Russlands Präsident Putin droht gerade Finnland und Schweden. Sollten sie der Nato beitreten, wütet der Kreml, drohten „politische und militärische Konsequenzen“. Derweil tobt in der Ukraine ein Bodenkrieg, der die Frage aufwirft, ob sich der entfesselte Kreml-Herrscher mit seiner Invasion, die in diesem Ausmaß viele überrascht, verkalkuliert hat.
Unsere Politiker und Medien schießen sich auf Putin ein. Sie sehen in ihm den alleinigen Schuldigen, den fürchterlichen Diktator und Aggressor. Einige Zeitungen glauben anhand seiner wilden Fernsehauftritte, demagogisch unterlegt mit fratzenhaften Porträtbildern, bereits Züge des klinischen Wahnsinns zu erkennen. Putin, der neue Hitler?
Krieg ist wieder eine Realität in Europa. Der überwunden geglaubte Kalte Krieg zwischen dem Westen und dem Osten ist zurück. Die Welt formiert, verbetoniert sich wieder in festgefügte Blöcke. Man spürt es in der Luft. Jedes um Differenzierung bemühte Wort wird lauernd als falsche Parteinahme gedeutet. Man ist entweder einer von „uns“ oder einer der anderen, also ein Feind.
Die Weltwoche macht hier nicht mit. Sie steht für ein nonkonformistisches, blockfreies Denken, das sich in die Frontenbildung nicht hineinziehen lässt. In bester schweizerischer Tradition haben wir das Ziel friedlicher Koexistenz und der schlussendlichen Verständigung. Das Privileg der Neutralität eröffnet die Möglichkeit einer über das Kriegsgetümmel hinausweisenden Übersicht.
Was jetzt auf der Welt passiert, ist die Folge tragischer Fehler auf beiden Seiten. Natürlich ist Putin der unmittelbare Aggressor. Er hat ohne akute Bedrohung den souveränen Staat Ukraine überfallen und bedroht jetzt die ganze westlich-europäische Ordnung. Nichts rechtfertigt diesen brutalen Bruch des Völkerrechts und die Vergewaltigung des historisch leidgeprüften ukrainischen Volks.
Ich kann allerdings dem Westen große Vorwürfe nicht ersparen. Unter Führung der Amerikaner wurde nach dem Fall der Berliner Mauer die große Chance verpasst, Russland zu einem Verbündeten zu machen. Die Kommunisten waren weg, Putin strebte nach Westen, doch die Amerikaner, die Nato und die EU dehnten ihre Macht, ohne die Russen einzubeziehen, immer weiter nach Osten aus.
War es ein Plan? Oder Leichtsinn? Vielleicht beides. Die Russen jedenfalls fühlen sich nicht ernst genommen und schlagen jetzt mit voller Kraft zurück. Gewaltsam holen sie sich die Nato-freie Pufferzone, die man ihnen auf dem Verhandlungsweg nicht zugestehen wollte. Wo der russische Vorstoß endet, hängt ab von der Gegenwehr des Westens.
Natürlich muss auch die Nato- und EU-Osterweiterung differenziert gesehen werden. Die einst sowjetisch geknechteten Länder im Osten Europas wollten dem russischen Einfluss entkommen. Sie drängten in die EU, in die Nato. Wie hätte man ihnen diesen Wunsch abschlagen können? Der Fehler des Westens war, dass er die russischen Interessen und Warnungen überheblich in den Wind schlug.
Aus der Geschichte haben wir gelernt: Es kommt nie gut heraus, wenn man ein Land demütigt und seine Schwäche ausnützt. Das haben die siegreichen Alliierten nach dem Ersten Weltkrieg gegenüber Deutschland getan. Das hat der Westen, das haben die Amerikaner nach dem Kalten Krieg gegenüber Russland getan. Kränkungen rächen sich. Meistens werden sie mit blutigen Zinsen zurückbezahlt.
Es gab warnende Stimmen auch im Westen, von Anfang an. Am berühmtesten ist die Kritik des großen amerikanischen Diplomaten George F. Kennan, der 1997 die Nato-Ostausweitung als den „verhängnisvollsten Fehler“ der US-Aussenpolitik seit dem Mauerfall bezeichnete. Ihn unterstützten in einem offenen Brief an Präsident Clinton über 40 namhafte US-Politiker, Militärs und Diplomaten.
Kennans Worte waren leider visionär: „Die amerikanische Machtausdehnung bis an die Grenzen Russlands lässt erwarten, dass die nationalistischen, antiwestlichen und militaristischen Tendenzen in der Meinung Russlands entzündet werden, dass sie einen schädlichen Einfluss auf die Entwicklung der Demokratie in Russland haben, dass sie die Atmosphäre des Kalten Krieges in den Beziehungen zwischen Osten und Westen wiederherstellen und die russische Aussenpolitik in Richtungen zwingen, die uns entschieden missfallen werden.“
Erstaunlich lange blieben die Russen duldsam. Den Bruch brachten die westlichen Einmischungen in die Ukraine. Kann man es den Russen verargen, dass sie die Aussicht auf US-Atomraketen vor der eigenen Haustür in Alarm versetzen musste? Selbst die Deutschen, die es hätten besser wissen müssen, schickten ihren damaligen Aussenminister Steinmeier nach Kiew, um die Ukrainer mit dem Geld und den Waffen des Westens zu locken.
Man kann hier rückblickend nur von epochalen Dummheiten sprechen. Das westliche Ausgreifen nach Osten war doppelt fahrlässig. Zum einen blendete man die russischen Sicherheitsinteressen sträflich aus. Zum anderen frönte man einer linksgrün inspirierten Politik der steten militärischen Selbstentwaffnung. Es ist immer gefährlich, einen Bären zu reizen. Ihn ungeschützt zu reizen, ist selbstmörderisch.
Nochmals: Nichts davon rechtfertigt Putins Verhalten, aber der Westen hat nach Georgien erneut einem Land aus der alten russischen Einflusssphäre in Eurasien falsche Hoffnungen auf eine Annäherung gemacht. Erst dadurch fühlten sich die westlich gesinnten Ukrainer ermutigt, die Konfrontation mit Moskau zu wagen. Auf beschämende Weise lässt sie der Westen nun im Stich.
Mit scheinheiligem Zorn schauen unsere Medien und Politiker auf die Ukraine. Sie übersehen das viel größere Unheil am Horizont. Durch die dumme, militärisch impotente Machtausdehnung nach Osten hat die westliche Seite die Russen in die Arme der Chinesen getrieben. Die neue Achse Peking-Moskau wird die westliche Ordnung erschüttern, möglicherweise aus den Angeln heben.
Die Tragik ist, dass sich der Westen das alles selber eingebrockt hat. Er ist der Architekt seines denkbaren Untergangs. Russland und China sind alles andere als natürliche Verbündete, eigentlich Feinde, aber die Kurzsichtigkeit des Westens hat sie zusammengeführt. Das ist hier das wahre Verhängnis. Niemals hätte sich der Westen die Russen zu Feinden machen dürfen.
Doch der Bär ist von der Kette, massiv gestärkt durch das mächtige, geduldige China. Gleichzeitig ist die westliche Seite so schwach wie nie. Die Amerikaner rannten in Afghanistan davon. Die EU wird von Neulingen regiert und einem feingliedrigen Franzosen. Biden, Boris, Baerbock und Macron stehen gegen Putin, Lawrow und Xi Jinping. Wer wettet noch auf diesen Westen?
Der frühere US-Präsident Donald Trump hatte die Gefahren klar erkannt. Deshalb mahnte er die Nato-Staaten, ihre Rüstung endlich hochzufahren. Gleichzeitig bemühte er sich um gute Beziehungen zu Putin. Die Medien verhöhnten, verketzterten ihn. Seine eigene Partei fiel ihm in den Rücken. Doch Trump lag richtig. Auch die Amerikaner brauchen starke Verbündete. Jetzt sind sie ziemlich allein.
Die geopolitische Erdachse verschiebt sich. Russland und China werden ihren Einfluss ausdehnen. Wer hindert die Chinesen noch daran, Taiwan einzustecken? Putin greift nach dem Balkan. Afrika ist auf dem Weg zu einer chinesischen Rohstoffkolonie. Das US-Imperium wankt wie einst das Römische Reich. Sogar Europa droht unter den Einfluss der russisch-chinesischen Seite zu gelangen.
Die Situation ist ernst. Putins Auftrumpfen entlarvt die Ohnmacht seiner Gegner. Vielleicht wachen sie jetzt auf. Der Westen muss wieder über Panzer, Energie und Wirtschaft sprechen statt über Windräder und Gendertoiletten. Die Zeiten werden härter. Solide politische Werte kehren zurück. Die rotgrüne Scheinwelt bricht zusammen. Das ist die gute Nachricht, aber auch die einzige.
Für die Schweiz gilt: Sicherheit und Freiheit unseres Landes müssen endlich wieder höchste Priorität bekommen. Der jahrzehntelange fahrlässige Raubbau an unserer Armee muss aufhören. Aufrüstung heißt die Devise. Der Kalte Krieg ist wieder da. Der Bundesrat muss zurück zur unbedingten, immerwährenden bewaffneten Neutralität der Schweiz.
In den Stürmen der Gegenwart darf die Schweiz keinesfalls Partei ergreifen. Die Sanktionen gegen Russland sind ein Fehler. Der Bundesrat muss das Gesuch für einen Schweizer Sitz im Uno-Sicherheitsrat sofort zurückziehen. Der Sicherheitsrat entscheidet über Krieg und Frieden. Seine Mandate sind bindend. Die Schweiz würde verarmen und zerrissen im neuen Kalten Krieg.
Neutralität ist anspruchsvoll. Der Druck, sich auf eine Seite zu schlagen, ist enorm. Widerstand braucht Kraft und Überzeugung, die Schönwetterpolitikern fehlt. Im Ton des Kolonialherrn fordert der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell die Schweiz bereits zur Teilnahme am Wirtschaftskrieg gegen die Russen auf. Der Bundesrat knickt weitgehend ein. Er scheitert an der ersten Bewährungsprobe unserer Neutralität.
Dabei wäre die Schweiz prädestiniert, zu einer Lösung beizutragen.
Der Westen hat alles Interesse an guten Beziehungen mit Russland. Dazu
gehört, dass man die eigenen Fehler sieht und die Sicherheitsinteressen
Russlands endlich ernst nimmt. Nur eine strikt neutrale Schweiz kann
helfen, den Beton der Kriegsfronten aufzubrechen. Eine Rückkehr zur
friedlichen Koexistenz bleibt das Gebot der Stunde. Roger Köppel
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