Stationen

Donnerstag, 21. Januar 2021

Petra Gerster

Sie habe sich nie am Generischen Maskulinum gestört und sich immer mitgemeint gefühlt, aber ihre Großnichte fühle sich ausgeschlossen. Man müsse zur Kenntnis nehmen, dass Befindlichkeiten sich ändern können. Deswegen sei es sinnvoll, das Gendern einzuführen, sagt Petra Gerster.

Die kleinen Dummchen führen schon wieder die Menschinnen-Herde an. Bei den Elefantinnen dagegen sind es die Großmütter, die die Herde anführen.

Warum erklärt Petra Gerster ihrer kleinen Großnichte nicht, dass sprachliche Konstanz ein hohes Gut ist? Dass sie selten ist? Dass wir sie den Sprachrichtlinien verdanken, die schon vor Luther dafür sorgten, dass sich die Kanzleien des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation untereinander nicht falsch verstanden? Dass ohne sprachliche Konstanz die Werke unserer größten Dichter nicht mehr verstanden werden könnten? Dass sogar die Italiener ein Wörterbuch brauchen, um Dante verstehen zu können? Dass Peter Handke, Siegfried Lenz und Günter Grass auch bald niemand mehr mühelos lesen kann, wenn weiter an unserer Sprache so rumgemurkst wird, wie seit der Rechtschreibreform.



Also sprach eine öffentlich-rechtliche Textvorleserin, die soeben beneidenswerterweise die – ausschließlich an Frauen vergebene – „Hedwig-Dohm-Urkunde” des – ausschließlich aus Frauen bestehenden und deswegen nicht gegenderten – Journalistinnenbundes erhielt, unter anderem dafür, so die Urteilsbegründung, dass sie in ihren Moderationen „klug und elegant” gendere, was allenfalls zur Hälfte stimmen kann, denn es mag aus Konformismus und Hedwig-Dohm-Urkunden-Abgreifgründen derzeit klug sein, bei diesem Mumpitz mitzutun, doch dabei elegant zu wirken, ist bislang noch niemandem gelungen.

Gewöhnung also. Die braven Deutschen sind Meister*innen darin. Sie haben sich daran gewöhnt, bei jeder Gelegenheit den rechten Arm in die Luft zu reißen und „Heil Hitler!” zu rufen. Sie haben sich daran gewöhnt, Briefe mit dem „deutschen” oder dem „sozialistischem Gruß” zu unterschreiben. Sie haben sich an die Nachrichten vom Heldensterben an der Ostfront genauso gewöhnt wie an die bizarren Rituale der bundesrepublikanischen Entmännlichungsdressur. Sie haben sich an die Hässlichkeit ihrer Innenstädte gewöhnt, sie haben sich an die Zerstörung ihrer Landschaften durch Windräder gewöhnt, sie haben sich daran gewöhnt, für andere Länder oder für Migranten zu bezahlen, ohne je etwas zurückzufordern, sie haben sich an die höchsten Strompreise und die zweithöchsten Steuern Europas gewöhnt. Sie haben sich, wenn wir schon bei der Verhunzung ihrer Sprache sind, auch an das Stümper- und Stummeldeutsch der Kanzlerin gewöhnt. Sie haben solche Gewohnheiten in der Vergangenheit aber im Zuge politischer Wetterwechsel immer wieder vollständig abgelegt, um sich zur jeweils nächsten zu bekehren. Ich würde, siedelte ich steuergemästet auf dem Mainzer Märchenberg, nicht auf die Konstanz der gerade aktuellen Gewohnheiten derer daheim an den Tätervolksempfängern wetten. By the way: Der fromme Muselmann wird garantiert nicht mitgendern, und falls jemand auf die Idee kommt, den Koran in gerechter Sprache zu veröffentlichen: Viel Glück!

Was die 60 Beschwerdebriefe betrifft (sofern die Angabe stimmt): Zwar sagen derzeit viele Menschen den Wahrheit- und Qualitätssmedien und folglich auch dem Staatsfunk zum Abschied leise – also ohne Brief – Servus, doch die Zahl der Kommentare unter dem Welt-Artikel hatte rasch die Tausend überschritten, und der Tenor war eindeutig. Mögen die einen sich tatsächlich an alles gewöhnen – die anderen haben es satt. Müssten sich Gerster und Genossinnen mit ihren Beiträgen auf den freien Markt begeben und zahlte ihr Publikum nicht eine Zwangsabgabe, unsere Schelminnen würden sich daran gewöhnen müssen, auf dem Arbeitsamt zu gendern.

Die Genderei ist vor allem eines: hässlich. Es gibt keinen einzigen literarisch wertvollen gegenderten Text; im Gegenteil, Schönheit, Sinn und Lesefluss werden durch diese semantischen Poller zerstört. Unter dem Vorwand, zu differenzieren, primitiviert Gendern die Sprache. Das beginnt schon beim optischen Eindruck. Eine gegenderte Seite sieht aus, als habe ein an Durchfall laborierender Wellensittich seine Exkremente mit hochfrequenten Flügelschlägen über sie verteilt. Eine Moderatörin, die versucht, Unterstriche, Sternchen oder das Binnen‑I, diesen „orthografischen Umschnalldildo” (Lisa Eckardt), mitzusprechen, wirkt nicht elegant, sondern bescheuert, nicht klug, sondern abgerichtet. Ich habe diese Sonderzeichen einmal semantische Hijabs genannt, weil beider Sinn derselbe ist: Reviermarkierung, Raumgewinn, optische Landnahme, Herr(!)schaftsanspruch. Dass andere gezwungen werden sollen, sich diesem Ritus zu unterwerfen, sagt alles.

Der Vorstand der Stiftung deutsche Sprache hat sich vor kurzem dezidiert dazu geäußert.

Das einzige, in desto enervierenderer Indolenz vorgetragene Argument der feministischen „Sprachkritiker” lautet bekanntlich, Frauen würden durch das generische Maskulinum unsichtbar gemacht und folglich diskriminiert. Es ist aber gerade das Hauptmerkmal dieses generischen Maskulinums, dass es sich auf ganze Gruppen ohne Geschlechtsdifferenzierung bezieht: Lehrer, Sportler, Spinner. Die Sexusneutralität ergibt sich aus dem Modus der Wortbildung. Im Deutschen kann an jeden Verbstamm das Suffix ‑er angehängt werden, und schon hat man ein Substantiv, das eine Gruppe bezeichnet, deren Geschlechtsneutralität bei nichtbelebten Gegenständen (Bohrer, Träger, Schraubenzieher, Türöffner) noch niemand bezweifelt hat. Wäre -er eine männliche Nachsilbe analog zum weiblichen -in, müsste man beide einfach austauschen können, um aus dem männlichen Bohrer die weibliche Bohrin zu schaffen. Offenkundig funktioniert das nicht.

Grammatisches und biologisches Geschlecht haben nur bedingt – und auf den gesamten Wortschatz gerechnet ziemlich wenig – miteinander zu tun. Insofern ist auch die Formulierung falsch, Frauen seien im generischen Maskulinum „mitgemeint”. Wie der Linguist Peter Eisenberg festhält, ist der(!)jenige, der das generische Maskulinum verwendet, „vom Bezug auf ein natürliches Geschlecht befreit”. Diese Elementartatsache der Sprache, die niemand geschaffen hat, sondern die ein Resultat der kulturellen – und nicht nur der kulturellen – Evolution ist, wie jede Sprache, wie Sprache überhaupt, ist durch die feministische Unterstellung umetikettiert worden, grammatikalische Maskulina seien „männliche Worte” und das generische Maskulinum quasi sprachlich geronnenes Patriarchiat. Diese Hütchenspielerinnen wollen dem Publikum weismachen, ein grammatikalischer Mechanismus namens Genus sei eine „strukturelle” Diskriminierung der Frauen, denn wenn die gesamte Gesellschaft, wenn jede Brücke, jeder Turm, jede Formel, jede Wissenschaft, jedes Sportgerät, jedes Werkzeug, jede Institution, jede Firma, jedes Jobprofil, jede Sexualpraktik, ja sogar das Klima Frauen diskrimiert, dann kann das in der Sprache ja unmöglich nicht der Fall sein. „Das Maskulinum”, schreibt Eisenberg, zuletzt Professor für Deutsche Sprache der Gegenwart an der Universität Potsdam, „wurde regelrecht sexualisiert.”

Auf diese Weise ist die geschlechtsneutrale Gruppenbezeichnung „Bürger” in die Bezeichnung aller männlichen Bürger umgemogelt worden – als ob der „Bürgersaal” nicht allen 64 Geschlechtern offenstünde –, und jeder politische Redner begrüßt die Frauen im Publikum inzwischen zweimal, indem er die lieben Bürgerinnen und lieben Bürger anspricht. Wer behauptet, es gebe keinen fundamentalen Unterschied zwischen den Aussagen: „Ich gehe heute Abend zum Italiener” und „Ich gehe heute Abend zur Italienerin”, der will Ihnen eine Bärin aufbinden (im Fall zwei könnte es sich übrigens empfehlen, eine Pariserin einzustecken).

„Da Sie meine Stimme hören wollen, beeile ich mich, zu erklären, daß ich mich auf die Seite der Opponenten gegen diese geplante Verarmung, Verhässlichung und Verundeutlichung des deutschen Schriftbildes stelle”, erwiderte Thomas Mann im Juni 1954 auf eine Umfrage der Zürcher Weltwoche zu den sogenannten „Stuttgarter Empfehlungen” für eine Vereinfachung der deutschen „ortografi” (auch Hesse und Dürrenmatt sprachen sich weiland gegen solche Pläne aus). „Mich stößt die Brutalität ab, die darin liegt, über die etymologische Geschichte der Worte rücksichtslos hinwegzugehen.” Brutalität ist die treffende Assoziation. Es ist die Brutalität von ideologisierten Gesellschaftsumstürzern und Sozialingenieuren, die das kulturell Gewachsene nur als Ballast und als ein Hindernis für ihr eigenes Vorankommen betrachten. Was Mann, Hesse und Dürrenmatt zum Gendern sagen würden, liegt auf der Hand, aber alte weiße Suprematisten sollten besser ihre alte weiße Suprematistenfresse halten.

Ein anderes Stilmittel der Genderistas, um den Katafalkdeckel sprachstruktureller Benachteiligung von ihrem zarter konstruierten Geschlecht zu wälzen, ist das substantivierte Partizip I. Die feministische Frisierende mag keine Lebensschützenden. Die Preistragenden bedankten sich bei den Gutachtenden. Abends im Lokal traf ich einen meiner Dozierenden. Die Richtenden verhängten ein mildes Urteil über den Raubenden. Die Straftuenden-Statistik wäre armselig ohne die Geflüchteten. Im Gefängnis saß ein Vergewaltigender in einer Zelle mit einem Gliedvorzeigenden (tatsächlich waren sie gerade Kartenspielende). „Sind Sie Rauchender?”, fragte ein Verbindungsstudierender – das ist übrigens weder jemand, der die Verbindung Berlin-München studiert, noch ein Eheberatender –, dem man nachsagte, ein Trinkender zu sein. Wer ist Ihr Lieblingsschauspielender?

Auch in dieser Frage ist das Urteil der Linguisten längst gefällt, wobei das der Zurechnungsfähigen bereits genügt hätte. Alle diese Formen sind semantisch unsinnig, wenn sie nicht eine Tätigkeit meinen, die jetzt, in diesem Augenblick, ausgeübt wird. Ein Blogger hat dazu das ultimative Gleichnis geliefert: Ein sterbender Studierender stirbt beim Studieren; ein sterbender Student kann auch im Schlaf oder beim Wandern sterben.

Wenn offenkundiger Nonsens Anhänger und Verfechter findet, bis ins Staatsfernsehen, in die Stadtverwaltung von Hannover, in die Universitäten, Schulen, Stiftungen, NGOs und so ad nauseam weiter, wenn etwas Widersinniges, Hässliches, Unhandliches und im Kern Destruktives mit hohem moralischem Erpressungsdruck in die Öffentlichkeit gepresst wird, dann geht es nicht um die Sache selbst, dann ist sie nur Mittel zum Zweck.

Deswegen perlt jede Kritik, jede Satire, jeder Spott an diesen Sprachklempnern ab. Deswegen interessieren auch die Einwände von Linguisten nicht. Es geht nicht um Argumente. Es geht nicht einmal um Sprache. Es geht um Macht.


Übrigens: Petra Gerster, heißt es in der Bildunterschrift über dem Welt-Artikel, „kritisiert, auch in Nachrichtenfilmen träten immer noch zu wenige Frauen auf.”
Wen genau mag sie damit kritisieren? Die Frauen? Die Gesellschaft? Die Nachrichten? Allah?

PS: „Heute hörte ich einen Mann, der vorbildlich gegendert hat”, schreibt Leserin***. „Er kommentierte den Abschied von Donald Trump. Als dieser und seine Frau in die Air Force One stiegen, sagte der Kommentator: ‚Melania looks amazingly stunning.’ Er sagte es mit der gebotenen Hingerissenheit und Ehrfurcht. So geht Gendern korrekt. Solange es noch Männer gibt, die das so sagen, ist noch nicht alles verloren. Solange es noch Frauen gibt, die so aussehen, ist noch nicht alles verloren.
Make women great again.”     MK

PPS:


 


Der Verein Deutsche Sprache hat die Dudenredaktion aufgefordert, ihr Online-Nachschlagewerk nicht gendergerecht umzuarbeiten. Eine entsprechende Online-Petition, die am vergangenen Freitag startete, wird bereits von Erstunterzeichnern wie dem Publizisten Henryk M. Broder, dem Schriftsteller Uwe Tellkamp und dem ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse unterstützt.

Auch die Namen von Birgit Kelle, Peter Hahne, Prinz Asfa-Wossen Asserate, Peter Hoeres, Gloria Fürstin von Thurn und Taxis, Josef Kraus und Phillip Plickert finden sich unter dem Aufruf.

Der Duden hatte angekündigt, mehr als 12.000 Personen- und Berufsbezeichnungen mit weiblicher und männlicher Form auf seinem Onlineauftritt aufzunehmen. Mit diesem Schritt schafft die Dudenredaktion praktisch das generische Maskulinum ab. Die Konsequenz daraus ist, daß beispielsweise unter einem Mieter oder einem Bäcker zukünftig ausschließlich eine männliche Person zu verstehen ist. Auf Frauen bezieht sich dieser Begriff dann folglich nicht mehr.

Damit widerspreche der Duden nicht nur den Regeln der deutschen Grammatik, sondern auch dem Bundesgerichtshof, prangert der Verein Deutsche Sprache an. Dieser habe im März 2018 letztinstanzlich festgehalten, daß mit der Bezeichnung „der Kunde“ Menschen jeglichen Geschlechts angesprochen seien.

Apropos Sprachregelung: „Wo wollnsn hin? – Ostberlin. – Fahrnse ma reschts ran! – —— 30 Minuten——- Nu, hamses sischs überleescht? – Berlin, Hauptstadt der DDR. – Nu warumn nisch gleisch? Gude Weiterfoahrt.”
 

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