So hoch wie nur möglich musste man über das Sonnenwendfeuer springen, um eine unserer ältesten Kulturpflanzen zu animieren, besonders hoch zu wachsen:
der Lein.
Neben unseren diversen Getreidearten und der Kartoffel ist der Lein wohl eine unserer kulturhistorisch bedeutsamsten Pflanzen. Dabei ist dieses auch als Flachs bezeichnete ein- bis zweijährige Kraut bereits derart lange in menschlicher Kultur, dass man heute weder seine eigentliche Heimat noch die Herkunft seines Namens eindeutig herleiten kann. Der ursprüngliche Wortstamm „lin“ lässt sich sowohl im Germanischen (althochdeutsch: lîn) als auch im Griechischen (linon), im Lateinischen (linum) sowie im Slawischen (z.B littauisch: linai) finden. Der gemeingermanische Begriff Flachs kann vielleicht auf das griechische „plékein“ (deutsch: flechten) zurückgeführt werden.
Als Wildblume tritt der Lein (botanisch: Linum usitatissimum) eigentlich nur dort in Erscheinung, wo er als Faser-, Saat- oder Ölpflanze im Feldanbau gehalten wird. Hier gelingt es einigen Pflanzen, in nahe Getreidefelder, Gärten, auf Schuttplätze oder an Wegränder auszubrechen. Bleibt der Anbau aus, verschwindet der Lein nach wenigen Jahren auch aus der freien Natur.
Die zur Blütezeit himmelblauen Felder waren unseren Vorfahren noch ein vertrauter Anblick, ebenso das Bild der nach der Ernte aufgebauten Flachsbündel auf dem Feld. Über Jahrtausende war das aus der Pflanze gewonnene Leinen, neben dem Hanf und der Wolle unsere wichtigste Naturfaser, wobei insbesondere das deutsche Leinen weltweit einen sehr guten Ruf hatte. Allerdings war die Gewinnung der Faser in alter Zeit mit erheblichem Arbeitsaufwand verbunden. Einige der dabei anfallenden Arbeitsschritte, wie das Raufen, Riffeln, Brechen, Schwingen und Hecheln, sind uns heute noch geläufige Begriffe, wenn auch zum Teil mit abgewandelter Bedeutung.
Die Fahrt ins Blaue... Gemäß einer heute strittigen Version sollte diese Redewendung einen Ausflug aus der Stadt hinaus zu den himmelbauen Feldern bedeuten. Heute neigen die Sprachexperten dazu, das Blau als naheliegende Seen zu interpretieren. Schade, ich empfinde die erste Version romantische
Mit dem Ende des 18. Jahrhunderts verlor der Flachs zunehmend an Bedeutung. Eine andere Naturfaser, die Baumwolle, überrollte aus Amerika die europäischen Märkte. Durch die dortigen billiger gewordenen Ernte- und Verarbeitungsmethoden (Einsatz von Sklaven und Maschinen) wurde dieses Garn auch hierzulande bezahlbar. Zudem hatte diese Faser einige vorteilhafte Eigenschaften (leichtere Färbbarkeit, keine Neigung zum Knittern). Erst seit 1986 wird Leinen wegen seiner zunehmenden Bedeutung als nachwachsender Rohstoff in Deutschland wieder angebaut.
Neben den aus den Stängeln gewonnenen Fasern ist das aus der Saat gepresste Leinöl von hohem Wert, nicht nur als Speiseöl. Auch als Polieröl zum Härten von Holzoberflächen oder zur Herstellung des Linoleums (aus dem Lateinischen, wörtlich: Leinöl) als Bodenbelag findet es Verwendung. Die Leinsamen
selbst dienen als Ganze, in gequetschter oder abgekochter Form als heilbringendes Mittel bei diversen Verdauungsstörungen.
Selbstverständlich hatte eine so bedeutsame Pflanze auch Eingang ins Brauchtum unserer Ahnen gehalten, insbesondere im so genannten Saat-Aberglauben.
„So hoch man springt, so hoch soll der Flachs werden“ glaubte der Volksmund. Sei es nun der Bauer beim Fastnachtstanz, die Hausfrau vom Tisch herunter oder ein mutiger Sprung des Burschen über das Sonnenwendfeuer, je höher man sprang, desto besser sollte die Leinernte werden.
Die Leinsaat galt, wie viele Kornfrüchte, als Symbol für Fruchtbarkeit. Und nur die Frau, als Trägerin der menschlichen Fruchtbarkeit, sollte dies dem Lein während dessen Aussaat vermitteln können. Und so hatten gefälligst die Frauen diese Arbeit zu erledigen. Waren wir Männer je um Ausreden verlegen?
Foto und Text: Wolfgang Stein, Universität des Saarlandes
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