Der Große Krieg der Feldheere des klassischen Staatenkrieges im 18. und 19. Jahrhundert wurde zumeist vom „kleinen Krieg“ (spanisch: „Guerilla“) begleitet, das heißt dem Einsatz kleiner selbständiger Verbände zur Abschirmung der eigenen Haupttruppen, zur weiträumigen Aufklärung und zu Aktionen im feindlichen Hinterland gegen Depots, Nachschubtransporte und Besatzungstruppen. Im letztgenannten Falle wurde dabei in der Regel eine „Hit and run“-Taktik (überraschender Überfall und anschließender schneller Rückzug) angewandt, oft von leichter Kavallerie (Husaren) oder Infanterie (Jäger), aber auch von Freikorps aus irregulären, aber unter Kontrolle des regulären Militärs stehenden Truppen.
Der Kleine Krieg war ein legitimer Teil des Staatenkrieges und endete auch mit diesem. Anders der „Volks-“ bzw. „Guerilla-“ oder „Partisanenkrieg“, der von aus der Bevölkerung rekrutierten irregulären Kämpfern auf eigene Faust geführt wird. Er hat die Tendenz, sich von staatlicher Kontrolle und überkommenen Kriegsregeln zu emanzipieren. Die Entfesselung eines irregulären Volkskrieges bildete deshalb aus der Sicht der politischen und militärischen Führung stets ein riskantes Unterfangen. In Zeiten einer deutlichen Unterlegenheit der eigenen regulären Streitkräfte war jedoch oft die Versuchung groß, darauf zurückzugreifen. Auch deutsche Militärs haben nach der Niederlage gegen Napoleon 1806 (Scharnhorst, Gneisenau) oder nach 1919 (Seeckt) solches geplant. In Frankreich senkte die Erinnerung an die „Levée en masse“ von 1793 die Hemmschwelle, zum „Volkskrieg“ überzugehen.
Bereits bald nach Beginn des Deutsch-Französischen Krieges 1870 hatte Napoleon III. zur Bildung selbstorganisierter Verbände aus Freiwilligen aufgerufen, die in kleinen Trupps die Besatzungstruppen und vor allem die deutschen Nachschublinien hinter der Front angreifen sollten. Die sich in ernster militärischer Bedrängnis befindende provisorische Regierung der französischen Republik rief ab September zum „Volkskrieg“ auf und verstärkte den Einsatz von Francs-tireurs (wörtlich: Freischützen).
Geschätzt knapp 60.000 Mann schlossen sich diesen Freischützen an, darunter auch ausländische Abenteurer und Sympathisanten. Der notorische italienische Freischärler-Führer Giuseppe Garibaldi beteiligte sich mit einem eigenen Verband italienischer Freiwilliger. Seine Leute kämpften teilweise auch gemeinsam mit regulären französischen Verbänden in offenen Feldschlachten.
Doch die meisten Francs-tireurs griffen in selbstorganisierten kleinen Gruppen deutsche Nachschubtransporte, Requisitionskommandos und kleinere Besatzungstrupps im Hinterland an und unterbrachen Bahnlinien durch Sabotageakte. Zwar erzielten sie einige wenige spektakuläre Erfolge, doch insgesamt hielt sich der von ihnen angerichtete Schaden in Grenzen. Rund 1.000 deutsche Soldaten fielen ihnen zum Opfer. Vor allem die Bedrohung der Bahnlinien bereitete der deutschen militärischen Führung erhebliche Sorgen.
Auf jeden Fall reagierte die deutsche Führung relativ hart auf den Einsatz französischer Irregulärer. Dabei spielte wohl auch eine Rolle, daß deren Einsatz in ihrer Vorstellung von legitimer Kriegführung nicht vorkam. Für die streng zwischen militärischen Kombattanten und zivilen Nichtkombattanten trennende Truppe stellte bereits die gelegentliche Beteiligung von Zivilisten an den Kämpfen im August ein Verbrechen dar, das oft durch das Füsilieren von mit der Waffe in der Hand angetroffenen Zivilpersonen geahndet wurde.
Auch die Francs-tireurs waren bei den deutschen Soldaten bald gefürchtet und verhaßt, da sie oft aus Hinterhalten heraus und ohne oder in nur schwer als solche zu identifizierenden Uniformen zuschlugen und sich danach nicht offen zum Kampf stellten, sondern sich zerstreuten und unter der Zivilbevölkerung verbargen.
Moltke gab Weisung, daß Francs-tireurs nicht zu den legitimen Kombattanten zählten, und bei Ergreifen standrechtlich zu erschießen seien. Das Problem der Ununterscheidbarkeit von feindlichen Kämpfern und Nicht-Kämpfern ließ sich dadurch nicht lösen. Aus Sorge um die Nachschubverbindungen ordnete Moltke im Oktober 1870 Geiselnahmen und Repressalien gegen Ortschaften an, aus denen heraus Angriffe und Sabotageakte gegen Bahnanlagen unternommen worden waren.
Das in der Nähe gelegene Dorf mußte Honoratioren als Geiseln stellen und Tributzahlungen leisten. Anfang November empfahl er sogar, bei Freischärler-Aktivitäten gegebenenfalls „als wirksames Mittel die Zerstörung des betreffenden Gehöfts und bei größerer Betheiligung die der gesamten Ortschaft“. Gebäude und Ortschaften, von denen man glaubte, daß von ihnen aus Freischärler Aktionen durchgeführt hatten, wurden seitdem meist niedergebrannt, ergriffene „Heckenschützen“ ohne Kriegsgerichtsverfahren sofort erschossen. In wenigen Fällen kam es auch zur Erschießung aller männlichen Einwohner im wehrfähigen Alter.
Die deutschen Repressionsmaßnahmen waren zweifellos hart und trafen viele Unschuldige. Den Einsatz von Francs-tireurs beantworteten die Deutschen mit Vergeltungsmaßnahmen, die an Formen der Guerilla- und Partisanenbekämpfung im 20. Jahrhundert erinnern. Der Krieg von 1870/71 wird deshalb oft als eine wichtige Stufe in der Eskalation des klassischen Staatenkrieges zu den blutigen Volks- und Vernichtungskriegen des 20. Jahrhunderts angesehen. Allerdings trifft das nur mit Einschränkungen zu.
Aus französischer Sicht stellte der Krieg der Francs-tireurs eine Form des legitimen Kleinen Krieges dar und endete denn auch im Januar 1871 mit dem Waffenstillstand. Es gab auch eine Art Uniform für Francs-tireurs, die aber nicht regelmäßig getragen wurde. Die deutschen Soldaten sahen die Freischärler hingegen allesamt als mit verbrecherischen Methoden aus dem Hinterhalt kämpfende Banditen an.
Viele haßerfüllte Aufrufe französischer Politiker an die Bevölkerung in den besetzten Gebieten, die Deutschen aus dem Hinterhalt heraus mit allen Mitteln gnadenlos zu vernichten, bestärkten sie in dieser Sicht. Die Deutschen erkannten die Francs-tireurs nicht als reguläre Kämpfer an und reagierten auf ihre Aktionen mit oft brutalen Repressionen, die aber örtlich begrenzt blieben.
Einen systematischen Vernichtungskrieg gegen die Daseinsgrundlagen oder gar die physische Existenz der französischen Zivilbevölkerung führten sie hingegen nicht. Der als Beobachter im deutschen Hauptquartier weilende US-General Philip Sheridan gab zwar Anfang Oktober 1870 Bismarck einen entsprechenden Ratschlag: Die Deutschen verstünden es, „einen Feind zu schlagen wie keine andere Armee, aber ihn zu vernichten, das haben sie nicht weg. Man muß mehr Rauch von brennenden Dörfern sehen, sonst werden sie mit den Franzosen nicht fertig.“ Sheridan selbst hatte bei seinem Feldzug durch das Shenandoah-Tal 1864/65 reichlich Erfahrung mit dieser Taktik zur Niederwerfung der Konföderierten gemacht und über 1.000 Quadratkilometer bewohntes fruchtbares Land in eine Einöde verwandelt.
Auch wenn einige Militärs ein härteres Vorgehen befürworteten, zur Befolgung des Ratschlages des amerikanischen Generals ließ sich die deutsche Führung nicht hinreißen. Der „Rauch von brennenden Dörfern“ blieb eine punktuelle Reaktion auf Angriffe französischer Guerillas. 1870/71 gab es weder einen gnadenlosen deutschen „Vernichtungskrieg“ noch einen nicht enden wollenden französischen Partisanenkrieg. Dag Krienen (Junge Freiheit)
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