Aber da Kohl damals Kanzler war, versuchte ich, dem unguten Gefühl keine Bedeutung beizumessen. Inzwischen weiß ich, dass Golo Mann nach dem 3. Oktober 1990 in sein Tagebuch schrieb, er habe kein gutes Gefühl... "Sie werden wieder Unsinn machen".
Und jetzt? Endlich wieder einmal Wir-Gefühl! Dank den wenigen geduldigen Menschen, die unbeugsam blieben und beharrlich an einer Gegenöffentlichkeit arbeiten, die nach 10 Jahren mühseliger Dokumentation endlich beginnt zu fruchten. Trotz niederträchtigster Verleumdungen, der denunziatorischen Beobachtung durch Kahanes großzügig mit Steuergeldern finanzierter Stiftung und der methodisch vorgehenden Einschüchterung seitens eines gleichgeschalteten Verfassungsschutzes und seitens einer medialen Kaste, an die sich die Regierungen ab 2011 immer mehr anglichen, um zum Dank dafür "gute Presse" zu bekommen.
Der kluge Kissler möchte sich nicht dazu durchringen, die Geschehnisse der vergangenen Jahre als Staatsverbrechen zu bezeichnen. Es handelt sich aber trotzdem um ein solches und nicht nur um ein Übermaß menschlicher Unzulänglichkeit.
Nur wer vermag, mit Zahlen die Wahrheit zu sagen, kann diejenigen entlarven, die Zahlen verwenden, um zu lügen.
Leider greifen Carlos A. Gebauers Analysen fast immer zu kurz (er kann nicht mal schlüssig und für jedermann plausibel erklären, was genau einen Rechtsstaat von einem totalitären Willkürstaat unterscheidet), was auch daran liegt, dass er seiner eigenen Stimme immer zuhört, als handele es sich dabei um von Rachmaninoff geschriebene Akkorde für ein neues Klavierkonzert. Aber trotzdem Glück auf!
Zum ersten Mal in meinem Leben höre ich hier in einer Radiosendung vernünftige Worte über die Französische Revolution, wirklich zum allerersten Mal. Auch zu den Geschehnissen an der Aar vor zwei Jahren hört man sachkundige Einschätzungen.
Geburtstagsfeier: 1 Jahr Kontrafunk! So sehr hatte ich mich seit dem 27. März 1994 nicht mehr gefreut, als Berlusconi die Wahlen gewann. Unvergesslich Berlusconis Ankündigung im September 1993, er bevorzuge erstens Giancarlo Fini falls Bürgermeisterkandidat Roms und zweitens sehe er sich gezwungen, selber in die politische Arena zu steigen, falls Lega und Alleanza Nazionale hinsichtlich der im kommenden Frühjahr anstehenden Parlamentswahlen nicht von sich aus einen Weg fänden, um miteinander zu koalieren. Ich hing an den Lippen des Deus ex machina, bekam nach drei Minuten eine Gänsehaut und hatte seit diesem ersten Moment die Gewissheit, dass er die Wahlen aus dem Stand gewinnen würde. Was in den Monaten danach geschah, war ein Meisterwerk, von dem man in Deutschland nie gehört hat, auch in den ersten zwei Jahren nie, als die FAZ noch wahrheitsgetreu berichtete und sogar Baget-Bozzos Standpunkt in guter Übersetzung und ohne verfälschende Auslassungen gedruckt wurde. Dieses Meisterwerk bestand darin, dass Berlusconi (der sich rar machte und selber nie während dieser ersten Wahlkampagne an Debatten teilnahm) hervorragend argumentierende Leute in die Talkshows schickte, die er 1 Jahr lang hatte schulen lassen, die mit ausgesuchter Höflichkeit auf ihre Gegner eingingen, nie polemisierten und so scharfsinnig und gleichzeitig einleuchtend in jedermann verständlicher Sprache ihre Ideen artikulierten, dass ihre Kontrahenten gezwungen waren, zum ersten Mal ebenfalls argumentativ für sich zu werben, statt sich - wie seit Jahrzehnten - hinter dem üblichen Parteichinesisch zu verstecken.
Allein dafür, dem Parteichinesisch innerhalb weniger Wochen den Todesstoß versetzt zu haben, hätte Berlusconi noch zu Lebzeiten heilig gesprochen werden müssen. Um das italienische Rechtssystem und die Verfassung zu reformieren, was sein eigentliches Ziel war, hätte man 10 Berlusconis gebraucht.
In Deutschland geht immer alles langsamer voran. 10 Jahre hat es gedauert, bis der Michel skeptisch wurde und nun endlich angefangen hat, den Medien, den Politikern und dem Verfassungsschutz das Vertrauen zu entziehen. Aber dafür kann man auch hoffen, dass die Gesinnungswende, die dadurch langsam kommen wird, mehr Gewicht haben wird.
Gelebte Seriösität - sie ist von Dauer, wenn sie nie lau ist. Stählin (Rothenburgs größter Sohn) kannte den Zauber der Banalität: „Ich möchte mein Publikum auf möglichst wenig laute, dafür aber eindringliche Art unterhalten. Den Stoff für die Stücke suche ich aus den Zwischenbereichen des Lebens zu ziehen, aus den Ritzen: Tagtraum, Schatten, Schaum, kleine Handbewegungen. Meine Aufmerksamkeit bewegt sich dort, wo das Privateste allen gemein ist, wo das Triviale ins Geheimnisvolle umschlägt. Gesellschaft suche ich dort, wo sie sich in jedem Einzelnen abspielt, Politik da wo sie eine gemeinsame Wurzel mit vermeintlich unpolitischen Lebensbereichen hat. Karl Valentin ist mein Vorbild darin, das Selbstverständliche in Zweifel zu ziehen, denn das Selbstverständliche ist die empfindlichste Seite jeder Gesellschaft […] Ich möchte, dass mein Zuhörer fühlt, wie dicht bei ihm die Grenze zum Unerforschten liegt, ja dass sie durch ihn selbst hindurch geht. Es geht darum, einige Dinge umzustoßen, die bei uns so sehr feststehen: dass Phantasie nicht präzise, dass Traum nicht konkret, dass Denken nicht sinnlich sei, dass Poesie und eine kritische Sicht der Welt nicht zusammengehören.“
Wenn man in den USA über den Zaun eines Flughafens klettert und sich auf die Landepiste klebt, muss man danach ins Gefängnis. Wenn man es in Deutschland macht, muss man danach zu Anne Will. Auch nicht angenehm.
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