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Sonntag, 16. Juli 2023

Das nie Dagewesene und das ewig Wiederkehrende

An bestimmten Dingen merkt man, wie sehr wir nordeuropäischen Völker (ganz zu schweigen von den Amerikanern) immer noch sehr junge, unerfahrene Völker sind im Vergleich zu Chinesen, Indern, Italienern...

Zum Beispiel die Einfältigkeit, mit der selbst professionelle Historiker glauben, es habe ein Ius primae noctis gegeben oder dass man die Erde für eine Scheibe gehalten habe, bevor Columbus nach Amerika segelte. 

Auch die Bereitwilligkeit, mit der moderne Kulturphänomene für völlig neu und präzedenzlos gehalten werden, gehört zu dieser Einfalt. Nehmen wir das Nachkriegsphänomen der Beat Generation, der Beatniks und der Beatles. Anfänglich, 1948 nach dem Krieg, eine träumerische Attitüde, bei der „beat“ „besiegt“, „müde“, „heruntergekommen“ bedeuten sollte. Kerouac fügte dem später noch die wortspielerischen Bedeutungen „euphorisch“ (upbeat), „seligmachend“ (beatific) und in Bezug auf Musik, vor allem Bebop, auch being on the beat („im Rhythmus sein“) hinzu. 

Nachdem die Russen den Sputnik (russisch für „Mitreisender“) ins All geschossen hatten, taufte jemand die amerikanischen Träumer, die nach Bedeutungen fischten und an einer neuen Sinngebung arbeiteten, „Beatniks“. Ein weiteres Jahrzehnt später waren daraus die langhaarigen Hippies der Beatmusik und der Beatles geworden. In Nordeuropa wirkte das präzedenzlos. Aber in Italien hatte es schon Ende des 19. Jahrhunderts etwas sehr Ähnliches gegeben: die Scapigliatura. Neu war nur das Massenphänomen, dank der Massenmedien und die Lautstärke, dank der Lautsprecherboxen. Die dionysische Heftigkeit war nicht neu. Sie wirkte nur so nach 200 Jahren bürgerlicher Zurückhaltung.

Würde man die Epochen durchkämmen, stieße man wahrscheinlich auf weitere Beispiele. Denn schon Ovid war ein Vertreter dieses Menschenschlags. Nicht so sehr, weil er unter anderem die Ars amatoria schrieb, sondern vor allem auf Grund seines Lebensstils, Selbstverständnisses und Strebens. Man übersieht das leicht, weil man von Ovids Genialität geblendet ist. Denn Ovid ist nicht nur zeitgemäß unzeitgemäß, er ist außerdem auch zeitlos.

Und seine Metamorphosen haben nicht nur einen gigantischen Einfluss auf die europäische Kulturgeschichte genommen, er war sich auch noch sicher, dass sie diese Wirkung haben würden und ihn unsterblich machen; so wie Shakespeare uns in einem Sonett versichert hat, dass es ihn unsterblich machen würde. 

Diese Gewissheit ist das Erstaunlichste. Sie ist nicht nur genial, sie hat etwas Hellseherisches. Und damit ist bewiesen, dass es Dinge gibt, die vorhergesagt werden können und Menschen, die nicht auf Grund sogenannter paranormaler Fähigkeiten, sondern schlicht und einfach weil sie äußerst intelligent sind, zu Vorhersagen dieser Art im Stande sind.

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