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Dienstag, 8. Februar 2022

Beneidenswerte Neutralität gegenüber tagespolitischen Querelen

Kryptomonarchisten, von denen es in unseren europäischen Republiken mehr gibt, als man meinen würde, beneiden die Briten um ihre Verfassung. Für den Fall, dass Gott die Queen doch einmal abberufen sollte, steht längst fest, wer ihre Nachfolge antreten wird. Kurz wurde darüber diskutiert, ob die Herzogin von Cornwall, wenn der Prince of Wales den Thron besteigt, als „Queen Consort“ gekrönt werden soll. Die Königin entschied, dass Camilla diese Ehre zusteht, und damit endete die Debatte. Bei all den Zores rund um die Skandalnudel Boris Johnson und die Brexit-Folgen bleibt den Briten die Qual einer Präsidentenwahl erspart. Die Monarchie, die eine bewundernswerte Neutralität gegenüber den tagespolitischen Querelen auszeichnet, mag aus der Zeit gefallen sein. Aber das erklärt ihre Stabilität, und vielleicht besteht gerade darin auch das Geheimnis ihrer Popularität.

Am anderen Ufer des Ozeans liegt die Präsidialrepublik Costa Rica, gewissermaßen das Gegenmodell zur britischen Mischung monarchischer, oligarchischer und demokratischer Elemente. Die Verfassung hat ein Sicherheitsventil gegen präsidentielle Diktaturen eingebaut, indem sie eine direkte Wiederwahl des Staatsoberhauptes verbietet. Gleich, ob sich ein Präsident bewährt hat oder nicht, er muss vier Jahre lang warten, bis er noch einmal antreten darf. Am Sonntag fand die erste Runde der Präsidentenwahl statt, an der 25 (!) Kandidaten zur Auswahl standen. Die Stichwahl erfolgt im April. 
 
In den Republiken Italien, Deutschland und Österreich werden 2022 ebenfalls Präsidenten gewählt. Mentalitätsmäßig liegen die Kontinentaleuropäer zwischen dem monarchischen Phlegma der Briten und der republikanischen Leidenschaft der Lateinamerikaner. Sie haben Präsidenten, die stets behaupten, sich allen Bürgern verpflichtet zu fühlen, und die dennoch unbeirrt ihre eigene politische und ideologische Agenda verfolgen. Alexander Van der Bellen ist durch und durch ein Grüner, Frank-Walter Steinmeier ein gestandener Sozialdemokrat, Sergio Mattarella ein Christdemokrat alter Schule, dem nur leider die Democrazia Cristiana abhanden gekommen ist. Während Steinmeier und Van der Bellen eine Wiederwahl anstreben, verwahrte sich Matttarella dagegen vergeblich. Der 80 Jahre alte Mann wurde gezwungen, in weitere sieben Jahre im Quirinal einzuwilligen, weil sonst die heterogene Koalition zerfallen wäre, auf die die Regierung Draghi angewiesen ist.
Steinmeier, der an diesem Sonntag von der Bundesversammlung gewählt wird, und Van der Bellen, dessen Wahl im Herbst ansteht, haben ihren Sieg schon jetzt in der Tasche. Die ÖVP, die seit dem Abgang von Sebastian Kurz wieder in altschwarzer Verzagtheit versinkt, arrangiert sich lieber mit einem grünen Präsidenten, statt einen eigenen Kandidaten zu nominieren. Ungeachtet aller Versprechen, nach dem Debakel bei der Bundestagswahl zu ihren Wurzeln zurückzukehren und einen Neustart zu wagen, hat auch die CDU/CSU die Chance verpasst, Steinmeier die Suppe zu versalzen. Falls es noch konservative Politiker geben sollte, die als Gegenkandidaten in Frage kämen, werden sie nicht aufgestellt, weil die Parteien der Mitte mittlerweile wenig mehr fürchten als den Vorwurf des Populismus.
Seit in Österreich italienische Verhältnisse eingerissen sind, käme es hier besonders darauf an, das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Justiz vor den parteipolitisch motivierten Seilschaften in ihren eigenen Reihen zu schützen. Es wäre hilfreich, Präsidenten zu haben, die gegebenenfalls auch einmal gegen den Strom schwimmen. Man würde ihnen gerne zuhören, wenn sie erklärten, wie wichtig das Recht der Bürger auf Eigentum und Privatsphäre für die Wahrung der Freiheit und des Friedens in der Gesellschaft ist, und warum Grundrechte auch in einer Pandemie nicht zur Disposition gestellt werden dürfen.   Karl-Peter Schwarz

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