Eine wundervolle Matthäus-Passion erlebte ich am Gründonnerstag 1984 in der Basilica von San Lorenzo, der Kirche, die sich ganz in der Nähe des einstigen Hauptwohnsitzes der Medici (in der Zeit Cosimos des Alten und Lorenzos des Prächtigen) befindet und in der auch die damaligen Parteigänger der Medici, die Ginori eine Seitenkapelle haben, deren Wohnsitz sich ebenfalls in der Nähe befindet, sogar heute noch, in der Via Ginori 11. Wie schon im sogenannten Mittelalter und der sogenannten Renaissance sind auch heute die immer noch vielen Kirchengemeinden nach Stadtvierteln gegliedert (zahlreich, wie in der Antike die Tempel waren, waren später die Kirchen, da die Heiligen, wie zuvor die Götter, als Spezialisten unterschiedliche Anlaufstellen für Fürbitten sind und für jedes Anliegen eine Stätte entstand), und so einige Traditionen sind noch lebendig, sogar Familientraditionen gehören dazu. Zum Beispiel speist der Monsignore, der der Gemeinde von San Lorenzo vorsteht, zu Ostern immer bei den Ginori zu Mittag, die immer noch spendet, um für Carlo Ginori Messen lesen zu lassen. Die florentinische Geschichtsverbundenheit, die man im Film "Hannibal" betrachten kann, wirkt auf deutsche Zuschauer (und andere Amerikaner und Als-ob-Amerikaner) natürlich sehr phantasievoll und kreativ oder an den Haaren herbeigezogen, aber nichts daran ist unrealistisch oder gar übertrieben, absolut nichts.
Leider ist Ostern in Deutschland, vor allem in evangelischen Gegenden, gar kein richtiges Fest, anders als in Italien und erst recht in Ländern mit orthodoxen Traditionen wie Serbien und Griechenland (man lese "Griechische Passion" von Kazantzakis, wenn man sich eine Vorstellung der orthodoxen Volksreligiösität machen möchte: Ostern ist dort wichtiger als Weihnachten). Evangelische Familien sind mit Leib und Seele dabei, wenn Adventsstimmung aufkommt, die Weihnachtszeit ist wirklich eine Familienzeit in evangelischen wie katholischen Familien, die den Namen Familie noch verdienen. Selbst die heidnischen Anklänge dieser besinnlichen Zeit leben in ihnen auf, und die lutherischen, hölzernen Charaktere lassen sich im Winter sogar von der katholischen Lust am Feiern anstecken, besonders im katholischen Franken. Aber Ostern ist traditionell kein Familienfest, sondern ein Fest der Gemeinden und der Freunde: Natale con i tuoi e Pasqua con chi vuoi, heißt es in Italien, wo Tradition noch gefühlt wird und in vielerlei Hinsicht auch noch gelebt wird. Weihnachten mit den Deinen und Ostern mit wem du willst! Ostern, besonders die Pasquetta, wie der Ostermontag genannt wird, wird mit den engeren Freunden verbracht. Man lädt einander zum Sonntagsessen ein, man macht Ausflüge in die Natur am Montag; unvergesslich bleibt mir ein Angelausflug ans Meer in Sardinien. Aber die evangelischen Familien wissen zu Ostern nicht so recht, was sie anfangen sollen. An Gründonnerstag wird Spinat gegessen, der Karfreitag ist ein gedankenlos düsterer Tag, ohne Einkehr, ohne Strich und Faden, weil es eben so sein soll, am Samstag erholt man sich davon, und wenn man Kinder oder Enkel hat, färbt man beim Aufatmen Eier. Am Sonntag Morgen lässt man eine langweilige Predigt über sich ergehen, bei der der Pastor nicht so recht weiß, was er sagen soll und langweilige Lieder gesungen werden, die - ganz anders als im Advent und zu Weihnachten! - in der Osterzeit zuhause im Familienkreis nie jemand singt. Danach kommt der von allen als Höhepunkt empfundene Moment dieser Zeit, der jedoch nicht so recht zu allem anderen, was sich in diesen Tagen aneinanderreiht passen will: die Kinder suchen die zuvor von den Erwachsenen versteckten Eier. Aber spätestens nach dem Mittagessen, das zur Abwechslung vielleicht in der Dorfgastwirtschaft stattfindet, verdichtet sich die Osterstimmung zu gelangweilter Sinnleere. Es gibt nichts, was auch nur im Entferntesten mit dem zu tun hätte, was Dante besang und was den Orthodoxen heilig ist.
Eine wundervolle Ausnahme ist der fromme, freudige, ehrliche, intelligente Peter Hahne, auch am Karfreitag.
Hinzu kommt, dass man in Deutschland auch noch angefangen hat, am Text zu Bachs Werken rumzudoktern, um den Wünschen der Rosagrünen Khmer entsprechend die ursprünglich gemeinte Botschaft zu verfälschen. Die Deutschen sind wieder mal barbarisch genug, um vor Überlieferung keine Achtung zu haben und schrecken vor nichts zurück, um ihre Zeitgeistereien umzusetzen. Selbst vor Shakespeare machen sie nicht halt, um ihn zu "adaptieren" und bekommen von Theologen mit Migrationshintergrund dafür Beifall, die darauf pochen, Bibelübersetzungen würden schließlich auch an unsere Zeit angepasst. Ich glaube nicht, dass es das außerhalb Deutschlands auch schon gibt. Aber das ist bestimmt nur eine Frage der Zeit, man will ja in Deutschland nur amerikanischer als die Amerikaner sein (und in Amerika französischer als die Franzosen, seit Sartre und sogar die Poststrukturalisten tonangebend wurden). Für die irrsinnigsten Dinge, die man sich in Deutschland ausdenkt, finden sich außerdem immer ein paar Spinner in jedem Land, die sie nachahmen und mit Extravaganz auftrumpfen werden. Seit über hundert Jahren werden gerade die talentierten Künstler von einem Überdruss angetrieben, der die Welt verhext. Deutschland zehrt von seinem einst sehr guten Ruf und exportiert heute über die Goethe-Institute prätentiösen Schund, der zuvor von der Kasseler Documenta lanciert oder katalysiert wird.
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