„In letzter Zeit war viel von sexuellen Belästigungen zu lesen“, begann Larry David 2017 einen Monolog in der Comedy-Show Saturday Night Live.
Das Thema war #MeToo, er setzte fort: „und ich konnte nicht umhin, ein beunruhigendes Muster zu erkennen, nämlich, daß viele der Täter… nicht alle, aber viele von ihnen…“ Nun biß er die Zähne zusammen, legte händeringend die Stirn in Falten und spie es aus: „…Juden sind! Dazu habe ich drei Worte zu sagen: Oy vey is mir!“.
David, Vertreter eines dezidiert jüdischen Humors, fuhr fort:
Ich mag es nicht, wenn Juden aus negativen Gründen in die Schlagzeilen geraten. Ich will lesen: Einstein entdeckt die Relativitätstheorie! Was ich nicht lesen will? Weinstein hat ihn herausgeholt!
Ein Jahr später erzählte die österreichische, goyische Komikerin Lisa Eckhart einen ähnlichen Witz. In ihrem charakteristisch affektierten Stil zählte sie zungenschlagend ein paar Namen auf:
Harvey Wein-stiehn… Roman Polanski… Woody Allen, geborener Allen Königsberg… Kann man deren Filme noch guten Gewissens schauen? Wo wir nun doch schmerzlich wissen, daß es sich bei diesen drei allesamt um…
Eckhart holte tief Luft, kniff die Augen zu.
Na, ich mag es gar nicht sagen. Und als wär das nicht schlimm genug, belästigen sie auch noch Frauen! Finden Sie dieses #MeToo nicht auch – antisemitisch?
Munter legte sie noch ein paar Scheite nach, und führte ihren Monolog in die Sackgasse der politisch korrekten Opferhierarchie: Was tun wir, fragte sie, „wenn die Unantastbaren beginnen, andere anzutasten?“ Es versteht sich von selbst, daß Eckhart für diese Nummer „Antisemitismusvorwürfe“ kassierte.
Unterschieden durch die Perspektive des Sprechers basierten Davids und Eckharts Stand-up-Monologe auf dem Tabubruch, im Verhalten von Juden und anderen Minderheiten bestimmte „Muster“ wahrzunehmen und auszusprechen. „Darf“ denn nun auch ein Nicht-Jude Juden kritisieren oder sich gar über sie lustig machen? Haben wir es im einen Fall zwangsläufig mit „verbotenem“ Antisemitismus, im anderen mit „erlaubter“ ironischer Selbstkritik zu tun? Wann schlägt der jüdische Witz in den „Judenwitz“ um? Zu dieser Frage findet sich in der vorliegenden kulturhistorischen Studie des jüdisch-kanadischen Akademikers Louis Kaplan reichliches Material.
Exemplarisch ist die Kontroverse um Salcia Landmanns Bücher Der jüdische Witz (1960) und Jüdische Witze (1962), die in der frühen Bundesrepublik Bestseller mit hohen Auflagen waren. Der jüdische Schriftsteller Friedrich Torberg warf seiner Stammesgenossin nicht nur vor, „antisemitische Stereotype“ zu reproduzieren, sondern stieß sich auch an ihrem unbefangenen Gestus, der eine verfrühte und falsche Versöhnungsstimmung zwischen Juden und Deutschen aufkommen lasse.
Die „Witztrauer“, so Kaplan, wird aus dieser Sicht „als ein Verfahren beschrieben, das sich der Vergangenheitsbewältigung widersetzt“. Hier spitzt der Leser der Sezession die Ohren und erinnert sich an die Freundschaft Landmanns zu Armin Mohler und ihre Mitarbeit an der Zeitschrift Criticón.
Es trifft zu, daß der klassische jüdische Witz viele Vorwürfe der Antisemiten widerspiegelt: Häufig drehen sie sich um die Oberflächlichkeit und „Mimikry“ der Assimilation, um den „luftigen“, „entwurzelten“, merkurialen Geist, der zu seiner Umwelt im Verhältnis der permanenten, mitunter nihilistischen Ironie steht oder auch um das Klischee des abgefeimten jüdischen Geschäftssinns. Seiner Nuancen beraubt und ins Gehässige gedreht, diente der jüdische Witz der NS-Propaganda als grobsatirische Waffe und beredtes, vernichtendes Selbstzeugnis.
Hier kommt es zu unerwarteten Überschneidungen: So erfahren wir von Kaplan, daß sich der NS-Ideologe Siegfried Kadner, Autor des Buches Rasse und Humor, und Gershom Scholem darin einig waren, daß dem jüdischen Witz eine „talmudische“ Denkweise zugrundeliege.
Der jüdische Schriftsteller Erich von Kahler, ein Freund Thomas Manns, postulierte einen tiefsitzenden Unterschied und Konflikt zwischen „jüdischem Intellektualismus“ und „deutscher Körperlichkeit“, der jüdische Marxist Eduard Fuchs, Herausgeber der Sammlung Die Juden in der Karikatur, stand nach Kaplan „unter dem Einfluss der stereotypen Vorurteile über Juden, Geld und Kapitalismus“ im Gefolge von Marx und Sombart.
Als Kronzeugen des „jüdischen Selbsthasses“ dürfen natürlich auch die eher humorlosen Wiener Otto Weininger und Arthur Trebitsch nicht fehlen. In Kaplans Buch selbst werden nur wenige Witze zitiert, die er dann auch noch auf eine äußerst umständliche Weise zu Tode „erklärt“. Beispielsweise diesen: „‘Haben Sie schon gehört? Der Davidl Bramson will sich taufen lassen!’ – ‘Das ist echt jüdisch!’“, kommentiert Kaplan so:
Die komplexe transformative Logik dieses witzigen Austauschs erzählt von einer authentisch/nichtauthentischen jüdischen Erfahrung und konstatiert allein schon in ihrer Antithese einen Aspekt jüdischer Identität.
Sätze dieser Art lesen sich beinahe ungewollt parodistisch und machen die Lektüre des Buches mitunter zur eher zähen Angelegenheit. Was nun zeitgenössische jüdische Vertreter eines „transgressiven“ Humors wie den eingangs erwähnten Larry David, Sacha Baron Cohen oder auch Milo Yiannopoulous angeht, so erscheinen sie Kaplan nicht ganz koscher, weil sie „Potential für antisemitische Spötteleien“ bieten. Sorgen bereiten ihm auch die „ironischen Nazis“ der Alt-Right, die sich in „Trumps Amerika“ breitgemacht haben, eine Pose, die sie seiner Meinung nach den „sich selbst ironisierenden Juden“ abgeguckt haben. Lichtmesz
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Louis Kaplan: Vom jüdischen Witz zum Judenwitz. Eine Kunst wird entwendet, 300 S., 44 € – hier bestellen
Wer ein gutes Buch über jüdischen Humor lesen will, ist mit Jan Meyerowitz immer noch am besten bedient.
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