Die Tante Veganerin

 

 

 

Schon die Frage "Kann ich sie widerlegen?" ist abwegig. Die richtige Frage lautet: "Kann ich sie von ihrem Glauben abbringen?". Man kann keinen Glauben widerlegen. Man kann nicht einmal jede philosophische Ansicht widerlegen. Nur wissenschaftliche Hypothesen kann man widerlegen. Wenn sie nicht - zumindest potentiell, also im Prinzip - widerlegbar sind,  sind sie zwar immer noch Hypothesen, aber keine wissenschaftlichen.

Es ist schade um Feroz Khan. Raffaela Raab hat ihn zur Strecke gebracht. Befegt. Bekehrt. Obwohl Liebe durch den Magen geht.

Sie war ihm gleich sympathisch, weil sie, genau wie er, Ekel gegenüber dem Konformismus empfindet. Diesem Gefühl der Sympathie nachgebend wurde er zu Raffaelas Sympathisant, was seine Urteilsfähigkeit mindestens trübte. Sie ist zwar nicht ganz so unsympathisch wie Luisa Neubauer, aber wie diese macht auch sie begreiflich, wie es zu den Hexenverbrennungen der Renaissance und der sich anschließenden kopernikanischen Zeitenwende kam. Obsessive Fanatikerinnen provokativer Selbstdarstellung sind nämlich nicht allen sympathisch. So eine  affektierte Gemüsemörderin, die es genießt, wenn die Pflanzen bei der Ernte markerschütternd auf so hoher Frequenz schreien, dass nicht mal Hunde es hören können, müsste man wie der Dr. Lecter in die Speisekammer bringen, aber diese Gemüsequälerin und -mörderin schmeckt wahrscheinlich nach Zellulose. "Leben heißt töten", aber es ist gemütlicher, nicht seinesgleichen zu fressen und dank unserer Tradition wissen wir glücklicherweise, welche Tiere (und Gemüse) gut schmecken und welche nicht. Der Veganismus ist nicht rechtfertigbar und sie hat natürlich nicht recht. Sie ekelt sich nur vor ganz anderen Dingen als ich. Jede Moral wurzelt letztendlich in einem Gefühl des Ekels. Ich ekele mich vor Antikonformisten und Veganern, Raffaela vor Konformisten und carnivoren Sarkophagen. Alle unsere Konventionen haben als Urursache ein Ekelgefühl. Aber der subjektive Ekel Raffaela Raabs ist keine Rechtfertigung des Veganismus, er ist nur der Grund, weshalb SIE Veganerin ist. Genau so, wie die Symphonie der von mir orchestrierten Ekelgefühle mich zu dem macht, was ich bin. 

Der zweite fundamentale Fehler, den Feroz begangen hat, besteht darin, dass er Raffaela beschützt. Er gesteht ihr zu, die carnivoren Sarkophagen nicht nur zu beschuldigen, sondern auch zu beleidigen und gleichzeitig appelliert er an die carnivoren Sarkophagen, Raffaela nicht zu beleidigen. 

Er macht Raffaela also zum unantastbaren Sacrum und verweigert den carnivoren Sarkophagen ihre Sacralitas. Raffaela ist haram, die Sarkophagen nicht. Er wird, indem er Raffaela ritterlich in Schutz nimmt, zu ihrem Hohepriester und Knecht. Wenn er so weiter macht, zeugt er Kinder mit ihr und muss sich am Ende alleine um sie kümmern, weil Raffaela unbedingt eine Seltsame Heilige wie Simone Adolphine Weil sein will und lieber stirbt als ein Tier zu töten. Und er ekelt sich nicht davor, dass sie Gemüse quält, sondern liebt sie, weil sie sich vor Konformisten ekelt, die eitle Blum (als dumme Gans kann ich sie ja nicht bezeichnen, weil ich Martinsgans und Martin Gänsfleisch nicht unrecht tun will). Feroz hätte eigentlich besseres verdient als der Widerspenstigen Zähmung. 

Aber er ist jetzt ihr Raffaelaversteher. 1. Fehler: Sympathie für eine, die sich vor Konformisten ekelt (wie er). 2. Fehler: er nimmt die Sympathisantin in Schutz. 3. Fehler: er macht sich zu ihrem Knecht und Sacerdos, der depperte Schneewittchenjünger. 

Er sollte besser darüber nachdenken, dass wir nicht im Reich der Logik leben, sondern in dem existentieller Unausweichlichkeiten und Unzulänglichkeit, im Reich der Approximation. Und darüber, wie man dazu beiträgt, den Konformismus zu nobilitieren und Konventionen zu verfeinern, aufzufrischen und zu vervollkommnen, ohne Zugeständnisse gegenüber dem eitlen Zeitgeist - und ihren überheblichen, nachlässigen Incarnationen - zu machen. Raffaela ist das wortgewordene Fleisch, und er hat sich eigentlich nicht vom Islam abgewandt, um an das wortgewordene Fleisch zu glauben. Aber sie hat ihn zur Strecke gebracht. Was für eine erbärmliche Niederlage. Er frisst ihr aus der Hand. Gras.