Anno 2021. Das Westfernsehen, dessen öffentlich-rechtliche Anstalten inzwischen auch noch um kapitalistische Privatsender bereichert wurden, hat die Meinungshoheit von dem Maas bis an die Merkel hegemonial sichergestellt. Allerdings mit einem kleinen Schönheitsfehler: Die Meinungshoheit kam, die Meinungsvielfalt ging. Wer etwa die Berichterstattung zur Energiewende, zur Migrations-Problematik oder auch aktuell zur Corona-Politik verfolgt, findet im Wesentlichen nur noch eine tadellose Sichtweise – die der Regierenden. Privatsender wie RTL wollen dazu offenbar keine Alternative sein, sie sind in vielen politischen Fragen mitunter noch heftigere Staatsclaqueure als die Öffentlich-Rechtlichen, der moralische Zeigefinger pendelt wie ein Wackeldackel auf der Hutablage. Das ist durchaus neu: Es braucht keinen Zensurapparat um die Herrschaften bei der Stange zu halten, sie tun das alles freiwillig. Der Zeitgeist ist mächtig und man macht keine Witze über Religion.
Wer mal was anderes lesen, hören oder sehen will, der muss sich ins Netz begeben und neue kleinere Medien aufsuchen oder auch größere alte Medien – allerdings die in der Schweiz. Die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ), gegründet 1780, hat sich inzwischen exemplarisch den Ruf des West-Fernsehens erworben – und weiß gar nicht, ob sie glücklich damit sein soll. Der Begriff, einst ein Orden an der Brust des Medienschaffenden, gilt unter den Verantwortlichen des Staatsfunks längst als ein Fall für die Schmuddelecke. Was unter dem Synonym „Westfernsehen“ über die deutsche Landschaft segelt, gilt plötzlich wieder als ein staatfeindlicher Provokateur. Aber damit geht die Pointe erst los.
Denn es kommt, wie es kommen muss: Was regierungskritische Berichterstattung angeht, bietet der deutsche Medienmarkt ein unbespieltes Feld von der Größe des Berliner Olympiastadions. Man stelle sich einfach den Münchner Viktualienmarkt so vor: Auf der linken Hälfte gibt’s nur noch Gurken, und die rechte Hälfte der Stände bleibt einfach leer. Man könnte dort mit guten Geschäftsaussichten Bananen verkaufen, aber es traut sich keiner. Nicht rechts und keine Bananen. Die gelten als krumm. Sind die Gurken zwar auch, aber das darf man nicht einmal denken.
Und jetzt kommt Wladimir Wladimirowitsch Putin ins Spiel. Der hat die Marktlücke erkannt, sein Ruf ist ohnehin ruiniert, und so hat er beschlossen, den Deutschen endlich wieder Bananen zu verkaufen. Er finanziert schon seit längerem den Fernsehsender RT (ehemals Russia Today). Steingarts Morning-Briefing schreibt dazu: „Das Ziel von RT ist es, dem Publikum die „russische Sichtweise“ auf das internationale Geschehen vorzustellen und ein Gegengewicht zu „westlichen Medien“ zu bilden.“ Nach eigenen Angaben wird RT in mehr als 100 Ländern weltweit von rund 664 Millionen Menschen gesehen. In Deutschland betreibt man bisher eine durchaus erfolgreiche Webseite. Über Mangel an Zuspruch kann die sich nicht beklagen.
Und nun soll die „russische Sichtweise“ die Deutschen auch mit einem Vollprogramm erbauen. Das kann sehr lustig werden, wenn der deutsche Michel zwischen Putins und Merkels Sichtweise hin und her zapp(el)t, ich freue mich schon drauf. Bis Ende dieses Jahres soll das deutschsprachige Internetangebot zu einem „modernen und dynamischen TV-Sender“ (RT Eigenwerbung) mit einem deutschsprachigen Vollzeitprogramm ausgebaut und 200 neue Mitarbeiter eingestellt werden: Redaktionsleiter, Redakteure, IT-Administratoren, Moderatoren, Korrespondenten, Kameraleute und auch PR-Fachkräfte. RT DE ist auf dem Studiogelände in Berlin Adlershof angesiedelt, wo auch die Talkshow von Anne Will produziert wird. Das trifft sich gut, schließlich residierte in Adlershof auf diesem Gelände auch das DDR-Fernsehen. Und jetzt kommt auch noch das Westfernsehen von da – und zwar gleich doppelt.
Ziel sei es, „die führende alternative Nachrichtenquelle“ in Deutschland zu werden, heißt es bei RT. Es gehe darum, „einen Blick über den Mainstream-Tellerrand“ zu werfen und: „Mit dem deutschsprachigen Programm will RT einen Gegenstandpunkt zum einseitigen und oft interessengetriebenen Medien-Mainstream beziehen. Unser Ziel ist es, eine Gegenöffentlichkeit herzustellen sowie Medienmanipulationen aufzuzeigen.“
Ich finde das sehr verdienstvoll, vermute allerdings, ein Gegenstandpunkt zum Einseitigen wäre auch in Moskau nicht schlecht, würde aber nicht so großzügig gesponsert. Wer auf die Seite von RT schaut, findet dort tatsächlich viele Themen, die in unseren Breitengraden gerne unter den Tisch fallen. Man kann dort einen Besen aufstellen und das Publikum reißt ihn Dir aus den Händen. Das ist ja der Witz. Und von den journalistischen Standards her lassen sich viele Beiträge in den deutschen Altkanälen nicht so schnell unterbieten. Gefärbter als das, was beispielsweise nach einer Querdenkerdemo in der Tagesschau geboten wird, kann man kaum berichten. Auch nicht auf chinesisch.
Insofern wäre es für die deutschen Altmedien eigentlich ein leichtes, die neue Konkurrenz klein zu halten, indem man sich daran erinnert, wie der journalistische Auftrag lautet: „Die Rundfunkprogramme sollen der Information, Bildung und Unterhaltung gleichermaßen dienen. Wesentliche Gesichtspunkte sind die Unabhängigkeit von staatlichen Eingriffen sowie der inneren und äußeren Pressefreiheit.“ Gabor Steingarts Morning-Briefing zieht insofern ein etwas zu leichtgewichtiges Fazit:
„Bisher interessiert sich nur der Verfassungsschutz für die Aktivitäten von Russia Today. Die Politik aber schaut zu und weg, obwohl in Deutschland die „Staatsferne“ des Fernsehens im Grundgesetz verankert ist. Rechtsstaat: Bitte aufwachen!“ Bei dieser Analyse ist, denke ich, noch ein wenig Luft nach oben.
In Deutschland ist die Staatsferne im Grundgesetz verankert? Schön dass jemand sich daran erinnert. Aber Kleber-Today und Miosga-Today staatsfern? Echt jetzt? Weiterschlafen. Ich finde es immer sehr lustig, wenn der Topf dem Topfdeckel vorwirft, dass er schwarz ist.
In jedem Falle wird jetzt das große Geraune um die russische Einflussnahme auf die Bundestagswahl losgehen, weil man dann nicht über die von ARD oder ZDF reden muss. Und weil man im Windschatten der zu erwartenden Maßnahmen vielleicht ein paar aufstrebende, aber unabhängige Neumedien mitkillen kann. Das Ganze firmiert unter der neuen Kategorie "verfassungsschutzrelevanter Delegitimierung des Staates".
Der Elefant im Raum fragt dabei aber etwas ganz anderes: Wer glaubt
eigentlich, dass Putin unsere einwandfrei legitmierten und regierenden
Talente loswerden will? Da müsste Wladimir Wladimirowitsch doch mit dem
Klammerbeutel gepudert sein. Als Gerhard Schröder den Atomausstieg
ankündigte und Deutschland in die Abhängigkeit von russischem Gas trieb,
knallten im Kreml die Krimsektkorken. Als Merkel den Atomausstieg nach
Fukushima im Handstreich vorzog, floss der Wodka in Strömen. Und wenn
Baerbock das Netz zum Speicher macht, pflanzt Wladimir Putin ihr ein
Koboldbäumchen im Kremlgarten. Alles wird gut. Germany today! Maxeiner
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