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Sonntag, 2. Mai 2021

Endlich kann man wieder über das Alltägliche lachen

Schauspieler, die die Corona-Kommunikation der Regierung verspotten, handeln nach dem „Playbook des Faschismus“. Sie haben sogar eine Agenda. Wussten Sie nicht? In seiner pfäffischen Reaktion auf #allesdichtmachen übertrifft sich der Medienkomplex selbst. Höchste Zeit, dass Molière darüber schreibt

Neben vielen gefühlten Messmethoden gibt es einen halbwegs objektiven Maßstab für die Qualität der öffentliche Debatte: die Zeit, die zwischen der Wortmeldung einer Person und der Zuordnung dieser Person zum Dritten Reich vergeht.

Dabei handelt es sich selbstredend nicht um das historische, sondern um das Fantastische Dritte Reich, der Einfachheit halber abgekürzt FDR, dessen wichtigste Eigenschaft darin besteht, sich wie das Universum ständig weiter auszudehnen. Die Ausdehnung, Fachbegriff: Inflation bringt es mit sich, dass sich die oben erwähnte Zeitspanne immer weiter verkürzt. Für die 53 Schauspieler, die an der Videoaktion #allesdichtmachen teilnahmen, dauerte ihre Zwangseinbürgerung in das Fantastische Dritte Reich keine 48 Stunden. Wobei die Frage offen bleibt, ob diejenigen, die sich aus Angst um ihre künftigen Engagements schnell von ihren eigenen Videos und damit von sich selbst distanzierten, dem FDR wieder ganz entkommen, oder ob sie in einer Zwischenablage im Grenzbereich landen. In der katholischen Lehre heißt diese Zwischenablage bekanntlich Limbus, was so viel wie Saum oder Rand bedeutet. Dorthin, in die Vorhölle kommen traditionell alle, die schuldlos den Zustand der Seligkeit verfehlten. Sie haben dort die endgültige Entscheidung abzuwarten, ungefähr so wie Heike Makatsch das nächste Rollenangebot.

Dieser Text handelt von der Videoaktion #allesdichtmachen und den Reaktionen darauf, also von Parareligion, Faschismusbegriffsgefuchtel und pietistischer Verkniffenheit. An dieser Trinität kommt nun mal niemand vorbei, der sich mit der Debattenpraxis in Deutschland befasst.

Die Videoaktion #allesdichtmachen besteht beziehungsweise bestand aus 53 kurzen, satirischen Videos, die sich mit den Widersprüchen und Absurditäten der Corona-Eindämmungsmaßnahmen beschäftigen, beispielsweise mit der Praxis, Kultureinrichtungen zwangszuschließen, obwohl sie praktisch nichts zum Infektionsgeschehen beitragen. Mit der Politik, ein ganzes Land von einem Inzidenzwert abhängig zu machen, der je nach Menge der Tests schwankt, und der noch nicht einmal Aufschluss über die Zahl der Covid-19-Infizierten gibt. Mit dem Maßnahmenfetisch von Merkel, Lauterbach und anderen, Bürger mit Ausgangssperren in geschlossene Räume zu scheuchen, also dorthin, wo die Gefahr einer Infektion nachweislich um ein Vielfaches höher liegt als im Freien. Überhaupt befassen sie sich mit dem Glauben, wenn Regierungsmaßnahmen möglichst schmerzhafte Nebenwirkungen verursachen, müssten sie auch eine Hauptwirkung haben.

Bei den Texten der Schauspieler handelt es sich um so genannte Rollenprosa, sie spielen also den Irrationalen, den Dankbaren für die staatlichen Maßnahmen; eine Schauspielerin („ich rede gern Unsinn“) parodiert bei der Gelegenheit den Stil der üblicherweise in Deutschland sehr geschätzten Tugendbekenntnis-Kampagnen. Vielleicht ist der Hinweis in diesem Forum unnötig, dass es sich um Satire und Parodie handelt, die nach Karl Kraus entweder die halbe oder die anderthalbe Wahrheit darstellt. In der wohlmeinenden Öffentlichkeit dagegen mussten die Videoproduzenten noch einmal extra auf den Satirecharakter hinweisen, wobei sie sich die Mühe auch hätten sparen können. Sehr viele Meinungsschaffenden wissen entweder nichts mit Satire anzufangen, sobald sie selbst Satireobjekt werden, oder sie stellen sich noch ein bisschen dümmer, als es ihrem natürlichen Zustand entspricht.

Wahrscheinlich hing die politisch-mediale, vor allem die mediale Reaktion sehr davon ab, dass sich der Schauspieler und Tatortkommissar Jan Josef Liefers in seinem weit vor plazierten Video ironisch bei dem Teil der Medien bedankt, der bisher jede Regierungsposition zu Corona lobte, egal welche, und egal, wie die Positionen wechselten.

„Verzweifeln Sie – aber zweifeln Sie nicht“, sagt die Liefers-Figur. In dieser Parole erkannten sich offenbar zu viele Medienschaffende wieder, als dass sie ihm die kleine Performance hätten durchgehen lassen können.
Bisher sahen sich gut fünf Millionen die Videos an. Bei Youtube kann das Publikum Zustimmung und Ablehnung hinterlassen. Die Zustimmungsrate liegt derzeit bei 93 Prozent. Das entspricht ziemlich genau der erregten Ablehnungsquote in dem twitterverstärkten politisch-medialen Komplex.

Nicht mehr alle Videos sind auf der Seite von #allesdichtmachen zu sehen. In dem Text auf der Seite heißt es: „Übrigens: Wenn Videos von dieser Seite verschwinden, dann heißt das nicht zwingend, dass die jeweiligen Leute sich distanzieren. Es kann genausogut bedeuten, dass jemand sich einfach nicht in der Lage sieht, diesen Shitstorm auszuhalten, oder seine Familie schützen will.“

Die schnellste und konsequenteste Einbürgerung der Videomacher ins Reich des Fantastischen Dritten Reichs nimmt der Autor Johannes Schneider in der Zeit vor. Dorthin begeben sich die Schauspieler seiner Meinung nach schon dadurch, dass sie sich überhaupt auf einer gemeinsamen Plattform äußern:

„Als gäbe es in Kultur, Politik und – ja – Medien nicht zahlreiche Stimmen, die gleichfalls Kritik am politischen Handeln auf Länder- und Bundesebene üben. Als gäbe es nicht auch Aktionen, die man unterstützen könnte, anstatt öffentlichkeitswirksam sein eigenes Süppchen zu kochen. […] Mehr noch: Es ist demagogisch und, indem es Totalitarismus behauptet, wo eigentlich nur gesellschaftlicher Konsens herrscht (dass dieses Virus gefährlich ist), selbst totalitär. Wer all die Stimmen einfach ausblendet, die differenziert und dadurch nicht weniger heftig die Vorfahrt für die Wirtschaft, die Nichtbeachtung der Marginalisierten, von Kindern und psychisch Kranken und nicht zuletzt die völlige Ignoranz gegenüber Kunst und Kultur kritisieren, handelt nicht nur gedankenlos. Er will offensichtlich auch jene Positionen beschädigen, die anders und anderes kritisieren als er selbst. Das aber ist das – sorry to say – Playbook des Faschismus in der Opposition.“

Schon mit seinem Vorwurf, die Schauspieler kochten „ihr eigenes Süppchen“, indem sie sich zu einer Aktion zusammenschließen, erreicht Schneider einen Dämlichkeitsgrad, der vor drei Jahren und selbst vor einem Jahr in der Zeit noch nicht durchgegangen wäre. Nach seiner Logik dürfte dann auch die Zeit nicht länger ihre Fusion mit dem Spiegel und anderen Wohltonmedien verweigern, statt weiter ihr eigenes Redaktionssüppchen zu kochen. Das, was bisher ausdifferenzierte Gesellschaft hieß, also die Existenz verschiedener Stimmen, die nicht erst irgendwo um Erlaubnis nachfragen, ist dem Zeit-Autor offensichtlich ein Gräuel. Wo und wie jemand der 53 Schauspieler „Positionen beschädigt, die anders und anderes kritisieren als er selbst“, verrät er nicht. Es gäbe auch keine vernünftige Antwort darauf. Die bizarre Konstruktion, wer die Corona-Eindämmungsmaßnahmen der Bundesregierung kritisiert, halte das Virus nicht für gefährlich, er verweigere sich also dem „Konsens“, führt nicht nur der Zeit-Redakteur seinen Lesern vor. Sie bildet das Grundmuster aller Empörungsdeklarationen dieser Sorte. In keinem der Videos behauptet jemand, das Virus sei ungefährlich. Anderen eine Position zu unterstellen, die sie gar nicht vortragen, um sich mit ihrem tatsächlichen Vortrag nicht befassen zu müssen: Genau diese Technik benutzen seit jeher alle, die eine Debatte ersticken wollen.

Bei denen, die sich über die Videos und überhaupt über unlizensierte Wortmeldungen und eigene Süppchen empören, taucht immer wieder der Topos auf, es sei unerhört und so fürchterlich undifferenziert, sie, die Vertreter des benevolenten politisch-medialen Komplexes, mit den Funktionären der DDR zu vergleichen. Das, was Schneider in der Zeit vorträgt, gleicht allerdings bis aufs Tüpfelchen der Machtargumentation, wie sie weiland die SED herunterratterte: Der Wunsch nach Frieden ist der Konsens aller vernünftigen Menschen, und wer dem zustimmt, muss auch der Staats- und Parteiführung zustimmen, die für den Frieden kämpft; Kritik daran darf sein, aber nur konstruktiv, für alle konstruktiven Haltungen stehen schon genügend gesellschaftliche Plattformen zur Verfügung. Wer trotzdem unnötigerweise sein eigenes Süppchen kochen will, stört den Konsens, verhöhnt die Friedensanstrengungen der Führung, schlägt den fleißigen Werktätigen ins Gesicht und spielt den Falschen in die Hände.

Wenn es Politiker und Redakteure tatsächlich stören sollte, mit SED-Funktionären und –Journalisten verglichen zu werden, dann – das als bescheidener Vorschlag – könnten sie doch einfach aufhören, so zu reden und zu schreiben. Und stattdessen auf einen Mindestabstand zum totalitären Denken achten. Es sei denn, dieser Abstand fällt sowieso nicht größer aus als der zwischen der Judäischen Volksfront und der Volksfront von Judäa im „Leben des Brian“. Dann kann und sollte sich der Betreffende die Mühe des Abstandhaltens sparen, sich aber auch nicht beschweren, wenn einen andere auf die Ähnlichkeit hinweisen.

Schneiders Argumentationsfinale besteht in dem Satz, „das“ – also andere Positionen beschädigen, weil man selbst eine hat – „ist das – sorry to say – Playbook des Faschismus in der Opposition.“ (Wann hat eigentlich die Mode angefangen, auf affige Weise kontextlose englische Wendungen in die eigenen Sätze zu streuen, was ein bisschen dem abgespreizten kleinen Finger beim Kaffeetrinken entspricht? Aber das nur ganz nebenbei.)
Das, was Liefers und andere in den Videos vortragen, stammt also als dem „Playbook des Faschismus in der Opposition“. Widerspruch scheidet aus, denn was in diesem Playbook des Faschismus steht, wissen nur Schneider und seine Verbündeten – und natürlich die Faschisten in der Opposition. Es liegt ganz unten in der Bundeslade des Korrekten, die Priester wie Schneider verwalten, und seine apokryphe Natur macht es möglich, selbst 53 Schauspielern, die wahrscheinlich samt und sonders in der Mitte oder eher links davon stehen, das Fantastische Dritte Reich als ihren eigentlichen Ort zuzuweisen. Gut möglich, dass sich Egon Krenz heute vor Wut ins Derrière beißt, dass ihm damals, am 4. November 1989, als der junge Jan Josef Liefers vor Demonstranten auf dem Alexanderplatz redete, diese schicke Diskurswendung nicht eingefallen ist: ’Was Sie sagen, stammt aus dem Playbook des Faschismus in der Opposition’.

Möglicherweise sind die Unterschiede zwischen Krenz und den damaligen Journalisten der DDR-Zentralorgane und einem Zeit-Schneider eben doch geringer, als Schneider meint oder auch nur vorgibt. Der Kenner des Faschismus-Playbook hatte in der Zeit auch schon die Sätze geschrieben:

„Doch genau das ist jetzt demokratische Herzensaufgabe: bis weit in die Union und ihre Wählerschaft hinein ein Verständnis dafür zu entwickeln, dass jeder ’Alerta Antifascista’-Rufende begrüßenswerter ist als der freundliche AfDler von nebenan.“

Vor kurzem versuchte er beziehungsweise die Redaktion zu erklären, dass und warum „Forschungsergebnisse“ in Virus- und Klimaforschung „zu Recht nicht diskutierbar sind“, sondern seiner Meinung nach in einen parareligiösen Bereich gehören.
Das, was einen Krenz und ND-Redakteure von 1989 mit Leuten wie Schneider verbindet, ist ihre ausgeprägte Unlust an der voraussetzungslosen Debatte. In seinem Beitrag finden sich alle möglichen Textbausteine – aber kein Satz, der sich konkret mit einem der 53 Videos auseinandersetzen würde. Diese Unlust am Streit zeichnet nicht nur den einen Zeit-Schreiber aus. In ihrem Interview mit Gesundheitsminister Jens Spahn fragten Zeit-Redakteure, soweit es überhaupt eine Frage gewesen sein soll:
„Herr Spahn, die Videos der Kampagne #allesdichtmachen waren kaum im Netz, da machten Sie dem Schauspielern, die die Corona-Maßnahmen in so harter Weise kritisiert hatten, schon ein Dialogangebot. Warum haben Sie das gemacht? Und würden Sie das heute noch genau so machen in Kenntnis der Debatte, die dann losgebrochen ist?“

Ein Minister spricht zumindest mit Kritikern der Regierung, zu der er gehört: Für Zeit-Redakteure sollte Spahn so viel Entgegenkommen schon sehr gut begründen. Im Subtext heißt das auch: Sie hätten das allergrößte Verständnis gehabt, wenn er es nicht tut. Auch Regierungskritik halten die Redaktionsmitglieder nicht mehr für das Normale, sondern für die Besonderheit; bezeichnenderweise zeigen sie zum Beweis, dass es diese merkwürdige und begründungspflichtige Übung noch gibt, auf ein anderes Blatt.

Nämlich auf ein Blatt, an dem sich gleichzeitig die junge progressive Twittergarde unter dem Hashtag #haltdiefressebild abarbeitet.

In der Sendung von Maybritt Illner wollte die Journalistin Mai Thi Nguyen-Kim eigentlich nicht über die Aktion #allesdichtmachen diskutieren, sie beklagte sich stattdessen, die Videos bekämen zu viel Aufmerksamkeit, und das sei ungut: „Unsere Aufmerksamkeit ist begrenzt, sie ist eine kostbare Ressource. Wir belohnen medial diejenigen, die am lautesten schreien…Natürlich spaltet das am Ende irgendwie die Gesellschaft. Jetzt gerade können wir das gar nicht brauchen.“

In der Klima- und Rassismusdiskussion stellte ein bisschen Zuspitzung für diese Leute, die gern im Majestätsplural sprechen bekanntlich kein Problem dar. Für die ZeroCovid-Aktion auch nicht. Kommen dann aber die Falschen, dann beuten sie rücksichtslos die kostbare Ressource Aufmerksamkeit aus, die wir von unseren demonstrierenden Klimakindern nur geborgt haben.
Mai Thi Nguyen-Kims Ansicht, bei gesellschaftlicher Aufmerksamkeit handle es sich um eine Ressource, die am besten von guten Wächtern je nach Richtung und Thema zugeteilt und notfalls auch wieder entzogen werden müsste, ist von erschütternder Einfalt. Allerdings so einfältig auch wieder nicht, als dass eine Plattform ohne Journalismushintergrund nicht erklären würde, Nguyen-Kim hätte die Videos von Liefers und den anderen von #allesdichtmachen „zerlegt“.

Im Spektrum derjenigen, deren Mission darin besteht, das Gute zu verbreiten, das Falsche zu zerlegen und die Gesellschaft auf den richtigen Pfad zu bringen, markiert Nguyen-Kim allerdings nur das Mittelfeld. Neben ihr gibt es beispielsweise noch einen öffentlich geförderten Filmmacher, der auch für das ZDF arbeitet und eine sehr klare Vorstellung davon besitzt, wo Leute wie Liefers eigentlich hingehören:

 

Und der außerdem meint, der Inlandsgeheimdienst sollte sich um alle politischen Kräfte kümmern, die nicht zweifellos links der Mitte stehen.

Flankiert wird der geförderte Filmemacher von einem Journalisten mit Nähe zur Amadeu-Antonio-Stiftung, der findet, die Leute dürften ihre individuelle Lebensgestaltung nicht zum Grundrecht hochstilisieren.

Was fürchten eigentlich die Rechtschaffenen von den 53 Videos? Was werfen sie Liefers und den anderen eigentlich vor? Der Stern schreibt: „Und zurück blieb schlussendlich eine zum Teil verunsicherte Bevölkerung. Wer bisher glaubte, Leute, die von gleichgeschalteten Medien faseln, gehören in die Ecke der Querdenker und Verschwörungstheoretiker, hörten diesen Vorwurf nun vom Professor Boerne-Darsteller aus dem Münster-‚Tatort’. Das macht Liefers Aussagen in dem Video so gefährlich. Er zieht mit seinen Äußerungen absurde Anwürfe der Querdenker und Verschwörungstheoretiker aus der Ecke von Spinnern in den Mainstream, macht sie so hoffähig.“

Eine Bevölkerung, die es seit gut einem Jahr gewohnt ist, präzise Voraussagen aus dem Robert-Koch-Institut zu hören, schlüssig über den Nutzen von Masken aufgeklärt zu werden, sachliche, abgeklärte Medien zu lesen und ruhigen, pragmatischen Politikern zu folgen, die beispielsweise das Impfen so organisieren, dass uns die Johnsons und Netanjahus dieser Welt darum beneiden – diese Bevölkerung wird jetzt durch 53 satirische Videos aus dem Playbook des Faschismus verunsichert. Von „gleichgeschalteten Medien“ sprach und spricht Liefers übrigens gar nicht, davon faselt nur der Stern. Liefers spricht von homogenen und verengten Medien. Das ist höflich und zurückhaltend. Was Zeit, Stern und eine Menge anderer Blätter über seine Aktion schreiben, würde noch zu ganz anderen Adjektiven berechtigen. Sehr schön ist übrigens die Wendung „hoffähig“ in dem Stern-Kommentar. Manchmal genügt ein kleines Wort, um den Charakter eines Schreibers zu erhellen. In dem Text heißt es über die Tatortkommissare unter den Videomachern auch: „Ihnen allen hat diese Aktion sicher geschadet.“

So verspielen TV-Prominente ihre Hoffähigkeit.
In der Berliner Zeitung kommt die Linkspartei-Politikerin Anke Domscheit-Berg umfangreich zu Wort, um die Schauspieler-Videos zum Teil eines „Informationskrieges“ zu erklären.

 

„Die Internet-Seite von #allesdichtmachen ist ja inzwischen gelöscht“, behauptet Domscheit-Berg, „aber über ihr Impressum lässt sich nachvollziehen, wer dahinterstand – und welche Verbindungen ins Milieu der Querdenker und Kritiker von Pandemiemaßnahmen es gibt. Schauspieler sind es gewohnt, eine Rolle zu spielen. Aber dass sie sich in diesem Fall zum Teil eines Informationskriegs machen, war nach meiner Überzeugung vielen Teilnehmern nicht bewusst.“

Eine wenige Klicks genügen, um herauszufinden, dass die Seite von #allesdichtmachen zumindest zu dem Zeitpunkt, als das Interview erschien, nicht abgeschaltet, sondern verfügbar war. Ebenso wie die Youtube-Seite mit den Videos.

Die Linkspartei-Politikerin, die anderen einen Informationskrieg vorwirft, operiert also mit einer Falschbehauptung aus der Kategorie der psychologischen Kriegsführung. Irgendwelche Belege für Verbindungen ins Milieu der „Querdenker“ nennt sie nicht. Die Interviewer der Berliner Zeitung fragen auch nicht danach. Und „Kritiker der Pandemiemaßnahmen“ sind die Schauspieler ja selbst – neben etlichen Wissenschaftlern und Publizisten, denn es gibt ja genug zu kritisieren. Kritiker der Pandemiemaßnahmen stehen also möglicherweise in Verbindung zum Milieu der Pandemiemaßnahmenkritiker.

Nicht auszuschließen ist übrigens, dass Domscheit-Berg ihrerseits Querverbindungen zu anderen Linken unterhält, möglicherweise sogar zu Mitgliedern der sogenannten Linkspartei. Gut möglich, dass ein größeres Netzwerk dahintersteckt. Sehr unwahrscheinlich scheint dagegen, dass bei der Berliner Zeitung noch jemand Texte gegenliest, bevor sie ins Blatt kommen.

Wie setzten sich Journalisten innerhalb dieses Playbook-des-Faschismus und Infokrieg-Milieus noch einmal von den Kollegen ab? Indem sie es machen wie der Tagesspiegel. Der enthüllt in einem langen Text, die Aktion #allesdichtmachen sei „professionell geplant“ und „akribisch vorbereitet“ worden: „Das ergibt eine Spurensuche, eine Woche nachdem die Aktion online ging.“ Der Tagesspiegel trägt mit einer läuseknackerischen Hingabe Indizien zusammen, angefangen bei der Kleidung des Regisseurs und Initiators Dietrich Brüggemann: („Mit brauner Kappe und gestreiftem Shirt ist der Berliner Regisseur Dietrich Brüggemann per Video ins Fernsehstudio zugeschaltet und erklärt die Kunstaktion #allesdichtmachen“). Weitere Erkenntnis des Berliner Blattes: Die Beteiligten kannten einander!
„Auffällig ist die Zahl der TV-Kommissar:innen, die bei #allesdichtmachen dabei sind. Aber kein Zufall […] Es legt vielmehr den Verdacht nahe, dass Brüggemann und Bohn im erweiterten Bekanntenkreis Mitstreiter:innen rekrutierten. 14 Beteiligte haben in der Vergangenheit mit Brüggemann gearbeitet.“

Auf die bohrend-investigativen Nachfragen des Tagesspiegel (‘Sie kannten sich also, ja? Raus mit der Sprache.’) mag Brüggemann, der Mann mit der brauen Kappe, nicht antworten. Auch das kommt ins Tagesspiegel-Protokoll: „Brüggemann reagierte auf Nachfragen nicht. So viel zur Meinungsfreiheit.“ Dann folgt die finale Demaskierung, die Enthüllung, der investigative Blattschuss, nach dem die Geschichte von #allesdichtmachen neu geschrieben werden muss:
„Hinter #allesdichtmachen steckt somit eine klare politische Agenda.“

Puh, eine politische Agenda – hätten Sie’s geahnt?
Mit „Ironie“, so die Tagesspiegel-Ermittler, habe Brüggemann schon in seiner Komödie „Heil“ vor Jahren „die Grenze zwischen ‚Wahr und Falsch’ verwischt“. Und „so gesehen“, urteilt das Tagesspiegel-Team, „kann man die Ironie in #allesdichtmachen tatsächlich als Angriff auf die gesellschaftliche Kommunikation bezeichnen.“

Ein gar nicht so schlechtes Maß zur Einschätzung bestimmter Milieus ist die Überlegung, wie eine Gesellschaft aussähe, in der dieses Milieu freie Hand hätte. Eine Gesellschaft, in der Johannes Schneider und andere Meinungshalter von der Zeit mit ihrem Playbook des Faschismus, ein Mario Sixtus mit seinen Wegsperrfantasien, Desinformationskrieger aus der umbenannten SED und Dossier-Ersteller aus anderen Hauptstadtmedien durchgreifen könnten, wie sie wollten, eine solche Gesellschaft sähe der DDR sehr, sehr ähnlich. Wahrscheinlich bräuchte sie vorerst keine materielle Mauer; die Grenze zum Fantastischen Dritten Reich würde fürs erste genügen. Nach Ralf Dahrendorf dient öffentlicher Streit der Begrenzung: Er verhindert, dass eine bestimmte Gruppe ihr Dogma errichten kann. Genau das – ein Dogma errichten – versuchen die medial-politischen Eiferer gerade. Es geht ihnen um eine dichtgemachte Gesellschaft. Dass sie 2021 einem Schauspieler gegenüberstehen, der 1989 an der Demontage eines Dogmas mitwirkte, ist eine bemerkenswerte Pointe.

So pfäffisch, honeckeresk, ridikül, verkniffen und gouvernantenhaft wie in ihrer Reaktion auf 53 kleine satirische Filme von Schauspielern wirkten Deutschlands wohlmeinende Medien schon lange nicht mehr. Und das will bei ihrer Vorgeschichte etwas heißen. Haltungsmedien zeichnen sich heute durch die dringende Warnung an die Bevölkerung aus, den Verstand bloß nicht ohne fremde Leitung zu gebrauchen. Stil und Inhalt dieser Blätter stammen aus dem Playbook von Molière, beides schwankt zwischen „Tartuffe“ und den „Lächerlichen Preziösen“. Leider fehlt der Gegenwart ein Molière, um ein Bühnenstück aus dieser Welt zu machen. Aber falls es entstehen sollte, wäre Jan Josef Liefers der ideale Regisseur.

Das Fantastische Dritte Reich gehört, wie gesagt, zum parareligiösen Bereich. Und kaum etwas stört diese parareligiöse Priesterkaste mehr als Ironie. Lachen tötet die Anmaßung. Ironie ist ein Angriff auf deren Kommunikation – so weit liegt der Tagesspiegel durchaus richtig. Das wusste schon Umberto Eco in „Der Name der Rose“, das wusste vorher schon die Monty-Python-Truppe in „Das Leben des Brian“. Und das wussten offenbar die Macher von #allesdichtmachen, jedenfalls diejenigen, die nicht umfielen. Der kürzlich verstorbene Autor Roger Scruton – auch er von Eiferern verfolgt – empfahl, Gestalten dieser Sorte einfach auszulachen.
Dafür braucht es noch nicht einmal ein Playbook.   Wendt

 

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