live gesendet. Wir begannen mit Ernst Jünger, weil wir aufgrund des zweiten Lockdowns einen Jüngerabend in Dresden absagen mußten. Also verlagerten wir den Abend ins Internet und konnten neben 600 Live-Gästen bis heute knapp 20 000 Zuschauer gewinnen. Zu sehen ist dieser Jünger-Abend, dieser trinkfreudige Durchgang durch sein Leben und sein Werk hier auf unserem youtube-Kanal Schnellroda.

Es folgten Abende zum Werk Ernst v. Salomons, Joachim Fernaus und Armin Mohlers, und dann, nach einer Lesepause, zu Jochen Klepper, Hans Fallada, Gottfried Benn und Horst Lange. Welches Resümee ziehst Du, Erik, welche Reaktionen hast Du eingesammelt?

LEHNERT: Zunächst einmal hat mir dieses Format große Freude gemacht. Wann hat man schon die Möglichkeit, vor Publikum über seine Lieblingsautoren zu plaudern? Der Funke der Begeisterung ist, wenn ich mir die Reaktionen anschaue, offensichtlich übergesprungen. Ich habe von vielen Leuten, die sich niemals einen Akademie-Vortrag anschauen, geschweige denn zu einer IfS-Veranstaltung gehen würden, äußerst positive Rückmeldungen erhalten.

Wenn es Kritik gab, dann bezog sich die eher auf die auf die Schwerpunktsetzung bei dem ein oder anderen Autor, zum Beispiel kamen bei Benn die Gedichte zu kurz. So etwas läßt sich kaum vermeiden, wenn man eine wirkliche Livesendung macht, die von der Spontanität der Mitwirkenden lebt. Daß mancher seine Helden nicht feucht-fröhlich besprochen haben möchte, kam auch vor. Ich finde aber, daß es sich bei Bier und Wein immer noch am besten diskutieren läßt. Aber Du hast vermutlich viel mehr Rückmeldungen bekommen...

KUBITSCHEK: Neben persönlichen die beruflichen. Leser und Zuschauer, die sich auf politische Berichterstattung hin niemals gemeldet hätten, schrieben ausführliche, sachlich ergänzende, aber auch kritische, Details korrigierende, Lektüre empfehlende Briefe. Ich erhielt Bücher, Kopien, sogar Sammlerstücke.

Kritik war selten, sie bezog sich auf unsere Trinkfreude und darauf, wesentliche Autoren bisher nicht berücksichtigt und despektierlich über das Romanwerk Joachim Fernaus geurteilt zu haben. Insgesamt aber: sogar Verblüffung darüber, daß wir doch in der Lage waren, diese wohl unvermutete Seite unserer Arbeit auf unerwartete Weise aufzudecken.

Meta- und parteipolitisch interessierte Leser schrieben, man hoffe, daß wir nun nicht in einer kulturkonservativen Ausrichtung unseren ganz persönlichen Schlupfwinkel gefunden und damit unseren Hut genommen hätten.

Diese Sorge läßt mich nun überleiten zu einem Zwischenstück, das wir soeben veröffentlicht haben: einem nicht live gesendeten Literaturgespräch über Bücher, die den berühmten Sturm der Freikorps auf den heiligen Berg Oberschlesiens, den Annaberg, verarbeitet haben. Diese Rückeroberung gegen die polnische Insurgenz fand heute exakt vor 100 Jahren statt, und wenn ich auf die Uhr schaue, dann hat das Freikorps Oberland soeben vom Nordhang her stürmend den Gipfel zurückerobert. Das Zitat am Eingang unseres Gesprächs stammt aus v. Salomons Die Geächteten und beschreibt diese teuer bezahlte Heldentat.

LEHNERT: Abgesehen vom Jubiläum ist der Sturm auf den Annaberg ein dankbares Thema, weil hier klar wird, daß Literatur und Metapolitik keine Gegensätze bilden. Der literarische Niederschlag, den dieses Ereignis gefunden hat, war ja der Grund, warum wir den Sturm im Rahmen unserer Reihe behandelt haben.

Neben dem O.S.-Kapitel im von Dir bereits erwähnten Die Geächteten ist da vor allem Arnolt Bronnens großartiger Roman O.S. zu nennen, der 1929 erschien und dem Ereignis seinen Stempel aufgedrückt hat. Er hat die unmittelbar nach dem Sturm beginnende Mythisierung des Sturms in eine angemessene Form gegossen. Es gibt zwar noch andere literarische Verarbeitungen, auf die wir ja in der Sendung auch kurz eingehen, die aber kaum der Rede wert sind.

Die metapolitische Botschaft des Sturms, wie die Geschichte der Freikorps überhaupt, hätte sich ohne die literarische Verarbeitung kaum entfalten können. Sie besteht in der Weisheit des alten Fontane: "Es gibt eine höchste Lebensform, und die heißt, in Freiheit zu dienen." Das hat die Freikorps ausgezeichnet. Im Falle Oberschlesiens kommt noch hinzu, daß auch realpolitisch etwas erreicht werden konnte.

KUBITSCHEK: Unsere Literatursendung "100 Jahre Annaberg" kann man sich unten, am Ende unseres Gesprächs, anschauen. Wir gehen im Film auch auf die politische Ausgangslage ein - die Wiedererrichtung des polnischen Staates 1917 durch die deutsche Regierung, seine Undankbarkeit bereits anderthalb Jahre später, als er sich die Provinz Posen unter den Nagel riß, weil das zur Republik gewordene Deutsche Reich gelähmt war, und seine Versuche, mittels dreier oberschlesischer Konflikte auch diese Provinz zu erbeuten.

Daß den Polen letztlich nur ein Drittel zugeschlagen wurde, war eben auch den Freikorps zu verdanken, deren Rückeroberung mit dem Sturm auf den Annaberg begann.

Bevor wir im Herbst mit den nächsten vier Literaturgesprächen fortfahren, könnten wir noch ein oder zwei Zwischenstücke einschieben - wir sprachen neulich kurz darüber. Was kommt Dir da in den Sinn?

LEHNERT: Das schönste Ereignis haben wir leider verpaßt. Am 9. März 1721 mußte die Garnison der kurbrandenburgischen Kolonie Arguin, einer Insel vor der mauretanischen Küste, ihr Fort aufgeben und sich auf das Festland zurückziehen. Ich weiß aber auch nicht, ob dieses Ereignis einen literarischen Niederschlag fand.

Was uns in diesem Jahr aber noch bevorsteht, sind der 80. Jahrestag des Beginns des Deutsch-Sowjetischen Krieges und der 60. Jahrestag des Mauerbaus - beides Dinge, denen man sich widmen könnte, zumal sie ja in einem gewissen Zusammenhang stehen. Aber ich würde dazu heute noch keine Sendung versprechen wollen. Was wir uns aber ganz fest vorgenommen haben, ist die Fortsetzung der Livesendungen zu Dichtern und Denkern, die uns am Herzen liegen.

KUBITSCHEK: Und hier können wir zum Abschluß unseres kurzen Resümees zwei, drei Namen bereits nennen, oder? Wir schwankten lange zwischen Edwin Erich Dwinger und Ernst Wiechert, entschieden uns nun aber für Wiechert, weil der gute Dwinger zwar eine extreme Lebensphase durchlitt und darüber schrieb (seine Gefangenschaft in Rußland und seine Beteiligung am russischen Bürgerkrieg nämlich), aber dann doch zu einem Fließband für Konjunkturbücher verkam. Wiechert ist da ein ganz anderes Kaliber.

Der zweite Name, ich habe ihn durchgedrückt: Hans Bergel, Siebenbürger, den ich persönlich kenne, der sogar noch lebt und dessen gefährdetes Leben in Rumänien unseren Zuhörern neue Räume erschließen sollte. Nennst Du zum Abschluß noch einen dritten oder lassen wir die Hälfte in der Wundertüte?

LEHNERT: Man soll aus seinem Herzen keine Mördergrube machen. Daher kann ich verraten, daß wir uns auf zwei weitere, denkbar unterschiedliche Autoren geeinigt haben. Mit Ernst Nolte werden wir jemanden behandeln, der als Historiker viel dazu beigetraten hat, die ideologischen Grundlagen des 20. Jahrhundert offenzulegen und darüber die chronologische Reihefolge ihres Auftretens nicht zu vergessen. Wir werden sehen, wie uns das gelingt, ein doch eher trockenes Werk zu besprechen.

Neuland betreten wir auch bei Erhart Kästner, dessen Werk, vor allem Essays, Tagebücher und Reiseberichte, recht esoterischen Charakter hat und deshalb auch wenig bekannt sein dürfte. Aber wir wollen ja auch Schneisen in das Feld der Erwartungen schlagen. Was Dwinger betrifft, bin ich dafür, ihm zu einem späteren Zeitpunkt nochmal eine Chance zu geben. Es wird noch genügend Gelegenheiten geben.

Nun aber hier unser Annaberg-Gespräch:

 

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